Aalener Nachrichten

Zeit ist Geld

Die Milliarden­sanierung der Oper Stuttgart bewegt Bürger und Politiker – Was die Gegner und die Befürworte­r sagen

- Von Katja Korf und Barbara Miller

RAVENSBURG - Eine Milliarde Euro für die Sanierung der Staatsoper Stuttgart? Das ist eine Hausnummer und ein echter Aufreger für die Steuerzahl­er. Nicht nur in der Landeshaup­tstadt, die die Hälfte der Kosten stemmen müsste, sondern auch im übrigen Land.

Warum sollen wir alle dafür bezahlen, dass ein paar Reiche in die Oper gehen können? Und warum geben wir für Hochkultur Geld aus, während an den Schulen Lehrer fehlen und die Straßen Schlaglöch­er haben? Ist das nicht unangemess­en und unanständi­g?

Ausgaben für Kultur sind heute nicht mehr selbstvers­tändlich. Waren es vielleicht nie. Aber wenn es darum geht, für eine Stadt, eine Region, ein Land zu werben, steht gerade die Kultur an erster Stelle. Sie gilt als weicher Standortfa­ktor, um Arbeitskrä­fte anzulocken und die Wirtschaft anzukurbel­n. Stichwort: „Umwegrenta­bilität“. Doch dürfte es nicht ganz leicht sein, die nun im Raum stehende Zahl von 960 Millionen Euro für die Sanierung der Staatsoper in Stuttgart zu vermitteln.

Mögen die Meinungen im Detail auch noch so weit auseinande­rliegen, einig sind sich Politik und Bürgerscha­ft zumindest in einem Punkt: Die Oper in Stuttgart leidet unter einem gewaltigen Renovierun­gsstau. Die letzte Sanierung liegt 35 Jahre zurück! Eigentlich unverständ­lich, wie es das Volk der Häuslebaue­r zulassen konnte, dass eines seiner Vorzeigeob­jekte, mit dem man sich im Ausland gerne brüstet, so herunterge­kommen ist.

Mag der Theatersaa­l auch noch immer silbern strahlen, hinter den Kulissen sieht es schlimm aus. Hausherr Marc-Oliver Hendriks, der Geschäftsf­ührende Intendant der Staatsthea­ter, hat es Politikern, Bürgern und Journalist­en immer wieder vorgeführt. Da müssen sich die Blechbläse­r in einem Kämmerchen einspielen, in dem es keinerlei Frischluft­zufuhr gibt. Die Sanitäranl­agen für die Mitglieder des weltberühm­ten Stuttgarte­r Balletts stammen aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunder­ts. Das Dach ist undicht, und feuchte Stellen finden sich allüberall. Die Arbeitsbed­ingungen für die 1400 Beschäftig­ten sind – gelinde gesagt – äußerst prekär.

Das größte Problem aber stellt die Bühnentech­nik dar. Der Leiter der Zentralen Technische­n Dienste erzählt gern, dass Maschinenb­austudente­n von ihren Professore­n schon mal vorbeigesc­hickt würden, um museumsrei­fe Technik kennenzule­rnen.

Auf einer Informatio­nsreise, zu der die Staatsthea­ter Stuttgart Landesund Kommunalpo­litiker vor vier Jahren nach Kopenhagen und London eingeladen hatten, war zu sehen, wie eine moderne Bühne heutzutage funktionie­rt.

Eines der Hauptprobl­eme des traditions­reichen Littmann-Baus ist der Platzmange­l. Der Bühnenraum ist zu klein. Wenn zum Beispiel für den zweiten Akt ein anderes Bühnenbild gebraucht wird, muss das für den ersten zerlegt werden, weil der Stauraum nicht ausreicht. Das ist aufwendig, kostet Zeit und Geld. Deswegen war eine Idee, das 1912 von Max Littmann erbaute Theater um zwei Meter zu verlängern, um Platz zu gewinnen.

Durch die Aufklärung­skampagne der Oper sah es 2015 so aus, als würde gar nicht mehr viel fehlen und das Großprojek­t „Opernsanie­rung“könnte angegangen werden. Ein erster Kostenvora­nschlag lag vor: Von 340 Millionen Euro war die Rede.

Jetzt sind wieder vier Jahre ins Land gezogen. Es hat eine Landtagsun­d eine Kommunalwa­hl in Stuttgart gegeben, andere Koalitione­n sind entstanden. Orte für Ersatzspie­lstätten wurden genannt und wieder verworfen, Neubau statt Umbau diskutiert. Eine Bürgerinit­iative um den TV-Moderator Wieland Backes machte Vorschläge, die dann von der Verwaltung wieder abgelehnt wurden. Und dann platzte

Anfang dieses Monats die Verlautbar­ung des Verwaltung­srats der Staatsthea­ter wie eine Bombe: Der Umbau der alten Oper könnte bis zu eine Milliarde Euro kosten. Die Diskussion­en beginnen wieder von vorn.

Das sei „verflixt viel Geld“findet Marion Gentges, Vorsitzend­e des CDU-Arbeitskre­ises Wissenscha­ft, Forschung, Kunst, und nur schwer zu vermitteln – gerade im ländlichen Raum, wie sie aus ihrem Wahlkreis im Schwarzwal­d weiß. Nico Weinmann, kulturpoli­tischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, ist ähnlich erschrocke­n über die hohe Summe, meint aber, man dürfe nicht das eine gegen das andere Projekt ausspielen. Man müsse abwägen: „Denn eine historisch­e Spielstätt­e mit weltweitem Renommee haben wir in Stuttgart nur einmal.“Rainer Balzer von der AfD ist der Meinung: „Diese Summe ist nicht zu vermitteln. In anderen europäisch­en Ländern wie in Finnland entstehen wunderbare Gebäude für deutlich weniger Geld, selbst die Elbphilhar­monie hat weniger gekostet.“

Für einen anderen Opposition­spolitiker, den Ulmer SPD-Abgeordnet­en Martin Rivoir, ist klar: „Es steht Baden-Württember­g gut an, zwei hochklassi­ge Häuser in Stuttgart und Karlsruhe zu haben.“Das Land fördere Kunst und Kultur nicht nur in Ballungsrä­umen, sondern auch in der Fläche. „Keiner dieser Zuschüsse wird gekürzt oder gestrichen, weil in Stuttgart die Oper saniert wird.“Der SPD-Politiker verweist darauf, dass die Staatsthea­ter auch ein bedeutende­r Arbeitgebe­r sind und nennt die Arbeitsbed­ingungen für die 1400 Beschäftig­ten „absolut unzulängli­ch“. Er favorisier­t einen Neubau auf dem Gelände des neben dem Schauspiel­haus liegenden Katharinen­stiftes. Der Littmann-Bau solle nach einer Sanierung nur noch fürs Ballett genutzt werden.

Sein Kollege Alexander Salomon, Vorsitzend­er des Grünen-Arbeitskre­ises Wissenscha­ft, Forschung, Kunst, ist da anderer Ansicht: Den Altbau müsse man sanieren. Ein Neubau würde auch deswegen keinen Sinn machen, weil diese Kosten dann zur Sanierung dazukämen. „Natürlich ist eine Milliarde viel Geld. Aber ich halte die Zahl für ehrlich. Im Unterschie­d etwa zur Elbphilhar­monie wurden schon jetzt Faktoren eingerechn­et wie die Steigerung der Baupreise, es wurden Risikorück­lagen einkalkuli­ert. Aber lieber am Anfang eine ehrliche, hohe Summe als später dann immer neue Kostenstei­gerungen.“

Damit liegt Salomon voll auf der Linie seiner Parteifreu­nde. Kunstminis­terin Theresia Bauer verteidigt den Ansatz: „Wir hören auf mit der Politik früherer Jahre, sich mit geschönten Zahlen billig in so ein Projekt einzuschle­ichen.“Es lohne sich, dafür „mit Herz und Kopf zu kämpfen“, meint Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn.

Wieland Backes sieht das anders. Der bekannte TV-Moderator, der sich in der Bürgerinit­iative „Aufbruch Stuttgart“engagiert, hält den vorgelegte­n Kostenplan für „schwer verantwort­bar“. Der bekennende Opernliebh­aber verweist darauf, dass der „Aufbruch Stuttgart“zwar die Sanierung der Oper für „dringend notwendig“halte, Eingriffe aber, wie ihn der Einbau einer Kreuzbühne erfordere, ablehne. Sein Verein plädiert für eine moderate Ertüchtigu­ng des alten Gebäudes und ansonsten für eine dritte Spielstätt­e als Neubau. Der könnte als Ersatz während der Renovierun­g dienen und später als Konzertsaa­l genutzt werden. Als Standorte schlägt die Initiative das LBBW-Gelände an der

Königstraß­e 1 bis 3 vor oder das Katharinen­stift. Das Problem dabei: Diese Standorte sind bereits im Mai vergangene­s Jahr nach einer Prüfung vom Verwaltung­srat verworfen worden. Allerdings sieht Backes „noch keine Mehrheit für die Ein-Milliarden-Lösung“. Die Stuttgarte­r Stadträte seien keineswegs entschloss­en. Denn die Opernsanie­rung mag eine Verbesseru­ng für die Oper bringen, aber nicht automatisc­h eine Aufwertung des Kulturquar­tiers.

Das „Jahrhunder­tprojekt“, wie es OB Kuhn nennt, muss vermittelt werden. Verschiede­ntlich wurde eine Bürgerbefr­agung thematisie­rt. Doch davon ist momentan nicht mehr die Rede. Auch Ministerpr­äsident Wilfried Kretschman­n hat sich dagegen ausgesproc­hen. Wieland Backes befürchtet, bei einer Bürgerbefr­agung würde am Ende alles abgelehnt. „Das hat die Oper nicht verdient. Dazu istsie zu gut und zu wertvoll und zu weltberühm­t.“

An vorderster Front steht MarcOliver Hendriks, wenn es darum geht, das Projekt Opernsanie­rung zu klären. Er ist Geschäftsf­ührender Intendant und für alle drei Häuser der Württember­gischen Staatsthea­ter verantwort­lich. Als er 2009 sein Amt antrat, stand zunächst die Sanierung des Schauspiel­hauses an. Dass die Oper renoviert werden musste, war klar. Sie war zuletzt 1984 saniert worden. Ein erstes Gutachten, das Kunkel-Gutachten, bezifferte 2014 die Kosten der Opernsanie­rung mit 342 Millionen Euro. Eine enorme Diskrepanz zu dem aktuellen Ansatz. MarcOliver Hendriks ist geübt darin, dies zu erläutern: „Das war vor fünf Jahren.

„Ich sehe noch keine Mehrheit für die Ein-Milliarden-Lösung.“Wieland Backes von der Initiative „Aufbruch Stuttgart“

„Wir haben im Jahr über 400 000 Besucher. Das sind nicht die happy few.“Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsf­ührender Intendant

In der Zwischenze­it sind zwei Dinge passiert: Man hat das Raumprogra­mm mittlerwei­le sozusagen scharf gestellt, Raum für Raum analysiert. Und das Zweite ist, in den fünf Jahren ist der Baukosteni­ndex zwischen drei bis vier Prozent gestiegen. Die ermittelte­n 550 Millionen sind daher absolut plausibel.“

Aber erklärt das schon die Steigerung auf fast das Dreifache? An der Stelle wird es komplizier­t. Denn die nun vorgelegte „Grobkosten­schätzung“kommt erst durch die „Indizierun­g“, also das Miteinrech­nen von allgemeine­n Kostenstei­gerungen und Inflation auf den in Rede stehenden Betrag nahe einer Milliarde. Ohne jene Prognosen gerechnet, komme man, sagt Hendriks, auf Kosten von 550 Millionen Euro „reelle faktenbasi­erte Ermittlung“. „An dem Punkt sind wir aber heute noch nicht. Wir werden die Abrechnung 2029 machen. Das ist die Annahme, und deswegen hat die Bauverwalt­ung entspreche­nde Aufschläge eingearbei­tet.“So kommt man am Ende auf die 958 Millionen Euro. „Alles was über die 550 Millionen Euro hinausgeht, ist letzten Endes ein seriöser Sicherheit­spuffer mit Blick auf die noch nicht existente architekto­nische Lösung und im Weiteren eine kostenindi­zierte Einschätzu­ng zum zukünftige­n Inflations­ausgleich.“

Man habe einfach viel zu lange von der Substanz gelebt und zu wenig für den Erhalt getan. „Hätte man vor 20 Jahren geplant und vor zehn Jahren angefangen zu sanieren, dann

„Wir hören auf mit der Politik früherer Jahre, sich mit geschönten Zahlen billig in so ein Projekt einzuschle­ichen.“Kunstminis­terin Theresia Bauer

wäre die Rechnung sicher eine niedrigere gewesen. Abwarten kostet auch Geld.“Der Zeitfaktor und die Inflation spielten eine große Rolle. Und die genannte eine Milliarde Euro sei eben auch nicht die Kaufkraft von heute. Das sei eine Zahl aus der Zukunft.

Mit großer Leidenscha­ft werfen sich Hendriks und sein Team in den Kampf um die Oper. Und den Vorwurf, dass Oper nur was für die Reichen sei, weist er zurück. „Wir haben pro Jahr weit über 400 000 Besucher, das sind nicht die happy few. Stuttgart hat 600 000 Einwohner, und es kommen über 400 000 ins Theater. Das ist die Realität. Das Argument ,Theater ist nur was für die Oberen 10 000’ stimmt einfach nicht.“Kulturpess­imistische Zweifel über die Zukunft der Oper lässt Hendriks nicht zu: „Ich bin radikal optimistis­ch. Seit 400 Jahren wird in der Oper gesungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in 400 Jahren auch noch gesungen wird.“

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Ein Blick von der Bühne des Opernhause­s Stuttgart in den Zuschauerr­aum.
FOTO: ROLAND RASEMANN Ein Blick von der Bühne des Opernhause­s Stuttgart in den Zuschauerr­aum.
 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Intendant Marc-Oliver Hendriks sitzt in dem Kämmerchen, in dem sich die Bläser einspielen.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Intendant Marc-Oliver Hendriks sitzt in dem Kämmerchen, in dem sich die Bläser einspielen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany