Die Relativitätstheorie der Liebe
In Mariko Minoguchis Thriller „Mein Ende. Dein Anfang“brilliert nicht nur Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl
Ach was ich dich noch fragen wollte ...“– so beginnt Aron einen Satz, bevor er jäh unterbrochen wird. Bald darauf liegt der junge Mann in seinem Blut am Boden und haucht zur Geliebten seine letzten Worte: „... dein Anfang“. Dieser Beginn des Films ist ein zugespitzter Augenblick filmischer Grenzerfahrung, in dem die Empfindungen der Figuren und des Publikums für Sekundenbruchteile in eins fallen: Es ist etwas Fürchterliches geschehen, das unsere Vorstellungskraft sprengt, das wir ganz noch nicht zu erfassen vermögen, aber fühlen können wir es. Und hier, in der Entfesselung der Empfindung, liegt die Kunst der Regie bei „Mein Ende. Dein Anfang“.
Die Münchnerin Mariko Minoguchi bietet viele solcher herausgehobener Augenblicke, kleiner Überschreitungen und Entgrenzungen. Oft regnet es, oft sind diese Momente mit Musik verbunden: Einmal sieht man den von Edin Hasanovic gespielten Natan in einer Karaokebar ein Lied singen. Er tut das nicht richtig gut, aber dennoch berührend, und das fühlt seine neue Bekannte Nora. Da bricht ihre Verzweiflung in stummen Tränen aus ihr heraus.
Oder eine der großartigsten Szenenfolgen: Nora, die am Nachmittag ihren Freund Aron verlorenen hat, und trotzdem zur Arbeit gegangen ist, läuft in voller Absicht und voller Wucht ungebremst gegen eine Stahltür, um im einen Schmerz den anderen zu betäuben. Dann ein Schnitt und wir sehen Nora und Aron zum Münchner Freiheit-Schlager „Ohne Dich“tanzen und den Text stumm dabei mitsingen. Dann wieder ein harter Schnitt, und plötzlich sitzen Natan und seine Tochter im Krankenhaus und erhalten die schockierende Leukämie-Diagnose: „30 bis 50 Prozent Heilungschance.“Katrin Röver spielt in einem phänomenalen Nebenauftritt diese Ärztin als Ausbund der Nüchternheit, die den Schrecken durch Sachlichkeit zu bannen versucht. Da bekommt das Erschütternde einen Witz, wie er nur im Angesicht der Katastrophe möglich ist.
Achronologisch erzählt Minoguchi ihre Geschichte, offen orientiert an Dramaturgien, wie sie Alejandro Gonzalez Innaritu („21 Gramms“) und vor allem Christopher Nolan („Inception“) in den vergangenen 15 Jahren perfektioniert haben. Die Relativitätstheorie, die hier durch die filmische Struktur entfaltet wird, ist eine der Liebe.
„Mein Ende. Dein Anfang“ist ein Film, der einen großen Bogen schlägt, und dabei von vielen kleinen
Details lebt. Es geht um zwei Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung finden. Es geht um Nora, eine Frau zwischen zwei Männern, und darum, wie man mit einer traumatischen Erfahrung umgeht.
Handwerklich arbeitet die Regisseurin vor allem mit konsequentem, intensivem Tempo. Ihr zur Seite steht ein bis in die Nebenrollen überdurchschnittliches Ensemble, in dem allerdings Saskia Rosendahl überragt. Sie vermag es, in jedem ihrer Filme eine ganz andere Facette zu zeigen. Hier ist es eine Mischung aus Erschütterung und Unverwüstlichkeit: Ihre Verwundung ist immer zu sehen, und zugleich ist ihre Nora nicht zuletzt ein normaler Mensch mit Launen.
„Mein Ende. Dein Anfang“ist ein großer Wurf. Unbedingtes Kino, das mehr will, als die fernsehdominierten Dramaturgien und Ästhetiken in Deutschland gemeinhin zulassen.
Mein Ende. Dein Anfang. Regie: Mariko Minoguchi. Deutschland 2019. FSK ab 12. Mit Saskia Rosendahl, Edin Hasanovic.