Eine Kommission, viele Probleme
Von Brexit bis Klimawandel: die Herausforderungen für von der Leyens Team
STRASSBURG - Standing Ovations gehören ja mittlerweile in Kunst und Politik zum guten Ton. Und es riss die Abgeordneten im Europaparlament in Straßburg auch nicht von den Sitzen, als am Mittwoch die angehende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein weiteres Mal die Pläne für ihre fünf Amtsjahre skizziert und ihr Team großzügig mit Vorschusslorbeeren bedacht hatte. Doch der konservative Fraktionschef Manfred Weber (CSU) sprang am Ende sofort auf – und gab damit das Signal für zwar nicht enthusiastischen, aber lang anhaltenden Beifall.
Damit zeigte sich Weber, der als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen in der Europawahl im Mai selbst für das Amt des Kommissionspräsidenten angetreten war, als guter Verlierer. Im Magazin „Politico“formulierte er allerdings mehrere Forderungen, die von der Leyen im Gegenzug umsetzen soll. Das Parlament soll ein indirektes Initiativrecht erhalten, also per Mehrheitsbeschluss neue Gesetze verlangen können. Es soll ferner kontrollieren, dass EU-Mittel nur an Länder vergeben werden, die die Grundwerte respektieren. Schließlich will Weber für die Zukunft ausschließen, dass noch einmal einen Politiker das Schicksal des siegreichen, aber dann doch gescheiterten Spitzenkandidaten ereilt.
Wer welche Aufgaben hat
Das Schicksal teilt Weber mit Frans Timmermans, der sich mit dem Amt des Vizepräsidenten zufriedengeben muss. Mit verschränkten Armen und brummigem Gesicht saß der Niederländer, verschanzt hinter seinem wöchentlich mächtiger werdenden weißen Bart, neben seiner Chefin. Als Verantwortlicher für den „European Green Deal“hat er einen gewichtigen Titel, aber keinen Beamtenapparat.
Sein Amt reduziert sich letztlich darauf, die Arbeit von Marija Gabriel aus Bulgarien (zuständig für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Jugend), Kadri Simson aus Estland (Energie), Virginijus Sinkevicus aus Litauen (Umwelt und Ozeane), sowie Adina Vâlean aus Rumänien (Verkehr) im Blick zu haben und nach außen als gut abgestimmte Politik zu verkaufen. Da Ursula von der Leyen den Kampf gegen den Klimawandel zur Querschnittaufgabe aller Ressorts erklärt hat, wird er auch mit den meisten anderen Kommissionsmitgliedern häufig zu tun haben.
Schließlich werden schon bei der Budgetplanung die Weichen dafür gestellt, wie viel Geld für die Förderung umweltfreundlicher Politik zur Verfügung steht. Den EU-Haushalt verantwortet künftig der Österreicher Johannes Hahn, der in der Juncker-Kommission für Erweiterung zuständig war. Sein Nachfolger als Erweiterungskommissar, der Ungar Olivér Várhelyi, musste bei der Anhörung im Europaparlament nachsitzen, nachdem der ursprüngliche
Kandidat durchgefallen war. Die Mehrheit der Abgeordneten hegt Abneigung gegen Ungarns Regierungschef Victor Orbán, der seinerseits aus der Verachtung für zentrale europäische Werte keinen Hehl macht.
Die Beitrittskandidaten werden sich in Zukunft neben den Standardthemen Korruption und Menschenrechte häufiger dazu äußern müssen, wie sie es mit dem Klimaschutz halten. Allzu viel Gewicht dürften diese Gespräche aber nicht haben, solange Frankreich im Rat den Start neuer Beitrittsverhandlungen konsequent blockiert. Warum sollte man sich mit unpopulären und kostspieligen EUAuflagen herumschlagen, wenn man von Staaten wie Russland und China mit offenen Armen empfangen wird? Das fragt man sich derzeit vor allem in den Balkanstaaten.
Der für Landwirtschaft zuständige Pole Janusz Wojciechowski wird sich bei dem Versuch, industrielle profitable Landwirtschaft und Klimaschutz zu versöhnen, wütenden Bauernprotesten gegenübersehen. Die Demos dieser Wochen waren da vermutlich nur ein Vorgeschmack. Sein Vorgänger Phil Hogan aus Irland dürfte froh sein, diesen Job los zu sein. Als Handelskommissar wird Hogans Leben aber auch nicht einfacher. Ein neuer Handelsvertrag mit Großbritannien, das wegen des geplanten Austritts keinen Kommissar mehr nach Brüssel schickt,steht ganz oben auf seiner To-Do-Liste. Auch Hogan soll bei allen künftigen Verträgen mit Drittstaaten das Klimathema fest im Blick behalten.
Jutta Urpilainen aus Finnland, die sich um Partnerschaften mit ärmeren Ländern kümmern wird, muss zum einen für klimafreundliche Politik werben, zum anderen helfen, die Folgen des Klimawandels gerade in den ärmsten Regionen der Welt zu mildern. Darin unterscheidet sich ihr Job gar nicht so sehr von dem des Luxemburgers Nicolas Schmit, der in der neuen Kommission für Arbeitnehmerrechte zuständig ist. Auch er muss Überzeugungsarbeit leisten, dass Klimaauflagen nicht nur Arbeitsplätze kosten, sondern auch neue Unternehmensfelder eröffnen können.
Einen ähnlichen Spagat muss Binnenmarktkommissar Thierry Breton hinlegen, der wegen seiner letzten Tätigkeit als Manager des französischen IT-Konzerns Atos von den Europaabgeordneten ungemütliche Fragen zu möglichen Interessenskonflikten gestellt bekam. Deren Zutrauen zur neuen Kommission scheint dennoch gewachsen zu sein. Während Ursula von der Leyen im Juli nur 383 Stimmen bekam, wählten ihr Team gestern 461 Abgeordnete.