Glühwein unter Polizeischutz
Gendarmen und Soldaten sichern ein Jahr nach dem Attentat den Straßburger Weihnachtsmarkt – In ganz Frankreich hat der Staat aufgerüstet
STRASSBURG - Mehr als 700 Polizisten und Soldaten sichern den Weihnachtsmarkt in Straßburg. Doch „null Risiko“gibt es nicht.
„Alles in Ordnung“, sagt der Mann, der die neongelbe Weste einer privaten Sicherheitsfirma trägt. Er kontrolliert am Pont du Corbeau, einem von 16 Zugängen zum Straßburger Weihnachtsmarkt, Taschen und Jacken der Besucher. Ein paar Meter hinter ihm stehen Polizisten in schusssicheren Westen neben Metallbarrieren. Wer in Straßburg Glühwein trinken und „Bredele“, die Elsässer Weihnachtskekse, essen will, tut dies in einer Hochsicherheitszone. Denn nach dem Anschlag auf den größten Weihnachtsmarkt Frankreichs im vergangenen Jahr wachen 760 Polizisten, Soldaten und private Sicherheitsleute über die Einheimischen und Touristen, die an den Holzhäuschen entlangschlendern. „Die Botschaft, die wir aussenden wollen, ist die der Gelassenheit“, sagte Christophe Castaner am Freitag zur Eröffnung des „Marché de Noël“.
Der Innenminister nahm sich Zeit, um an einem der 300 Stände selbst einen Glühwein zu probieren.
Ein Jahr nach dem Anschlag mit fünf Toten und elf Verletzten wollte er damit wohl Normalität signalisieren. Am Abend des 11. Dezember 2018 war der Attentäter Cherif Chekatt mit einem Messer und einer alten Pistole über die Kontrollstelle am Pont du Corbeau in die Innenstadt gekommen, um dort in den engen Gassen wahllos Passanten anzugreifen. Die Sicherheitsmaßnahmen hatten den Anschlag nicht verhindern können. In diesem Jahr sollen deshalb noch mehr Sicherheitskräfte im Einsatz sein. Beamte in Zivil und 400 Überwachungskameras sollen das Geschehen unauffällig beobachten. Doch Bürgermeister Philippe Ries warnte schon im vergangenen Jahr: „Null Risiko gibt es nicht.“
Nach den Anschlägen von Paris 2015 hatte sich die Stadtverwaltung entschieden, den 450 Jahre alten „Christkindelsmärik“, der jedes Jahr zwei Millionen Besucher anzieht, trotzdem abzuhalten. Die Altstadt wird abgeriegelt, an den Zugangsstellen sind Taschenkontrollen eingerichtet. Das gilt auch für die anderen Weihnachtsmärkte Frankreichs, beispielsweise in Nancy, Colmar oder Lyon. Außerdem sollen Betonklötze und quer gestellte Fahrzeuge der Stadtverwaltung verhindern, dass ein Sattelschlepper wie 2016 in Berlin in die Menge rast. Die Kontrollen und Absperrungen haben sich auch bei anderen Großveranstaltungen wie der Fête de la Musique bewährt, dem Musikfestival, das jedes Jahr am 21. Juni stattfindet.
Gesichtserkennung in Nizza
Besonders scharf bewacht wird seit dem Anschlag am Nationalfeiertag 2016 der Karneval in Nizza. Dort müssen die Besucher nicht nur ihre Taschen vorzeigen, wenn sie die bunten Umzüge anschauen wollen, sondern zusätzlich noch Metalldetektoren passieren wie am Flughafen. In diesem Jahr testete die Stadt an der Côte d’Azur außerdem eine Gesichtserkennung, die Attentäter wie Chekatt schnell aufspüren könnte.
In Straßburg entkam der 29-Jährige in der Menge, bevor er zwei Tage später dann von der Polizei erschossen wurde. Bürgerrechtler misstrauen der neuen Technologie allerdings, da sie auch gegen Demonstranten eingesetzt werden könnte.
Die Befugnisse der Polizei – gerade bei Kontrollen – sind mit einem neuen Anti-Terror-Gesetz 2017 ohnehin deutlich ausgeweitet worden. Das Gesetz löste den Ausnahmezustand ab, der seit den Attentaten 2015 galt. Nach der Anschlagserie wurde die Armee auf der Straße eingesetzt. Bis zu 10 000 Soldaten der „Operation Sentinelle“patrouillieren seither schwer bewaffnet in Vierergruppen in den großen Städten, um Bahnhöfe, Flughäfen und wichtige Gebäude zu schützen. Noch immer gilt die Terrorwarnstufe Rot, die für verstärkte Sicherheitsmaßnahmen und ein Anschlagsrisiko steht. Wie hoch die Gefahr ist, wurde im Oktober deutlich, als ein zum Islam konvertierter Mitarbeiter in der Pariser Polizeipräfektur vier Kollegen mit dem Messer erstach. Die Überwachungsmechanismen hatten bei dem Informatiker nicht gegriffen, obwohl Kollegen seine Radikalisierung bemerkt hatten.
„Das Terrorrisiko ist in Frankreich präsent und bleibt auf einem hohen Niveau“, sagte Castaner bei seinem Besuch in Straßburg. Die Besucher des Weihnachtsmarktes scheint das kaum zu stören: Die Hotels sind zu 85 Prozent ausgebucht – wie in anderen Jahren auch.