Reformer
Dass sich Oppositionspolitiker im Fernsehen ausführlich an die Wähler wenden können, ist selten geworden in der Türkei. Doch Ali Babacan ist nicht irgendjemand. Der 52-Jährige gehört zu den Gründern der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan und feierte als Wirtschafts- und als Außenminister in den Anfangsjahren der Erdogan-Regierung große Erfolge. Jetzt kündigte Babacan in einem Live-Interview im Sender Habertürk die Gründung einer eigenen Partei bis zum Jahresende an, mit der er die EinMann-Herrschaft seines früheren Mentors Erdogan beenden will. Babacans Rezepte dürften Erdogan bekannt vorkommen, denn sie orientieren sich an den politischen Grundwerten, mit denen die AKP einst antrat – und von denen sich der autokratische Präsident inzwischen weit entfernt hat.
Unter Erdogan stecke die Türkei in einem „dunklen Tunnel“, sagte Babacan in dem zweistündigen Gespräch mit dem Journalisten Fatih Altayli: Die Türken hätten Angst, ihre Meinung zu sagen; junge Leute hätten keine Perspektiven; das Parlament in Ankara sei durch die Einführung von Erdogans Präsidialsystem entmachtet worden. Dagegen werde seine neue Partei auf Transparenz, innerparteiliche Demokratie, Menschenrechte und auf eine Rückkehr zum parlamentarischen System setzen. In der Außenpolitik gehören das Ziel der EU-Mitgliedschaft und die Überwindung der regionalen Isolierung der Türkei im Nahen Osten zu Babacans Programm.
Mit der Bekanntgabe des Parteinamens will Babacan noch warten. Der AKP-Mitbegründer, der 2015 als Vizepremier aus der Regierung ausschied, strebt eine Volkspartei an, die Reformkräfte aus unterschiedlichen Gruppen bündeln soll: Türkische Nationalisten sind demnach ebenso willkommen wie Kurden. So hatte auch die AKP einst um Wähler geworben. Susanne Güsten