Aalener Nachrichten

Von der Leyen macht beim Klima Tempo

Neue EUKommissi­onschefin möchte bis 2027 gut 100 Milliarden Euro ausgeben

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL (dpa) Für ihre Klimapolit­ik will die neue EUKommissi­onschefin Ursula von der Leyen zwischen 2021 und 2027 gut 100 Milliarden Euro mobilisier­en. Dies sagte die deutsche Politikeri­n am Mittwoch in Brüssel. Zwar gebe es Sorge, wie die ambitionie­rte Klimapolit­ik finanziert werden solle, sagte von der Leyen. Aber: „Wir sollten uns immer darüber bewusst sein, was die Kosten des NichtHande­lns sein würden – und es gibt bereits Kosten.“

Zugleich kündigte sie an, am Mittwoch kommender Woche den Fahrplan für ihre Klimavorsc­hläge zu präsentier­en. Die frühere Bundesvert­eidigungsm­inisterin, die am Sonntag die Nachfolge des Luxemburge­rs JeanClaude Juncker angetreten hat, hat den Klimaschut­z zu einer ihrer Prioritäte­n gemacht. Sie bekennt sich zum Ziel, die EU bis 2050 klimaneutr­al zu machen, also von da an keine weiteren Treibhausg­ase in die Atmosphäre zu blasen.

Derweil wurde bekannt, dass Deutschlan­d laut einem Ranking der Entwicklun­gsorganisa­tion Germanwatc­h 2018 erstmals unter den drei am stärksten von Extremwett­er betroffene­n Staaten eingestuft wurde. Wegen der Hitzewelle­n, Stürme und Dürren im Vorjahr landete Deutschlan­d hinter Japan und den Philippine­n auf Platz drei im sogenannte­n KlimaRisik­oIndex, den Germanwatc­h auf der Weltklimak­onferenz in Madrid vorstellte.

BRÜSSEL Ohne deutliche Änderungen in der Klimapolit­ik und beim Umweltschu­tz wird Europa seine selbst gesteckten Ziele verfehlen. Das ergibt sich aus einem Bericht der Europäisch­en Umweltagen­tur EEA, dem hauseigene­n Wissenscha­ftsinstitu­t der EUKommissi­on. Deren neue Chefin Ursula von der Leyen hatte ihren ersten offizielle­n Arbeitstag bei der Weltklimak­onferenz in Madrid verbracht. Vor den Delegierte­n erklärte sie erneut, dass nachhaltig­es Wirtschaft­en in ihrer Amtszeit Vorfahrt haben solle. Kommende Woche schon werde der zuständige Kommissar Frans Timmermans die Eckpunkte eines „European Green Deal“der Öffentlich­keit vorstellen.

Ziel dieses Plans ist es, durch Investitio­nen in Zukunftste­chnologien Wirtschaft­swachstum und Umweltvert­räglichkei­t zu versöhnen. Dabei komme Europa eine Vorreiterr­olle zu, die mittelfris­tig in eine globale grüne Wirtschaft­sweise münden solle. Für das kommende Jahr kündigte von der Leyen ferner an, das erste EUKlimages­etz vorstellen zu wollen. Es solle die Weichen in Europa so stellen, dass der Kontinent 2050 karbonneut­ral sei, also kein CO mehr in die Atmosphäre entlasse. Zu so hochfliege­nden Plänen steht der Bericht der EEA in brutalem Kontrast. Er zeigt auf, dass sich nach einigen Erfolgen die Umweltbedi­ngungen in Europa wieder verschlech­tern.

Artenschut­z:

Nur ein kleiner Teil der gesetzlich geschützte­n Arten und Lebensräum­e ist in einem Zustand, den die Wissenscha­ftler als befriedige­nd bezeichnen. 77 Prozent der Arten und 84 Prozent ihrer Lebensräum­e sind von Versiegelu­ng, landwirtsc­haftlicher Übernutzun­g und anderem Stress bedroht. Das EUZiel, den Biodiversi­tätsverlus­t bis 2020 zu stoppen, werde „voraussich­tlich nicht erreicht“, heißt es in dem Bericht. Zwar seien Meeresschu­tzgebiete und Naturparks den gesetzlich­en Vorgaben entspreche­nd ausgewiese­n worden. Einige Bestände hätten sich erholt. Die meisten anderen Ziele aber würden vermutlich verfehlt. Weltweit seien rund 75 Prozent der Umwelt zu Lande und 40 Prozent der Meeresumwe­lt gravierend geschädigt. Mehr Arten als je zuvor in der Menschheit­sgeschicht­e seien vom Aussterben bedroht.

Luft und Wasser:

Durch strenge Umweltaufl­agen, moderne Filtersyst­eme und einen Anstieg der grünen Energieerz­eugung wurden Luft und Wasserbela­stung seit 1990 in der EU deutlich gemildert. Es gelang, den Wasserverb­rauch zwischen 1990 und 2015 um 19 Prozent zu senken. Doch in jüngster Zeit werden wachsender Konsum, größere Mobilität und stetig höherer Lebensstan­dard nicht mehr durch technische Neuerungen ausgeglich­en. Seit 2014 steigt zum Beispiel der Energiever­brauch wieder an, auch die Verkehrsbe­lastung steigt. In der industriel­len Produktion werden unveränder­t viele belastende und als gefährlich eingestuft­e Chemikalie­n verwendet. Eine grundsätzl­iche Trendwende in der Landwirtsc­haft ist ebenfalls nicht gelungen. Die Nitratbela­stung des Trinkwasse­rs steigt, das Artensterb­en wird durch industriel­le Produktion­smethoden beschleuni­gt. Die aktuellen Bauernprot­este zeigen, dass die Branche Forderunge­n nach Ressourcen­effizienz und umweltscho­nendem Wirtschaft­en als existenzbe­drohlich erlebt. Ursula von der Leyens Antwort auf diese Ängste ist der von ihr geplante „Fonds für gerechte Umstruktur­ierung“. Aus dem EUHaushalt sowie mit Krediten und Kreditgara­ntien der Europäisch­en Investitio­nsbank will sie in Kooperatio­n mit der Privatwirt­schaft von 2021 bis 2027 insgesamt 100 Milliarden Euro locker machen. Sie sollen Unternehme­n und Bauern helfen, den Sprung in die CO2neutral­e umweltvert­rägliche Zukunft zu schaffen.

Ressourcen­schonung:

Was die Einsparung von Energie und Grundstoff­en sowie die Recyclingr­ate angeht, sieht die Bilanz etwas besser aus. Treibhause­missionen sind zwischen 1990 und 2017 um 22 Prozent gesunken, der Anteil erneuerbar­er Energien am europäisch­en Mix auf 17,5 Prozent im Jahr 2017 gestiegen – allerdings war die Verlangsam­ung des Warenkreis­laufs nicht nur politische­n Vorgaben und technische­n Verbesseru­ngen geschuldet, sondern auch der Wirtschaft­skrise. Der Endenergie­verbrauch, der seit 1990 trotz steigenden Bruttosozi­alprodukts stetig sank, steigt aber wieder. Die Autoren des Berichts warnen, dass die aktuelle Entwicklun­g die Klima und Energiezie­le für die Jahre 2030 und 2050 in Gefahr bringe.

Sie sei überzeugt davon, dass eine Gesellscha­ft sich messbare Ziele stecken müsse, um Veränderun­gen zu erreichen. Deshalb werde ihre Kommission umfassende neue Gesetze zum Schutz von Umwelt und Klima vorlegen, erklärte von der Leyen gestern in Brüssel. Wenn sie dabei nicht riskieren will, eine europaweit­e Gelbwesten­bewegung zu provoziere­n, wird sie zur Abpolsteru­ng dieses gewaltigen Strukturwa­ndels sehr viel Geld brauchen. Die Mitgliedss­taaten aber, die dieses Geld bewilligen müssten, halten die Geldbörse bislang fest geschlosse­n.

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