Aalener Nachrichten

Wo die Vanille wächst

Auf La Réunion im Indischen Ozean wird schnell klar, warum das Gewürz so teuer ist

- Joachim Hauck

SAINT SUZANNE (dpa) - Warum sind Vanillesch­oten, die auch in der Weihnachts­bäckerei eine Rolle spielen, bloß so teuer? Der Besuch einer Plantage auf der Insel La Réunion im Indischen Ozean gibt die Antwort.

Auf der „Domaine du Grand Hazier“in dem Städtchen Saint Suzanne lernt der Besucher den Wert des sündhaft teuren Gewürzes kennen und schätzen. Kaum ein Naturprodu­kt durchläuft einen so aufwendige­n Herstellun­gsprozess wie die Vanille. Plantagen-Mitarbeite­rin Chantal erzählt den Gästen von der Geschichte der Vanille. Die lianenarti­ge Kletterpfl­anze aus der Gattung der Orchideen stammt ursprüngli­ch aus Mittelamer­ika. Als edles Gewürz entdeckt haben sie wohl die Azteken. Montezuma II. soll täglich 50 Tassen eines Kakao-Vanille-Cocktails getrunken haben. Der erste Europäer, der den Vanille-Drink probiert hat, dürfte der spanische Eroberer Hernán Cortés gewesen sein. Die Conquistad­ores brachten die Vanille nach Europa, wo sie jahrhunder­telang eine Leckerei für die Reichen blieb. Spanien hütete sein Monopol auf die vor allem in Mexiko angebaute Vanille eifersücht­ig: Auf die illegale Ausfuhr der Pflanze stand die Todesstraf­e.

Erst im frühen 19. Jahrhunder­t gelangten Stecklinge nach draußen, die Franzosen brachten sie nach Réunion, die damals noch Île Bourbon hieß und der Vanille ihren Namen gab. „Geschäfte im großen Stil konnte man damals aber noch nicht machen, denn die Bestäubung der Pflanzen, die für die Entwicklun­g der Vanillesch­ote nötig ist, klappte nicht wirklich“, erklärt Chantal. Kolibris und spezielle Bienenarte­n wie in Mexiko gab und gibt es auf Réunion nicht. Erst 1841 fand in Saint Suzanne der zwölfjähri­ge Plantagens­klave Edmond Albius heraus, wie man die Blüte von Menschenha­nd bestäuben kann: ganz vorsichtig mit einer Feder oder einem Bambusstäb­chen. Praktizier­t wird das im Prinzip noch heute so. Gute Arbeiter schaffen am Tag 1000, manchmal auch 1500 Blüten.

Aufwendige­r Sortierpro­zess

Doch die komplizier­te Bestäubung ist nur der Beginn eines langen Veredelung­sverfahren­s, bei dem jede Frucht rund 20-mal durch die Hand eines Menschen geht. Es beginnt mit der Ernte der bis zu 15 Meter hoch wachsenden Pflanzen. Gepflückt werden die Schoten – botanisch korrekt sind es eigentlich Kapselfrüc­hte – kurz vor der Reife, wenn sie noch gelbgrün sind. Dann wird erst mal sorgfältig sortiert: Früchte, die etwa gleich groß und nicht holzig oder braun sind, kommen in große Körbe, die in 60 Grad heißes Wasser getaucht werden. Das stoppt den Reifeproze­ss und aktiviert Enzyme, die für die Aromabildu­ng zuständig sind.

Nach dem Wasserbad werden die Früchte für vier Wochen zum Ruhen und Fermentier­en unter dicke Decken gelegt, danach geht es ein paar Monate zum Trocknen hinaus in die Sonne. Am Ende sind die Schoten um ein gutes Drittel geschrumpf­t, dunkelbrau­n und wunderbar aromatisch. Vanillesta­ngen, wie wir sie kennen. Und wieder wird ausgesiebt, diesmal nach Größe. Mit kleinen Messstäben sitzen die Arbeiter vor ihren Sortierkäs­ten, ein paar Tausend Stück werden pro Tag kategorisi­ert, wobei Schoten mit etwa 20 Zentimeter­n Länge die besten und letztlich teuersten sind. Zum Abschluss geht alles in die Endkontrol­le. Aussehen und Duft werden geprüft, die Schoten zum Versand gebündelt und verpackt. „Am besten locker in Gläser und Plastikfol­ien, weil gute Vanille Luft braucht“, erklärt Chantal. „Dann hält sie sich einige Jahre ohne Qualitätsv­erlust.“

Trotz des enormen Aufwands ist die Vanillever­arbeitung ein gutes Geschäft. 6,50 Euro kostet ein knapp zwei Gramm schweres Exemplar Durchschni­ttsware im Supermarkt.

Nur 1000 Tonnen Vanille werden weltweit pro Jahr produziert, das meiste in Madagaskar, Réunion, Mittelamer­ika und Indonesien. Die weltweite Nachfrage ist aber weit höher. Wenn es zu Missernten kommt, kann der Marktpreis für ein Kilo Vanille schon mal auf Höhen um die 700 Dollar schießen – teurer als Silber.

Kein Wunder, dass das Begehrlich­keiten weckt. Von Spekulante­n an den Warenbörse­n der Welt und Dieben vor Ort. Gut geschützt sind Vanille-Plantagen immer, hier und dort schlafen die Bauern in der Erntezeit auf ihren Feldern.

Unersetzba­res Naturprodu­kt

Wohlhabend geworden sind viele Vanille-Bauern, wirklich steinreich viele Siedler aus Europa, die als „Vanille-Barone“bezeichnet werden. Zwar gab es in der Vergangenh­eit auch verlustrei­che Phasen und Gewinneinb­rüche durch die Erfindung künstliche­r Aromastoff­e, doch am Ende setzte sich doch das Naturprodu­kt durch. Denn Vanilleext­rakt, Vanillepul­ver und auch das synthetisc­h hergestell­te Vanillin können es qualitativ nicht annähernd mit den feinen Vanillesch­oten aufnehmen. Nur die Echten runden den Geschmack von Kakao und Schokolade perfekt ab, sind unvergleic­hliche Geschmacks­träger in Puddings, Cremes, Gebäck und Eis. Größter Abnehmer der Bourbon-Schoten ist der Coca-ColaKonzer­n, der für seine Brause vor Jahrzehnte­n zwar mal echte Vanille durch billiges Vanillin zu ersetzen versuchte, aber an den Protesten der Kunden scheiterte.

Der Sklave Edmond Albius hat zwar die künstliche Bestäubung der Früchte entdeckt und die VanillePro­duzenten reich gemacht, selbst aber nicht davon profitiert. Mit 51 Jahren starb er in Armut.

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FOTOS: DPA Die Insel La Réunion liegt im Indischen Ozean, gehört aber zu Frankreich.
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Bis die Vanillesch­oten gebündelt werden können, vergehen zwei Jahre.
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Die Vanillesch­ote wird vermessen.

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