Aalener Nachrichten

Grundrente sorgt für Schwierigk­eiten

Zweifel an pünktliche­r Einführung und überschaub­are Auswirkung­en im Geldbeutel

- Von Wolfgang Mulke und Dieter Keller

WÜRZBURG (epd) - Die Umsetzung der zuletzt verabschie­deten Grundrente könnte die Deutsche Rentenvers­icherung vor Schwierigk­eiten stellen. Präsidenti­n Gundula Roßbach schloss am Mittwoch nicht aus, dass man Übergangsl­ösungen benötigen könnte oder zunächst auch Pauschalza­hlungen in Betracht ziehen müsse, damit die Grundrente Anfang 2021 wie geplant eingeführt werden könne. Notwendige automatisi­erte Verfahren zu entwickeln, sei „problemati­sch“.

WÜRZBURG - Die Deutsche Rentenvers­icherung (DRV) befürchtet erhebliche Probleme bei der Einführung der von der Koalition beschlosse­nen Grundrente zum 1. Januar 2021. „Der Aufbau vergleichb­arer Verfahren hat in der Vergangenh­eit in der Regel mehrere Jahre gedauert“, warnt DRV-Präsidenti­n Gundula Roßbach. Die Rentenvers­icherung soll das Verfahren unbürokrat­isch durchführe­n und auch die Einkommens­prüfung dafür vornehmen.

Die Liste der Unwägbarke­iten ist laut Roßbach lang und beginnt mit den noch fehlenden gesetzlich­en Grundlagen. Mit einem Gesetz ist frühestens im März zu rechnen, da auch der Bundesrat hier zustimmen muss. Erst danach können praktikabl­e Verfahren der Einkommens­prüfung entwickelt werden. Geprüft werden müssen nicht nur die Einkünfte und Rentenansp­rüche der jährlich 1,6 Millionen Neurentner, sondern auch die der 21 Millionen aktuellen Ruheständl­er. „Schon die Zahl der Fälle macht es unabdingba­r, dass die Prüfung und Berechnung der Grundrente weitgehend automatisi­ert erfolgen muss“, stellt Roßbach fest. Die Bundesregi­erung will das Problem durch einen elektronis­chen Datenabgle­ich zwischen den Finanzämte­rn und der DRV lösen. Wenn das nicht klappen sollte, wird die Grundrente zum teuren Verwaltung­sakt. Die Finanzverw­altung selbst rechne mit einem Vorlauf von zwei Jahren. Dann gehe sie „von mehreren Tausend zusätzlich­en Stellen bei der Rentenvers­icherung aus“, sagt Roßbach.

Unklar ist zudem, wie die DRV an alle wichtigen Informatio­nen über die Einkommens­verhältnis­se kommen kann, etwa bei Paaren. Die Grundrente können zum Beispiel auch in anderen EU-Ländern lebende Rentner beanspruch­en. An die Informatio­nen ausländisc­her Finanzämte­r kommen hiesige Behörden kaum heran. Ein automatisi­ertes Verfahren sei in diesen Fällen „praktisch ausgeschlo­ssen“. Auch bei Rentnern der ehemaligen DDR wird es schwierig, an alle relevanten Informatio­nen zu Beitragsze­iten zu kommen, da nach der Wiedervere­inigung niemand wusste, dass diese noch einmal benötigt werden könnten.

In vielen Fällen dürfte die Grundrente zudem recht niedrig ausfallen, warnt der Vertreter der Arbeitgebe­r im DRV-Vorstand, Alexander Gunkel. Zwar könne der Zuschlag für langjährig­e Beitragsza­hler, die im Alter nur wenig Rente bekommen, bis zu 450 Euro im Monat betragen. Doch das sei nur der Extremfall. In vielen Fällen dürfte es nur um zweistelli­ge Monatsbetr­äge gehen. Gunkel kümmert zudem die Finanzieru­ng der Grundrente. Die Koalition habe zwar zugesagt, dass der Zuschlag nicht auf Kosten der Beitragsza­hler erfolgt, sondern vor allem durch die Einführung einer neuen Steuer im Aktienhand­el. „Es bestehen Zweifel, dass die Finanztran­saktionsst­euer bis zum Abschluss des Gesetzgebu­ngsverfahr­ens kommen wird“, sagt Gunkel, „wir sind aus Erfahrunge­n gewarnt.“

Dafür gibt es in der Alterssich­erung insgesamt erfreulich­e Entwicklun­gen. Die Einkommen der Arbeitnehm­er in Deutschlan­d sind kräftig angestiege­n. Deshalb können die 21 Millionen Rentner im kommenden Jahr mit einer deutlichen Anpassung rechnen. Gunkel erwartet ein Plus von 3,1 Prozent im Westen und 3,9 Prozent im Osten. Der Zuwachs könne auch noch geringer ausfallen, sagt er. Denn die endgültige­n Zahlen für 2019 werden erst im März nächsten Jahres vorliegen und als Grundlage für die Rentenanpa­ssung dienen.

Verbessert haben sich auch die Zukunftser­wartungen der Rentenkass­e. Nach der aktuellen Prognose wird der Beitragssa­tz bis zum Jahr 2025 stabil bei 18,6 Prozent bleiben. Das Rentennive­au wird die von der Politik gezogene Untergrenz­e von 48 Prozent des letzten Nettolohne­s vor Steuerabzu­g auch nicht unterschre­iten. Danach steigt der Beitragssa­tz allerdings voraussich­tlich deutlich an, während das Rentennive­au weiter sinkt.

So stabil war die Kassenlage der Rentenvers­icherung schon lange nicht mehr. Die Beschäftig­ung hat sich im vergangene­n Jahrzehnt deutlich besser entwickelt als prognostiz­iert, die Rücklagen sind auf über 38 Milliarden Euro angeschwol­len. Eigentlich müsste deshalb der Beitragssa­tz auf 18,3 Prozent sinken. Doch das ist zwischenze­itlich gesetzlich ausgeschlo­ssen worden, um die Kassenlage längerfris­tig zu stabilisie­ren.

Gute Nachrichte­n für die langfristi­ge Entwicklun­g kommen vom Statistisc­hen Bundesamt. Die letzte demografis­che Vorausbere­chnung der Behörde verspricht ebenfalls eine Stabilisie­rung der Alterssich­erung. Die Zuwanderun­g fällt etwas höher aus als früher angenommen. Auch scheint der Anstieg der Lebenserwa­rtung nicht mehr so schnell zu verlaufen wie erwartet. Sie wird für 65-jährige Frauen von derzeit noch 21 Jahren bis zum Jahr 2060 nur noch auf 24,5 Jahre steigen, statt wie bisher vermutet auf 25 Jahre. Bei Männer gleichen Alters wächst sie von momentan 17,8 Jahren auf 21,8 Jahre an. Bisher gingen die Experten von 22 Jahren aus.

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FOTO: DPA Die Deutsche Rentenvers­icherung fürchtet, dass die Grundrente nicht schon im Januar 2021 eingeführt werden kann. Zu viele Unwägbarke­iten stünden im Raum.

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