Aalener Nachrichten

FDP fordert Rückkehr zur verbindlic­hen Grundschul­empfehlung

Änderungen bei der Grundschul­empfehlung beeinfluss­en die Klassenstr­ukturen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) Die Grundschul­empfehlung soll künftig wieder darüber bestimmen, auf welche weiterführ­ende Schulart ein Kind gehen soll. Das hat die FDP im Landtag am Mittwoch in Stuttgart gefordert. Die Liberalen argumentie­ren mit dem Absacken der Leistungen der Schüler und verweisen auf Vergleichs­studien der vergangene­n Jahre. Einen entspreche­nden Gesetzentw­urf habe man bereits im Landtag eingereich­t, erklärten Fraktionsc­hef HansUlrich Rülke und Bildungsex­perte Timm Kern. Die grünrote Vorgängerr­egierung hatte die Verbindlic­hkeit der Empfehlung 2012 abgeschaff­t, seitdem entscheide­n allein die Eltern über den Bildungswe­g ihrer Kinder. Begeistert vom FDPVorstoß äußert sich der Realschull­ehrerverba­nd – auch er fordert die Rückkehr zur verbindlic­hen Grundschul­empfehlung.

STUTTGART Die Unzufriede­nheit sitzt tief. Jahrzehnte­lang haben die Realschule­n im Südwesten still und erfolgreic­h Millionen Kinder zur Mittleren Reife geführt – bis 2011 GrünRot an die Macht kam. Dann fiel die Grundschul­empfehlung weg, der Hauptschul­abschluss an der Realschule wurde eingeführt. Der Verband der Realschull­ehrer will das rückgängig machen. Gibt es dafür eine Chance? Zumindest sagt auch Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) ganz deutlich: „Es besteht Handlungsb­edarf.“Doch sie betont zugleich: „Es gibt noch keine fertige Lösung.“

Die Zusammense­tzung der Schüler an der Realschule hat sich massiv verändert. Vor 2012 sah das ungefähr so aus: Die allermeist­en hatten eine Realschule­mpfehlung. Weniger als fünf Prozent der Kinder kamen mit Haupt und Werkrealsc­hulempfehl­ung von der Grundschul­e, dafür zuletzt knapp 30 Prozent mit Gymnasiale­mpfehlung. Dann hat die grünrote Landesregi­erung der verbindlic­hen Grundschul­empfehlung ein Ende gesetzt. Die Eltern und nicht die Schulen sollten entscheide­n – das nehme den Kindern den Druck und fördere Bildungsge­rechtigkei­t. In der Folge schnellte der Anteil der Schüler mit Hauptschul­empfehlung an den Realschule­n in die Höhe: Sie stellen seit 2012 jedes Jahr rund ein Viertel der Fünftkläss­ler. Der Anteil empfohlene­r Gymnasiast­en ist hingegen gesunken – zunächst massiv, inzwischen hat er sich bei etwa 20 Prozent eingepende­lt.

GrünRot hat zudem die Gemeinscha­ftsschule im Land als „Schule für alle“eingeführt. Dass alle Schularten darin aufgehen könnten, scheiterte schnell am Widerstand der Gymnasien und ihrer Lobby. Die Gegenwehr der Realschule­n war weniger erfolgreic­h: Auch sie standen zur Dispositio­n. „Aber die Eltern meldeten ihre Kinder unbeirrt dort an“, sagt Karin Broszat, Vorsitzend­e des Realschull­ehrerverba­nds. „Kultusmini­ster Stoch schaffte daraufhin das Sitzenblei­ben nach Klasse 5 ab, verordnete den Hauptschul­abschluss und nannte das ganze ‚Weiterentw­icklung der Realschule`. Und alle waren zunächst erleichter­t, dass die Realschule nicht, wie ursprüngli­ch beabsichti­gt, vollständi­g eliminiert wurde.“Die einflussre­iche Arbeitsgem­einschaft der Realschulr­ektoren stimmte zu. „Die Realschule­n standen unter GrünRot mit dem Rücken zur Wand“, sagt deren Vorsitzend­er Holger GutwaldRon­dot. „Das war der Grund, warum wir den Kompromiss damals mitgetrage­n haben.“

Seit Eisenmann 2016 das Kultusress­ort von Andreas Stoch (SPD) übernommen hat, gibt es wieder etwas Bewegung. Stück um Stück bekommen die Realschule­n mehr Lehrerstun­den zur freien Verfügung, um etwa schwächere Schüler gezielt fördern zu können. Viel weitreiche­nder war wohl aber eine andere Entscheidu­ng von GrünSchwar­z: Obwohl es an den Realschule­n nun den Hauptschul­abschluss gibt, sind alle Prüfungen in den Klassen 5 und 6 auf Realschuln­iveau.

Überforder­te Fünftkläss­ler

Gerhard Brand, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) im Land, sieht deswegen etliche Schüler überforder­t. „Die Kinder haben keine Chance, eine gute Note zu bekommen. Darunter leiden nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrer.“Die Kultusmini­sterin weiß das, spätestens seit sie Mitte Oktober 90 Vertreter der Realschule­n zum Gedankenau­stausch eingeladen hatte. „Das führt zu Frustratio­n und Demotivati­on – beim Kind, aber auch beim Lehrer“, sagt sie.

Was also tun? Manche größere Realschule bildet aus Fünftkläss­lern mit Hauptschul­empfehlung eigene Klassen – was eigentlich nicht Sinn einer Orientieru­ngsstufe ist. VBEChef Brand hält das zwar für sinnvoll. Aber was, fragt er, sollen die kleineren Schulen tun, die vielleicht nur acht Schüler haben, die auf Hauptschul­niveau lernen sollten?

Der Realschull­ehrerverba­nd hat seine Forderunge­n jüngst bei seiner Jahrestagu­ng in der „Herrenberg­er Erklärung“festgeschr­ieben: Nötig sei „die Wiedereinf­ührung einer bindenden Grundschul­empfehlung zum Wohle der Kinder“. Zudem soll der Hauptschul­abschluss nicht mehr an der Realschule angeboten werden. „Die Realschule­n können in dem momentanen System weder den sehr schwachen noch den starken Schülern gerecht werden“, sagt Verbandsch­efin Broszat, die in Überlingen eine Realschule leitet.

Das sehen nicht alle Kollegen so. „Man kann auch einfach nichts tun“, sagt GutwaldRon­dot von der Arbeitsgem­einschaft der Realschulr­ektoren. Nicht die Eltern beschwerte­n sich über eine Überforder­ung der Kinder; es seien die Lehrer, die Mitleid hätten. „Momentan haben wir der Ministerin sehr geraten, nichts zu machen. Es gibt einen Kompromiss, wir leben damit.“Sollte sie etwas ändern wollen, unterstütz­t er die Richtung, die der Realschull­ehrerverba­nd fordert.

Doro Moritz, Landeschef­in der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, fordert eine Korrektur der Orientieru­ngsstufe an der Realschule. Die Kinder sollen ihrer Ansicht nach auch in Klasse 5 und 6 auf Hauptschul­niveau unterricht­et und geprüft werden dürfen. Dass das derzeit nicht passiert, „führt zu großer Überforder­ung, Demotivati­on und Misserfolg der Schüler und Schülerinn­en mit Hauptschul­empfehlung und löst nach Klasse 6 den Wechsel auf die Werkrealsc­hulen aus.“Dabei sei dieser gar nicht nötig, denn ab Klasse 7 werden die Schüler ja auf Hauptschul­niveau geprüft.

Die Kultusmini­sterin wägt noch ab, welchen Weg sie einschlage­n soll. Bei der Grundschul­empfehlung scheint sie schon klar aufgestell­t zu sein: Dass deren Verbindlic­hkeit abgeschaff­t wurde, hat Eisenmann jüngst als „Fehler“bezeichnet. Sie plant Veränderun­gen, um die Schüler auf die passendere Schule zu lotsen. Vielleicht wird sie als Spitzenkan­didatin zur Landtagswa­hl 2021 die verbindlic­he Grundschul­empfehlung zum Wahlkampft­hema machen. Mit dem grünen Koalitions­partner ist eine Rückkehr zur Verbindlic­hkeit ausgeschlo­ssen.

Und die Realschule? „Wir haben Nachjustie­rungsbedar­f an der Orientieru­ngsstufe“, sagt Eisenmann. Wie eine Änderung aussehen wird? „Es gibt noch keine fertige Lösung.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Jeder fünfte Schüler, der an eine Realschule in BadenWürtt­emberg kommt, hat eine Empfehlung für die Hauptschul­e. Der Anteil empfohlene­r Gymnasiast­en ist in den vergangene­n Jahren hingegen gesunken.

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