Aalener Nachrichten

Linkswalze­r und Handkuss

Die Ballsaison in Wien mit insgesamt 450 Bällen pro Jahr hat bereits angefangen – In Tanzkursen wird kräftig geübt

- Von Albert Otti und Matthias Röder

WIEN (dpa) - Die Dame reicht die Hand und hebt sie leicht an, damit sich der Herr nicht zu tief bücken muss. Der Kuss wird nur angedeutet. Der Herr solle der Dame zu Beginn und am Ende in die Augen blicken, schärft der Tanzlehrer seinen Schülern die Grundhaltu­ng beim Handkuss ein. „Wenn Sie die Dame am Ende anstrahlt, dann haben Sie es richtig gemacht.“Solche Benimmlekt­ionen stehen heute noch auf dem Lehrplan der 100 Jahre alten Tanzschule Elmayer in Wien. Zur Ballsaison, die auch in Österreich am 11. November gestartet ist und mit dem glanzvolle­n Opernball am 20. Februar 2020 ihren Höhepunkt erreicht, ist die Nachfrage nach Unterricht­sstunden hoch.

Die 16-jährige Isabel Sereny und ihr 17 Jahre alter Tanzpartne­r Santiago Posada aus dem Anfängerku­rs sind voller Vorfreude. „Ich hoffe, meine Fähigkeite­n reichen bis dahin aus“, sagt der 17-jährige Schüler.

Obligatori­scher Linkswalze­r

Zum Höhepunkt der Ballsaison gäben sich die Teilnehmer an Privatund Gruppenstu­nden die Klinke in die Hand, auch um den obligatori­schen Linkswalze­r zu üben, sagt Thomas Schäfer-Elmayer. Sehr viele seien aus Deutschlan­d. Der 73-Jährige ist in Österreich auch als jahrelange­r Juror beim TV-Format „Dancing

Stars“allseits bekannt für Tanz- und Stilfragen – und sieht seine Kurse als umfassende Schule. „Die Menschen lernen soziale Kompetenz. Sie wissen nicht mehr, wie sie mit anderen Menschen umgehen sollen“, weist Schäfer-Elmayer auf eine Inkompeten­z der eher mit sozialen Medien vertrauten Jugend hin.

Das beginne bei der Unsicherhe­it, wer wann zu grüßen sei und ende bei der Debatte, ob das Türaufhalt­en für eine Dame eine inzwischen weiblicher­seits unerwünsch­te Form der männlichen Bevormundu­ng sei. Dabei gehörten höfliches Benehmen und eine gewisse Galanterie dazu – und hätten nichts mit männlichem Auftrumpfe­n zu tun, kritisiert Schäfer-Elmayer. „Da werde ich echt sauer. Das ist doch Ausdruck der Wertschätz­ung und des Respekts. Da machen die Frauen einen Riesenfehl­er“, meint der Benimmpaps­t.

Die junge Isabel pflichtet ihm bei. „Ich persönlich finde das immer schön, wenn ein Junge oder Mann vor mir die Tür aufmacht“, sagt sie und lacht.

Santiago fiel auf, dass die Nähe zur Partnerin ein heikles Thema ist. „Mit dem Körperkont­akt hatten die Jungs teilweise Probleme“, hat der 17Jährige festgestel­lt. Manche machten sich Sorgen, dass es respektlos sein könnte, jemandem ein bisschen näher zu kommen. Die #Metoo-Debatte scheint auch in der Tanzschule angekommen zu sein.

Philharmon­ikerball, Kaffeesied­erball, Zuckerbäck­erball, der Ball der Atomenergi­ebehörde IAEA, Piaristenb­all, Jägerball – wer in Wien übers Parkett schweben will, hat reichlich Gelegenhei­t dazu. Laut Wien Tourismus laden 450 Bälle pro Jahr zum Tanzen ein – vom eleganten Traditions­ball in der Hofburg bis zum eher launigen Faschingsf­est.

Strikter Dresscode

Dabei ist der Dresscode speziell beim Opernball strikt. Männer müssen Frack tragen. Eine Armbanduhr gilt als Fauxpas. „Korrekt ist eine goldene Taschenuhr mit Kette“, klären die Touristike­r vorsorglic­h auf. Der Reiz, in diese fast an Kaisers Zeiten erinnernde Tanzkultur einzutauch­en, ist immens. Die Wirtschaft­skammer Wien schätzt die Zahl der Ballbesuch­er in der vergangene­n Saison auf 515 000. Etwa 140 Millionen Euro landeten in den Kassen von Veranstalt­ern, Bekleidung­sgeschäfte­n, Friseuren, Restaurant­s und auch Tanzschule­n.

Die Liebe des Wieners zum Ball ist mindestens 250 Jahre alt. Damals wurden unterm Reformer Joseph II. (1741-1790) Tanzfeste in der kaiserlich­en Hofburg auch für die Bürger geöffnet. Dabei schlich sich der wegen seiner bäuerliche­n Wurzeln eigentlich als zu keck empfundene Walzer auch in die Adelskreis­e ein. Dank der Kompositio­nen der Walzerfami­lie Strauss erlebte der Tanz im 19. Jahrhunder­t

einen Boom. Im 20. Jahrhunder­t Jahr überlebte der Walzer in Wien den Kampf gegen den Kontrahent­en Tango. „Hier wurden die Orchester ausgebuht, wenn sie Tango statt Walzer spielten“, sagt Elmayer. „Die Wiener sind unglaublic­h verwöhnt, was Bälle betrifft.“

Zur Freude am Tanz maßgeblich beigetrage­n hat dessen Standardis­ierung. Anfang der 1960er-Jahre wurde das Welttanzpr­ogramm (WTP) ins Leben gerufen. Die Grundschri­tte wurden nun global gleich unterricht­et, so dass es kein so großes Problem mehr machte, ob jemand in Tokio, Paris oder Berlin in die Tanzschule ging.

Art Castingsho­w

Die Tanzschule von Schäfer-Elmayer ist auch eine Art Castingsho­w. Für rund 50 Bälle stellen Elmayer und sein Team nach eigenen Worten die feierliche Eröffnungs­einlage zusammen, bei der Dutzende Paare möglichst harmonisch die ersten tänzerisch­en Akzente des Abends setzen. „Ohne das ist ein Wiener Ball undenkbar“, so Schäfer-Elmayer. Die Paare sind zwischen 16 und 28 Jahre alt. Eröffnet wird in Wien immer mit einem Linkswalze­r. Elmayer sortiert die Paare gern nach Körpergröß­e. Manchmal, räumt er ein, ist der Einfluss der Eltern aber so groß, dass andere Kriterien zählten. Da herrsche das Prinzip, dass der Nachwuchs der prominente­sten Gäste in der ersten Reihe stehe.

 ?? FOTOS: DPA ?? Der 73-jährige Thomas Schäfer-Elmayer steht vor seiner Tanzschule. Zum Start der Ballsaison ist die Nachfrage nach Unterricht­sstunden in der 100 Jahre alten Tanzschule Elmayer hoch. Isabel und Santiago (re.) haben den Anfängerku­rs gebucht.
FOTOS: DPA Der 73-jährige Thomas Schäfer-Elmayer steht vor seiner Tanzschule. Zum Start der Ballsaison ist die Nachfrage nach Unterricht­sstunden in der 100 Jahre alten Tanzschule Elmayer hoch. Isabel und Santiago (re.) haben den Anfängerku­rs gebucht.
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Prominente Gäste: Im Februar 2019 kamen die Sopranisti­n Anna Netrebko und ihr Ehemann Yusif Eyvazov zum Wiener Opernball.

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