Zeit ist Geld
Die Milliardensanierung der Oper Stuttgart bewegt Bürger und Politiker – Was die Gegner und die Befürworter sagen
RAVENSBURG - Eine Milliarde Euro für die Sanierung der Staatsoper Stuttgart? Das ist eine Hausnummer und ein echter Aufreger für die Steuerzahler. Nicht nur in der Landeshauptstadt, die die Hälfte der Kosten stemmen müsste, sondern auch im übrigen Land.
Warum sollen wir alle dafür bezahlen, dass ein paar Reiche in die Oper gehen können? Und warum geben wir für Hochkultur Geld aus, während an den Schulen Lehrer fehlen und die Straßen Schlaglöcher haben? Ist das nicht unangemessen und unanständig?
Ausgaben für Kultur sind heute nicht mehr selbstverständlich. Waren es vielleicht nie. Aber wenn es darum geht, für eine Stadt, eine Region, ein Land zu werben, steht gerade die Kultur an erster Stelle. Sie gilt als weicher Standortfaktor, um Arbeitskräfte anzulocken und die Wirtschaft anzukurbeln. Stichwort: „Umwegrentabilität“. Doch dürfte es nicht ganz leicht sein, die nun im Raum stehende Zahl von 960 Millionen Euro für die Sanierung der Staatsoper in Stuttgart zu vermitteln.
Mögen die Meinungen im Detail auch noch so weit auseinanderliegen, einig sind sich Politik und Bürgerschaft zumindest in einem Punkt: Die Oper in Stuttgart leidet unter einem gewaltigen Renovierungsstau. Die letzte Sanierung liegt 35 Jahre zurück! Eigentlich unverständlich, wie es das Volk der Häuslebauer zulassen konnte, dass eines seiner Vorzeigeobjekte, mit dem man sich im Ausland gerne brüstet, so heruntergekommen ist.
Mag der Theatersaal auch noch immer silbern strahlen, hinter den Kulissen sieht es schlimm aus. Hausherr Marc-Oliver Hendriks, der Geschäftsführende Intendant der Staatstheater, hat es Politikern, Bürgern und Journalisten immer wieder vorgeführt. Da müssen sich die Blechbläser in einem Kämmerchen einspielen, in dem es keinerlei Frischluftzufuhr gibt. Die Sanitäranlagen für die Mitglieder des weltberühmten Stuttgarter Balletts stammen aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Dach ist undicht, und feuchte Stellen finden sich allüberall. Die Arbeitsbedingungen für die 1400 Beschäftigten sind – gelinde gesagt – äußerst prekär.
Das größte Problem aber stellt die Bühnentechnik dar. Der Leiter der Zentralen Technischen Dienste erzählt gern, dass Maschinenbaustudenten von ihren Professoren schon mal vorbeigeschickt würden, um museumsreife Technik kennenzulernen.
Auf einer Informationsreise, zu der die Staatstheater Stuttgart Landesund Kommunalpolitiker vor vier Jahren nach Kopenhagen und London eingeladen hatten, war zu sehen, wie eine moderne Bühne heutzutage funktioniert.
Eines der Hauptprobleme des traditionsreichen Littmann-Baus ist der Platzmangel. Der Bühnenraum ist zu klein. Wenn zum Beispiel für den zweiten Akt ein anderes Bühnenbild gebraucht wird, muss das für den ersten zerlegt werden, weil der Stauraum nicht ausreicht. Das ist aufwendig, kostet Zeit und Geld. Deswegen war eine Idee, das 1912 von Max Littmann erbaute Theater um zwei Meter zu verlängern, um Platz zu gewinnen.
Durch die Aufklärungskampagne der Oper sah es 2015 so aus, als würde gar nicht mehr viel fehlen und das Großprojekt „Opernsanierung“könnte angegangen werden. Ein erster Kostenvoranschlag lag vor: Von 340 Millionen Euro war die Rede.
Jetzt sind wieder vier Jahre ins Land gezogen. Es hat eine Landtagsund eine Kommunalwahl in Stuttgart gegeben, andere Koalitionen sind entstanden. Orte für Ersatzspielstätten wurden genannt und wieder verworfen, Neubau statt Umbau diskutiert. Eine Bürgerinitiative um den TV-Moderator Wieland Backes machte Vorschläge, die dann von der Verwaltung wieder abgelehnt wurden. Und dann platzte
Anfang dieses Monats die Verlautbarung des Verwaltungsrats der Staatstheater wie eine Bombe: Der Umbau der alten Oper könnte bis zu eine Milliarde Euro kosten. Die Diskussionen beginnen wieder von vorn.
Das sei „verflixt viel Geld“findet Marion Gentges, Vorsitzende des CDU-Arbeitskreises Wissenschaft, Forschung, Kunst, und nur schwer zu vermitteln – gerade im ländlichen Raum, wie sie aus ihrem Wahlkreis im Schwarzwald weiß. Nico Weinmann, kulturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, ist ähnlich erschrocken über die hohe Summe, meint aber, man dürfe nicht das eine gegen das andere Projekt ausspielen. Man müsse abwägen: „Denn eine historische Spielstätte mit weltweitem Renommee haben wir in Stuttgart nur einmal.“Rainer Balzer von der AfD ist der Meinung: „Diese Summe ist nicht zu vermitteln. In anderen europäischen Ländern wie in Finnland entstehen wunderbare Gebäude für deutlich weniger Geld, selbst die Elbphilharmonie hat weniger gekostet.“
Für einen anderen Oppositionspolitiker, den Ulmer SPD-Abgeordneten Martin Rivoir, ist klar: „Es steht Baden-Württemberg gut an, zwei hochklassige Häuser in Stuttgart und Karlsruhe zu haben.“Das Land fördere Kunst und Kultur nicht nur in Ballungsräumen, sondern auch in der Fläche. „Keiner dieser Zuschüsse wird gekürzt oder gestrichen, weil in Stuttgart die Oper saniert wird.“Der SPD-Politiker verweist darauf, dass die Staatstheater auch ein bedeutender Arbeitgeber sind und nennt die Arbeitsbedingungen für die 1400 Beschäftigten „absolut unzulänglich“. Er favorisiert einen Neubau auf dem Gelände des neben dem Schauspielhaus liegenden Katharinenstiftes. Der Littmann-Bau solle nach einer Sanierung nur noch fürs Ballett genutzt werden.
Sein Kollege Alexander Salomon, Vorsitzender des Grünen-Arbeitskreises Wissenschaft, Forschung, Kunst, ist da anderer Ansicht: Den Altbau müsse man sanieren. Ein Neubau würde auch deswegen keinen Sinn machen, weil diese Kosten dann zur Sanierung dazukämen. „Natürlich ist eine Milliarde viel Geld. Aber ich halte die Zahl für ehrlich. Im Unterschied etwa zur Elbphilharmonie wurden schon jetzt Faktoren eingerechnet wie die Steigerung der Baupreise, es wurden Risikorücklagen einkalkuliert. Aber lieber am Anfang eine ehrliche, hohe Summe als später dann immer neue Kostensteigerungen.“
Damit liegt Salomon voll auf der Linie seiner Parteifreunde. Kunstministerin Theresia Bauer verteidigt den Ansatz: „Wir hören auf mit der Politik früherer Jahre, sich mit geschönten Zahlen billig in so ein Projekt einzuschleichen.“Es lohne sich, dafür „mit Herz und Kopf zu kämpfen“, meint Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn.
Wieland Backes sieht das anders. Der bekannte TV-Moderator, der sich in der Bürgerinitiative „Aufbruch Stuttgart“engagiert, hält den vorgelegten Kostenplan für „schwer verantwortbar“. Der bekennende Opernliebhaber verweist darauf, dass der „Aufbruch Stuttgart“zwar die Sanierung der Oper für „dringend notwendig“halte, Eingriffe aber, wie ihn der Einbau einer Kreuzbühne erfordere, ablehne. Sein Verein plädiert für eine moderate Ertüchtigung des alten Gebäudes und ansonsten für eine dritte Spielstätte als Neubau. Der könnte als Ersatz während der Renovierung dienen und später als Konzertsaal genutzt werden. Als Standorte schlägt die Initiative das LBBW-Gelände an der
Königstraße 1 bis 3 vor oder das Katharinenstift. Das Problem dabei: Diese Standorte sind bereits im Mai vergangenes Jahr nach einer Prüfung vom Verwaltungsrat verworfen worden. Allerdings sieht Backes „noch keine Mehrheit für die Ein-Milliarden-Lösung“. Die Stuttgarter Stadträte seien keineswegs entschlossen. Denn die Opernsanierung mag eine Verbesserung für die Oper bringen, aber nicht automatisch eine Aufwertung des Kulturquartiers.
Das „Jahrhundertprojekt“, wie es OB Kuhn nennt, muss vermittelt werden. Verschiedentlich wurde eine Bürgerbefragung thematisiert. Doch davon ist momentan nicht mehr die Rede. Auch Ministerpräsident Wilfried Kretschmann hat sich dagegen ausgesprochen. Wieland Backes befürchtet, bei einer Bürgerbefragung würde am Ende alles abgelehnt. „Das hat die Oper nicht verdient. Dazu istsie zu gut und zu wertvoll und zu weltberühmt.“
An vorderster Front steht MarcOliver Hendriks, wenn es darum geht, das Projekt Opernsanierung zu klären. Er ist Geschäftsführender Intendant und für alle drei Häuser der Württembergischen Staatstheater verantwortlich. Als er 2009 sein Amt antrat, stand zunächst die Sanierung des Schauspielhauses an. Dass die Oper renoviert werden musste, war klar. Sie war zuletzt 1984 saniert worden. Ein erstes Gutachten, das Kunkel-Gutachten, bezifferte 2014 die Kosten der Opernsanierung mit 342 Millionen Euro. Eine enorme Diskrepanz zu dem aktuellen Ansatz. MarcOliver Hendriks ist geübt darin, dies zu erläutern: „Das war vor fünf Jahren.
„Ich sehe noch keine Mehrheit für die Ein-Milliarden-Lösung.“Wieland Backes von der Initiative „Aufbruch Stuttgart“
„Wir haben im Jahr über 400 000 Besucher. Das sind nicht die happy few.“Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant
In der Zwischenzeit sind zwei Dinge passiert: Man hat das Raumprogramm mittlerweile sozusagen scharf gestellt, Raum für Raum analysiert. Und das Zweite ist, in den fünf Jahren ist der Baukostenindex zwischen drei bis vier Prozent gestiegen. Die ermittelten 550 Millionen sind daher absolut plausibel.“
Aber erklärt das schon die Steigerung auf fast das Dreifache? An der Stelle wird es kompliziert. Denn die nun vorgelegte „Grobkostenschätzung“kommt erst durch die „Indizierung“, also das Miteinrechnen von allgemeinen Kostensteigerungen und Inflation auf den in Rede stehenden Betrag nahe einer Milliarde. Ohne jene Prognosen gerechnet, komme man, sagt Hendriks, auf Kosten von 550 Millionen Euro „reelle faktenbasierte Ermittlung“. „An dem Punkt sind wir aber heute noch nicht. Wir werden die Abrechnung 2029 machen. Das ist die Annahme, und deswegen hat die Bauverwaltung entsprechende Aufschläge eingearbeitet.“So kommt man am Ende auf die 958 Millionen Euro. „Alles was über die 550 Millionen Euro hinausgeht, ist letzten Endes ein seriöser Sicherheitspuffer mit Blick auf die noch nicht existente architektonische Lösung und im Weiteren eine kostenindizierte Einschätzung zum zukünftigen Inflationsausgleich.“
Man habe einfach viel zu lange von der Substanz gelebt und zu wenig für den Erhalt getan. „Hätte man vor 20 Jahren geplant und vor zehn Jahren angefangen zu sanieren, dann
„Wir hören auf mit der Politik früherer Jahre, sich mit geschönten Zahlen billig in so ein Projekt einzuschleichen.“Kunstministerin Theresia Bauer
wäre die Rechnung sicher eine niedrigere gewesen. Abwarten kostet auch Geld.“Der Zeitfaktor und die Inflation spielten eine große Rolle. Und die genannte eine Milliarde Euro sei eben auch nicht die Kaufkraft von heute. Das sei eine Zahl aus der Zukunft.
Mit großer Leidenschaft werfen sich Hendriks und sein Team in den Kampf um die Oper. Und den Vorwurf, dass Oper nur was für die Reichen sei, weist er zurück. „Wir haben pro Jahr weit über 400 000 Besucher, das sind nicht die happy few. Stuttgart hat 600 000 Einwohner, und es kommen über 400 000 ins Theater. Das ist die Realität. Das Argument ,Theater ist nur was für die Oberen 10 000’ stimmt einfach nicht.“Kulturpessimistische Zweifel über die Zukunft der Oper lässt Hendriks nicht zu: „Ich bin radikal optimistisch. Seit 400 Jahren wird in der Oper gesungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in 400 Jahren auch noch gesungen wird.“