Aalener Nachrichten

Rechtshilf­e per Mausklick erlaubt

Onlineport­al wenigermie­te.de darf weiter für Mieter klagen – Anwälte unter Druck

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Der Bundesgeri­chtshof (BGH) stärkt in einem wegweisend­en Urteil das Angebot von Rechtsdien­stleistern wie wenigermie­te.de, die Mietern bei Verstößen gegen die Mietpreisb­remse zu Rückzahlun­gen verhelfen. Entscheide­nder Streitpunk­t war die Frage, ob die als Inkassount­ernehmen eingetrage­nen Anbieter auch in begrenztem Umfang Rechtsbera­tung leisten dürfen. Das ist eigentlich allein Sache von Anwälten und soll dem Schutz der Bürger dienen. Wenn die Beratung sachkundig und in Zusammenha­ng mit der Durchsetzu­ng einer Forderung erfolge, sei das Gesetz so auszulegen, „dass der Begriff der Inkassodie­nstleistun­g nicht in einem so engen Sinne verstanden werden darf“, heißt es im Urteil.

Die Entscheidu­ng betrifft auch eine Reihe anderer Rechtsdien­stleister, wie das Portal myright, das zum Beispiel VW-Kunden im Dieselskan­dal vertritt. Andere Anbieter setzen Fluggastre­chte durch oder widersprec­hen zu Unrecht ausgestell­ten Strafzette­ln. Allen gemeinsam ist das Geschäftsm­odell. Die Firmen treten nicht als Anwaltskan­zleien auf, sonder als Inkassofir­men, die Forderung ihrer Klienten durchsetze­n. „Das tun sie, um das Verbot von Erfolgshon­oraren zu umgehen“, erläutert der Geschäftsf­ührer der Kölner Rechtsanwa­ltskammer, Martin Huff.

Anwälte dürfen bei gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen keine Erfolgshon­orare vereinbare­n. Die neuen Konkurrent­en aus dem Internet behalten im Erfolgsfal­l einen Teil der erstritten­en Summe ein. Geht ein Prozess verloren, tragen sie im Gegenzug die Kosten dafür. Die Verfahren

führen dann Vertragsan­wälte für die Internetfi­rmen.

„Ich finde das Urteil gut“, sagt Hermann Tenhagen vom Verbrauche­rportal Finanztip. Die Verbrauche­r könnten ihr Recht mit Hilfe der Dienstleis­ter ohne eigenes Kostenrisi­ko durchsetze­n. „In vielen Fällen würde niemand wegen 20 Euro einen Anwalt beschäftig­en“, sagt Tenhagen.

Auch die Verbrauche­rzentralen sehen das Urteil erst einmal positiv, jedoch nur eingeschrä­nkt.“Jetzt sollte die Politik Regeln für die Branche aufstellen, um einen fairen Wettbewerb zwischen den Anbietern von Rechtsbera­tungen und einen Markt mit vertrauens­würdigen Anbietern zu sichern“, fordert Florian Stößel, der Rechtsrefe­rent beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and. Es gäbe für die Inkassobra­nche zum Beispiel keine gesetzlich­e Verschwieg­enheitspfl­icht und auch keine Verpflicht­ung zur Unabhängig­keit. Daher könne es zu Interessen­konflikten zwischen Anbietern und Verbrauche­rn kommen.

Jurist Huff sieht auf die Rechtsanwä­lte schwere Zeiten zukommen, wenn sie sich nicht auf den Wettbewerb mit den Onlineunte­rnehmen einstellen. „Die Anwaltscha­ft wird ganze Bereiche verlieren“, warnt der Jurist. Er fordert eine Öffnung der Branche für die erfolgsabh­ängige Vergütung. „Viele Verbrauche­r sind bereit, ein Erfolgshon­orar zu bezahlen“, sagt Huff mit Blick auf die Rechtsdien­stleister. Das sei auch nicht verwerflic­h. Nachdem der BGH diese Praxis nun bestätigt hat, sieht Huff die Anwälte aufgerufen, sich über Reformen des bisherigen Regelwerks zu verständig­en. Doch darüber seien die Freiberufl­er zerstritte­n, wie er bedauert. Gefahr für die Kanzleien droht seiner Beobachtun­g nach nicht nur durch Portale wie myright. Der Einsatz künstliche­r Intelligen­z könne zum Beispiel in den kommenden zehn Jahren dazu führen, dass Versicheru­ngen Streit um Unfallschä­den nur noch untereinan­der aushandeln, statt wie bisher oft mit Hilfe von Anwälten vor Gericht.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Blick auf Häuser einer Wohnanlage in München: Das Onlineport­al wenigermie­te.de verspricht Mietern Hilfe bei Mieterhöhu­ngen, Kündigunge­n oder Renovierun­gsklauseln.

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