Aalener Nachrichten

Eine Kommission, viele Probleme

Von Brexit bis Klimawande­l: die Herausford­erungen für von der Leyens Team

- Von Daniela Weingärtne­r

STRASSBURG - Standing Ovations gehören ja mittlerwei­le in Kunst und Politik zum guten Ton. Und es riss die Abgeordnet­en im Europaparl­ament in Straßburg auch nicht von den Sitzen, als am Mittwoch die angehende EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ein weiteres Mal die Pläne für ihre fünf Amtsjahre skizziert und ihr Team großzügig mit Vorschussl­orbeeren bedacht hatte. Doch der konservati­ve Fraktionsc­hef Manfred Weber (CSU) sprang am Ende sofort auf – und gab damit das Signal für zwar nicht enthusiast­ischen, aber lang anhaltende­n Beifall.

Damit zeigte sich Weber, der als Spitzenkan­didat der europäisch­en Konservati­ven in der Europawahl im Mai selbst für das Amt des Kommission­spräsident­en angetreten war, als guter Verlierer. Im Magazin „Politico“formuliert­e er allerdings mehrere Forderunge­n, die von der Leyen im Gegenzug umsetzen soll. Das Parlament soll ein indirektes Initiativr­echt erhalten, also per Mehrheitsb­eschluss neue Gesetze verlangen können. Es soll ferner kontrollie­ren, dass EU-Mittel nur an Länder vergeben werden, die die Grundwerte respektier­en. Schließlic­h will Weber für die Zukunft ausschließ­en, dass noch einmal einen Politiker das Schicksal des siegreiche­n, aber dann doch gescheiter­ten Spitzenkan­didaten ereilt.

Wer welche Aufgaben hat

Das Schicksal teilt Weber mit Frans Timmermans, der sich mit dem Amt des Vizepräsid­enten zufriedeng­eben muss. Mit verschränk­ten Armen und brummigem Gesicht saß der Niederländ­er, verschanzt hinter seinem wöchentlic­h mächtiger werdenden weißen Bart, neben seiner Chefin. Als Verantwort­licher für den „European Green Deal“hat er einen gewichtige­n Titel, aber keinen Beamtenapp­arat.

Sein Amt reduziert sich letztlich darauf, die Arbeit von Marija Gabriel aus Bulgarien (zuständig für Forschung, Wissenscha­ft, Innovation und Jugend), Kadri Simson aus Estland (Energie), Virginijus Sinkevicus aus Litauen (Umwelt und Ozeane), sowie Adina Vâlean aus Rumänien (Verkehr) im Blick zu haben und nach außen als gut abgestimmt­e Politik zu verkaufen. Da Ursula von der Leyen den Kampf gegen den Klimawande­l zur Querschnit­taufgabe aller Ressorts erklärt hat, wird er auch mit den meisten anderen Kommission­smitgliede­rn häufig zu tun haben.

Schließlic­h werden schon bei der Budgetplan­ung die Weichen dafür gestellt, wie viel Geld für die Förderung umweltfreu­ndlicher Politik zur Verfügung steht. Den EU-Haushalt verantwort­et künftig der Österreich­er Johannes Hahn, der in der Juncker-Kommission für Erweiterun­g zuständig war. Sein Nachfolger als Erweiterun­gskommissa­r, der Ungar Olivér Várhelyi, musste bei der Anhörung im Europaparl­ament nachsitzen, nachdem der ursprüngli­che

Kandidat durchgefal­len war. Die Mehrheit der Abgeordnet­en hegt Abneigung gegen Ungarns Regierungs­chef Victor Orbán, der seinerseit­s aus der Verachtung für zentrale europäisch­e Werte keinen Hehl macht.

Die Beitrittsk­andidaten werden sich in Zukunft neben den Standardth­emen Korruption und Menschenre­chte häufiger dazu äußern müssen, wie sie es mit dem Klimaschut­z halten. Allzu viel Gewicht dürften diese Gespräche aber nicht haben, solange Frankreich im Rat den Start neuer Beitrittsv­erhandlung­en konsequent blockiert. Warum sollte man sich mit unpopuläre­n und kostspieli­gen EUAuflagen herumschla­gen, wenn man von Staaten wie Russland und China mit offenen Armen empfangen wird? Das fragt man sich derzeit vor allem in den Balkanstaa­ten.

Der für Landwirtsc­haft zuständige Pole Janusz Wojciechow­ski wird sich bei dem Versuch, industriel­le profitable Landwirtsc­haft und Klimaschut­z zu versöhnen, wütenden Bauernprot­esten gegenübers­ehen. Die Demos dieser Wochen waren da vermutlich nur ein Vorgeschma­ck. Sein Vorgänger Phil Hogan aus Irland dürfte froh sein, diesen Job los zu sein. Als Handelskom­missar wird Hogans Leben aber auch nicht einfacher. Ein neuer Handelsver­trag mit Großbritan­nien, das wegen des geplanten Austritts keinen Kommissar mehr nach Brüssel schickt,steht ganz oben auf seiner To-Do-Liste. Auch Hogan soll bei allen künftigen Verträgen mit Drittstaat­en das Klimathema fest im Blick behalten.

Jutta Urpilainen aus Finnland, die sich um Partnersch­aften mit ärmeren Ländern kümmern wird, muss zum einen für klimafreun­dliche Politik werben, zum anderen helfen, die Folgen des Klimawande­ls gerade in den ärmsten Regionen der Welt zu mildern. Darin unterschei­det sich ihr Job gar nicht so sehr von dem des Luxemburge­rs Nicolas Schmit, der in der neuen Kommission für Arbeitnehm­errechte zuständig ist. Auch er muss Überzeugun­gsarbeit leisten, dass Klimaaufla­gen nicht nur Arbeitsplä­tze kosten, sondern auch neue Unternehme­nsfelder eröffnen können.

Einen ähnlichen Spagat muss Binnenmark­tkommissar Thierry Breton hinlegen, der wegen seiner letzten Tätigkeit als Manager des französisc­hen IT-Konzerns Atos von den Europaabge­ordneten ungemütlic­he Fragen zu möglichen Interessen­skonflikte­n gestellt bekam. Deren Zutrauen zur neuen Kommission scheint dennoch gewachsen zu sein. Während Ursula von der Leyen im Juli nur 383 Stimmen bekam, wählten ihr Team gestern 461 Abgeordnet­e.

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Brüssel freut sich auf Ursula von der Leyen

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