Süden bei der Energiewende vorne dabei
Studie lobt Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Bayern, sieht aber Nachholbedarf
BERLIN (dpa/AFP/igs) - SchleswigHolstein und Baden-Württemberg sind die führenden Bundesländer im Bereich erneuerbarer Energien, Bayern landet direkt dahinter auf Rang drei. Alle hätten jedoch noch Nachholbedarf. Das ist das Ergebnis eines am Mittwoch veröffentlichten Ländervergleichs im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE), der vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZWS), erstellt wurde. Die Studie betrachtet nicht nur die Erfolge,
sondern auch die Anstrengungen der Länder bei der Energiewende.
Baden-Württemberg punktet demnach vor allem mit umfassenden Klimaschutzzielen, Informationsangeboten, Monitoring, Förderprogrammen und ambitionierten Maßnahmen für mehr erneuerbare Energien beim Heizen. Die politischen Bemühungen könne das Land aber nicht in gleichem Maße in entsprechende Ergebnisse ummünzen. „Bei der Stromerzeugung aus Windenergie, gemessen am Potenzial, belegt das Land den letzten Platz“, heißt es in der Studie. Von der Opposition im
Landtag kam prompt Kritik. Gernot Gruber, energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sprach von einem „Spitzenplatz voll heißer Luft“.
Das wegen seiner Abstandsregel für Windräder kritisierte Bayern wird hingegen gelobt. Es sei „das Land, das die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien am stärksten nutzt“, sagte Wolf-Peter Schill, der stellvertretende Abteilungsleiter für Energie, Verkehr, Umwelt beim DIW, der „Schwäbischen Zeitung“.
Grund zur Zufriedenheit gebe es jedoch nicht. „Die Studie zeigt, dass es für einen erfolgreichen Fortgang der Energiewende und das Erreichen der Klimaziele noch vieler weiterer Anstrengungen in allen Bundesländern bedarf“, erklärte Frithjof Staiß vom ZSW. Er riet den Ländern, ihre Gestaltungsspielräume im Wärmesektor stärker zu nutzen, etwa mit einer verpflichtenden kommunalen Wärme- und Kälteplanung.
Der Vergleich wurde zum sechsten Mal erstellt. Die Analyse bewertet auf Basis von 61 Indikatoren die politischen Anstrengungen und Erfolge bei der Nutzung erneuerbarer Energien sowie beim wirtschaftlichtechnischen Wandel.
BERLIN - Der Windausbau liegt am Boden, die Energiewende ist ins Stocken geraten. Verantwortlich gemacht wird dafür vor allem die Bundesregierung in Berlin. Für die Umsetzung der Energiewende sind jedoch auch die Bundesländer verantwortlich. Wie die einzelnen Länder damit vorankommen, haben die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) und zwei weitere Institute nun in einem Vergleich untersucht.
Wer liegt vorne?
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg belegen die Spitzenplätze im Gesamtranking. „Baden-Württemberg führt wegen eines vorbildlichen Politikrahmens“, erklärt Wolf-Peter Schill, stellvertretender Leiter der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die gute Platzierung. Das Land habe sich „umfassende Klimaschutz- und Ausbauziele“für erneuerbare Energien vorgenommen, auch bei den Förderprogrammen sei Baden-Württemberg spitze, genauso wie bei den Zielen für die Ausstattung der landeseigenen Gebäude mit Ökostrom.
Ist der Südwesten also Energiewende-Vorbild?
„Das ist eine Bestätigung unserer Energiepolitik“, sagt der badenwürttembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), der angesichts der guten Nachrichten eigens nach Berlin gereist ist. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. BadenWürttemberg hat seine gute Platzierung vor allem ambitionierten Zielen zu verdanken. Bei der tatsächlichen Ökostrom-Nutzung und -Erzeugung liegt Baden-Württemberg im Mittelfeld, der Anteil Erneuerbarer an der Stromerzeugung liegt bei 27 Prozent. In Schleswig-Holstein sind es 69. Untersteller selbst räumt deswegen ein, dass diese Platzierung den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde.
Wer liegt bei der konkreten Umsetzung vorne?
„Kein Land dominiert alle Bereiche“, sagt Andreas Püttner vom ebenfalls an der Studie beteiligten Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW). Die einzelnen Indikatoren wie energiepolitische Ziele und konkrete Erfolge werden zu einem Gesamtwert zusammengerechnet (siehe Grafik). Schaut man sich die Studie jedoch genauer an, kommt es zu einer Überraschung. Das zuletzt vor allem für seine Abstandsregel bei
Windrädern viel gescholtene Bayern wird für die Energiewende vor Ort ausdrücklich gelobt. „Bayern ist das Land, das die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien am stärksten nutzt“, sagt Schill. Die Erfolge zeigten sich vor allem bei Photovoltaikanlagen, Solarkollektoren und Wärme aus Bioenergie. Bei 44 Prozent liegt der Ökostrom-Anteil in der Erzeugung. Das Potenzial der Windenergie werde hingegen genauso wie in BadenWürttemberg nur wenig genutzt. Anders in Schleswig-Holstein, das Bayern auf Platz zwei folgt: In Norddeutschland punktet man vor allem mit der Windkraft. Und auch bei den energiepolitischen Zielen liegt Kiel in der Spitzengruppe.
Wer rüstet sich am besten für den technologischen Wandel?
Hier liegen Hamburg und Niedersachsen vorne. Die größten industrieund technologiepolitischen Erfolge erzielte laut Studie dabei Hamburg. Die Hansestadt punkte vor allem bei den Patentanmeldungen sowie bei der Nutzung der Elektromobilität. Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt haben demnach die höchsten Anteile von Beschäftigten im Bereich Erneuerbare. Niedersachsen hingegen zeichne sich insbesondere durch die höchsten Forschungsausgaben für erneuerbare Energien aus, würdigten die Institute. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Thüringen und Bremen. Baden-Württemberg erreicht im Bereich des technologischen Wandels bei den gesetzten Zielen Platz sechs und bei den erreichten Erfolgen nur Platz zehn.
Und die Schlusslichter?
Auf den hintersten Plätzen liegen das Saarland, hinter Berlin auf dem 15. und Sachsen auf dem 14. Platz. Jedoch ist auch hier eine differenziertere Betrachtung lohnenswert, denn auch die Schlusslichter liegen in einzelnen Bereichen vorne. So werden in Berlin die Politik für die Solarenergie und die Nutzung der Elektromobilität gut bewertet, Sachsen könne die höchsten Forschungsausgaben zur Systemintegration erneuerbarer Energien aufweisen.
Was heißt das für die Energiewende?
„Wir stehen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien noch immer ziemlich am Anfang“, betont Schill vom DIW. „Die Studie zeigt, dass es für einen erfolgreichen Fortgang der Energiewende und das Erreichen der Klimaziele noch vieler weiterer Anstrengungen in allen Bundesländern bedarf“, sagt auch Frithjof Staiß (ZSW). Der Forscher rät den Ländern, ihre Gestaltungsspielräume insbesondere im Wärmesektor wesentlich stärker zu nutzen. Insgesamt sei ein stärkerer Ausbau nötig, um das Ziel eines Anteils von 65 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 zu erreichen. „Die international vereinbarten Klimaschutzziele erfordern, dass die Energieversorgung schnell auf erneuerbare Energien umgestellt wird“, sagt Energieexpertin Claudia Kemfert vom DIW. Hierfür müssten Bund und Länder noch mehr tun.