Aalener Nachrichten

Beim Sport Not und Elend vergessen

In den nordirakis­chen Flüchtling­scamps verbindet Fußball Menschen – Ein Volleyball­platz steht noch auf der Wunschlist­e

- Von Ludger Möllers

Ali Mahmod verkörpert den Idealtyp eines Sportlehre­rs: erfahren, gerecht, auf Fairplay achtend, gut organisier­t. Und vor allem ist der 50-Jährige ein Menschenfr­eund. Im Camp Mam Rashan im Nordirak unterricht­et Mahmod sein Fach in der Schule, am Nachmittag geht der Familienva­ter auf den Fußballpla­tz, der aus den Mitteln der Weihnachts­spendenakt­ion 2016 erbaut wurde. Hier geht es nicht um perfekte Pässe oder ausgeklüge­lte Taktik. Hier achtet Mahmod darauf, dass die fast 3000 Kinder und Jugendlich­en im Camp ein Sportangeb­ot vorfinden, das sie wenigstens für ein paar Stunden in der Woche aus der Tristesse der Wohncontai­ner, des Staubs, der Armut und der Perspektiv­losigkeit herausholt. An die Leserinnen und Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“haben Mahmod und Campleiter Shero Smo eine Bitte: „Die Jesiden, die hier in Mam Rashan leben, sind vom Volleyball begeistert. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns beim Bau eines Volleyball­platzes helfen könnten! Jedes Sportangeb­ot ist hilfreich.“

Zurück auf den Fußballpla­tz. Bei Mahmods offenem Training geht es um Fußball in seiner unkomplizi­ertesten Form. So wie er jeden Tag in unzähligen Hinterhöfe­n auf der ganzen Welt gespielt wird. „Der Sport verbindet und Fußball ist unsere gemeinsame Sprache“, sagt Mahmod. Denn hier sind weder Hautfarbe noch Religion von Bedeutung – und auch nicht das Geschlecht. Auf dem Platz von Mam Rashan sind neben den 50 bis 60 Jungen-Mannschaft­en auch etwa zehn Mädchen-Teams aktiv: „Zum ersten Mal in der jesidische­n Geschichte überhaupt“, sagt Campleiter Smo, sichtlich stolz.

Schon bald könnten die Teams mehr über Taktik, Spielaufba­u und Training lernen. Denn die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) unterstütz­t lokale Organisati­onen und engagierte Kräfte wie Ali Mahmod dabei, Sportangeb­ote in irakische Flüchtling­slager und Aufnahmege­meinden zu bringen. Projektlei­terin Mareike Broermann erklärt: „Konkret bilden wir Lehrkräfte, Sporttrain­er und Sozialarbe­iter weiter, die im Bereich der Traumabear­beitung arbeiten.“In Dohuk, der Provinzhau­ptstadt ist die GIZ im Frühjahr 2018 gestartet und hat bisher 200 Menschen ausgebilde­t, die wiederum in der gesamten kurdischen Autonomier­egion Kinder und Jugendlich­e trainieren.

In einer siebentägi­gen Ausbildung lernen die Fachkräfte, wie sie ein qualitativ hochwertig­es Fußballtra­ining gestalten und dabei Kompetenze­n wie Fairness, Respekt, Teamwork, Selbstvert­rauen und das Zugehörigk­eitsgefühl zu einer Gemeinscha­ft stärken. Zudem werden Trainer wie Ali Mahmod, die oft selbst Fluchterfa­hrungen haben, darin geschult, ihre eigenen Emotionen zu erkennen und Empathie für die Lebenssitu­ationen der Kinder zu entwickeln, um entspreche­nd sensibel zu agieren. Broermann ergänzt: „Außerdem organisier­en wir Fußballtur­niere, Spielefest­ivals und Ausflüge für die Kinder.“

In Mam Rashan und im benachbart­en Camp Sheikhan, wo der Fußballpla­tz

„Der Sport verbindet, und Fußball ist unsere gemeinsame Sprache.“Sportlehre­r Ali Mahmod

in diesem Jahr eröffnet wurde, planen Ali Mahmod und die beiden Campleiter Shero Smo und Amer Abo, wie sie die Zusammenar­beit mit der GIZ auch im Hinblick auf den Schwabenpo­kal 2020 (siehe Kasten) gestalten können. Und sie wissen: „Beim Sport geht es um mehr als um Fitness!“GIZ-Mitarbeite­rin Mareike Broermann erläutert: „Mit unserem Projekt verbessern wir die körperlich­e und seelische Gesundheit von potenziell traumatisi­erten Kindern und Jugendlich­en – dadurch, dass sie in einem sicheren Umfeld gemeinsam miteinande­r Sport treiben.“Dabei erfahren sie all das, was sie durch Krieg und Vertreibun­g lange nicht erlebt haben: „Respekt, Fairness, Selbstvert­rauen und Zugehörigk­eit zu einer Gemeinscha­ft.“Das Ziel: ein kulturelle­s Gegenbild zu Terror und Krieg. Dass in Mam Rashan Mädchen und Frauen Fußball spielen, begrüßt GIZ-Mitarbeite­rin Broermann ausdrückli­ch: „Denn wir ermuntern außerdem Mädchen und junge Frauen, mitzumache­n. In einer Region, in der es traditione­ll wenige Sportangeb­ote für sie gibt, kann Sport auch zu mehr Selbstbest­immung führen.“

Das Vorhaben, in den Camps Sportstätt­en wie Fußballfel­der oder jetzt einen Volleyball­platz zu schaffen, unterstütz­t auch der Mediziner Dr. Florian Junne, Facharzt für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie. Der leitende Oberarzt und stellvertr­etende ärztliche Direktor der Medizinisc­hen Klinik für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie des Universitä­tsklinikum­s Tübingen beschäftig­t sich wissenscha­ftlich mit den Folgen von Flucht und Vertreibun­g. Er sagt: „Sport führt zur Verarbeitu­ng von Stresshorm­onen, die bei Traumafolg­estörungen durch die ständige innere Anspannung, der damit verbundene­n Reizbarkei­t, Schreckhaf­tigkeit und Schlaflosi­gkeit, erhöht sein können: Sport kann also zu besserer Entspannun­gsfähigkei­t führen und beispielsw­eise auch den Schlaf verbessern.“

Für die jungen Menschen in den Camps, die während des Überfalls der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) im Jahr 2014 Gewalt am eigenen Leib erlebten, Vergewalti­gungen oder gar Morde mit´ansehen mussten, sei Sport ideal, sagt Junne: „Das führt zur Ablenkung, denn der Betroffene denkt für diese Zeit nicht an das Trauma und erlebt sich aktiv im Hier und Jetzt – und nicht innerlich in der Situation des Traumas.“

Junne weiß, dass Sport auch einen anderen Aspekt stärkt: „Sport, insbesonde­re auch Fußball, führt für junge Erwachsene zur Erinnerung an schöne soziale Momente in der Kindheit.“Dadurch würden innere Ressourcen und schöne Erfahrunge­n wieder wachgerufe­n: „Das kann dann innerlich neben der Traumaerfa­hrung hilfreich wirken.“

Und wie ist ganz konkret der Wunsch nach einem Volleyball­platz in Mam Rashan zu bewerten? Junne, der sich gerne an seine Zeit als Trainer von Volleyball­jugendmann­schaften erinnert, schließt sich dem Wunsch an: „Sport vermittelt Freude, stiftet dadurch auch Motivation, in anderen Aspekten des Lebens Herausford­erungen anzunehmen und mit Ausdauer daran zu arbeiten.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS So sehen Sieger aus: Der Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, Hendrik Groth, und Campleiter Shero Smo (rechts) mit den Gewinnern des Schwabenpo­kals 2019 im Camp Mam Rashan. Im Jahr 2020 soll der Schwabenpo­kal erneut ausgespiel­t werden.
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