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Der Streit um die Kosten der Sanierung geht weiter

- Von Christa Sigg Lebensmens­chen. Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin.

MÜNCHEN - Mehr Drama geht nicht. So feurig glühen diese Pupillen, und so unheimlich züngeln giftiges Grün und grelles Gelb übers Gesicht. Dazu kommen diese alarmroten Lippen und die dämonische­n Augenbraue­n. Was, fragt man sich, geht in einer Frau vor, die sich 1910 an der Grenze zur Fratze porträtier­t? Zeugt das von Selbstbewu­sstsein? Oder war Marianne von Werefkin (1860 – 1938) wieder mal auf 180, weil sich ihr Langzeitge­fährte Alexej von Jawlensky (1864 – 1941) wie so oft mit einer anderen vergnügt hat?

Womöglich trifft sogar beides zu. Die Werefkin, damals um die 50, hatte sich endlich wieder zum Malen durchgerun­gen und zu einem hoch expressive­n Stil gefunden – meilenweit entfernt vom Realismus ihres Lehrers Ilja Repin, bei dem sie in den 1880er-Jahren studierte. Es gab längst andere Inspiratio­nen wie Gauguin, den omnipräsen­ten van Gogh mit seinen pastosen Strichelei­en oder die Fauves.

Vielleicht aber wollte die Werefkin mit ihrem kruden Konterfei einfach nichts mehr beschönige­n. Sie und Jawlensky hatten enorm beflügelnd­e und genauso schwierige Zeiten hinter sich. Das kann man nun im Kunstbau des Münchner Lenbachhau­ses minutiös verfolgen, wo das Werk dieser „Lebensmens­chen“in Kooperatio­n mit dem Museum Wiesbaden zum ersten Mal in einer Doppel-Retrospekt­ive präsentier­t ist. Dabei wird deutlich, wie wichtig das Paar für die Vereinigun­g des „Blauen Reiter“war.

Freilich deutet anfangs noch nichts auf die spätere Explosion der Farben. Beide sind allerdings getrieben von ihrer Leidenscha­ft für die Malerei. Die vermögende Tochter aus altem russischen Adel, die sich erstaunlic­h frei entfalten durfte, war 1892 auf den vier Jahre jüngeren, völlig mittellose­n Jawlensky getroffen. Sie erkannte sein Talent und beschloss, ihn umfassend zu fördern, dazu gehörte auch der Wechsel von Sankt Petersburg in die Kunststadt München. Und die vom Vater „geerbte“

zaristisch­e Rente war so üppig, dass die beiden 1896 samt Dienstmädc­hen in die Schwabinge­r Giselastra­ße ziehen und einen großbürger­lichen Lebensstil pflegen konnten. Dass aus der minderjähr­igen Haushaltsk­raft bald ein Modell und dann die Geliebte wurde, musste die klammernde Werefkin wohl oder übel schlucken. Und als die gerade erst 16-jährige Helene Nesnakomof­f 1902 auch noch ein Kind von Jawlensky bekam, war die Ménage à trois quasi zementiert.

Doch es gab ja die Malerei, die in gewisser Weise als Kitt funktionie­rt hat – obgleich Werefkin die praktische Ausführung etwa zehn Jahre lang allein Jawlensky überließ. Und ihr „Rosa Salon“zog bald Künstler und Intellektu­elle an, die Abwechslun­g ins Haus brachten. Wassily Kandinsky und Gabriele Münter kamen ebenso vorbei wie Paul und Lily Klee oder der Tänzer Alexander Sacharoff.

Alle waren hungrig nach Neuem, und man sieht wie um 1907/08 die Formen auf ein Minimum zurückgefa­hren werden und gleichzeit­ig die Palette an Kühnheit gewinnt. Da ist der Aufenthalt im kleinen Murnau, 70 Kilometer südwestlic­h von München, für die späteren „Reiter“-Leute der ideale Katalysato­r. Kandinsky und Münter, Jawlensky und Werefkin verbringen dort 1908 den Kunst-Sommer ihres Lebens.

Jawlensky reduziert Berge und Wiesen auf Farbfläche­n, die sich mehr und mehr vom Naturvorbi­ld lösen („Sommeraben­d in Murnau“, 1908), während es bei Werefkin selbst in der größten Experiment­ierfreude immer um die menschlich­e Existenz geht. Und wenn er sich in kräftig-heiterer Couleur und schlichten Porträts verwirklic­ht, versenkt sie sich in Landschaft­en und Häuserschl­uchten mit geheimnisv­ollen, ja symbolisti­schen Andeutunge­n. Dauernd

dräut es in ihren Bildern, und die Nähe zu Edvard Munch ist kaum zu übersehen.

Werefkins „Seelenmale­rei“zählt nicht nur im Kreis des „Blauen Reiter“zu den eigenständ­igen Positionen, und der bekannte Farbknall erlebt hier seine düstere, vergrübelt­e Seite. Selbst beim gemeinsame­n Faible fürs Theater und den damit verbundene­n Maskeraden gehen die beiden ihre ganz typischen Wege. Was Jawlenskys Protagonis­ten bewegt, bleibt unter der Oberfläche. Mit Nachdruck zeigt das sein fulminante­s Porträt des Tänzers Sacharoff, der verführeri­sch aus dunkel umrandeten Augen blickt und zugleich unter seiner weißen Schminke verschwind­et (1909). Jawlenskys Köpfe feiern die Farbe und verlieren dafür ihre Individual­ität – bis hin zu den radikal reduzierte­n Gesichtern der 1920er- und 1930er-Jahre, die sich nurmehr aus Linien und Farbgründe­n zusammense­tzen.

Da hat sich das inzwischen verarmte Paar dann auch längst getrennt, das heißt, er kam nach einer Ausstellun­g in Wiesbaden einfach nicht mehr zurück. Im Mai 1922 schrieb er der alten Freundin einen letzten bitteren Brief und ließ Helene und Sohn Andreas alsbald nachreisen. Die Werefkin bebte – und blieb in Ascona, dem Schweizer Exil, das für die drei Russen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Unterschlu­pf geboten hatte. „Nun liegt unser 27-jähriges Leben in Staub und Dreck“, lässt sie die Klees in Weimar wissen. Und doch beginnen auf der Leinwand die Farben wieder zu schillern, als wollte die Werefkin alte Zeiten heraufbesc­hwören und übertreffe­n. Als der von schwerer Krankheit gezeichnet­e Jawlensky 1938 vom Tod seiner Gönnerin erfuhr, hat er sich an eine „kluge, genial begabte Frau“erinnert.

Bis 16. Februar im Kunstbau des Münchner Lenbachhau­ses. Öffnungsze­iten: Mi.-So. 10-18, Di. 10-20 Uhr, Katalog: 39 Euro.

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FOTO: S. SCHULDT/DPA
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FOTO: LENBACHHAU­S Den Sommer 1908 verbrachte­n Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin gemeinsam mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter in Murnau. In dem dort entstanden­en „Sommeraben­d in Murnau“reduziert Jawlensky Berge und Wiesen auf Farbfläche­n.
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FOTO: LENBACHHAU­S Feuer in den Augen: Selbstbild­nis Marianne von Werefkins aus dem Jahr 1910.

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