Verfassungsrechtler sprechen von Machtmissbrauch
Mehrere führende Juristen sehen ein Amtsenthebungsverfahren gegen den USPräsidenten als gerechtfertigt an – Kollegen widersprechen
WASHINGTON Amtsmissbrauch, Bestechung, Behinderung von Ermittlungen: Im USKongress präsentieren mehrere Verfassungsrechtler ihre Sicht auf die Vorwürfe gegen Donald Trump.
Immer wieder spricht Noah Feldman, als Experte geladen, von der Monarchie. Von der absoluten Macht gekrönter Häupter, der die amerikanische Republik am Ende des 18. Jahrhunderts ihr eigenes, rechtsstaatliches Modell entgegensetzen wollte. „Wenn wir einen Präsidenten, der seine Macht zum persönlichen Vorteil missbraucht, nicht seines Amtes entheben können, dann leben wir nicht mehr in einer Demokratie. Dann leben wir in einer Monarchie oder einer Diktatur“, sagt der Rechtsprofessor aus Harvard.
Was Donald Trump gegenüber der Ukraine getan habe, nämlich eine ausländische Regierung zu erpressen, damit sie ihm durch Ermittlungen gegen seinen potenziellen Wahlkampfgegner Joe Biden Vorteile verschaffe, stelle exakt den Fall dar, für den die Gründer der Republik das Instrument des Impeachments geschaffen hätten.
Vier der renommiertesten Verfassungsrechtler der USA lassen sich von den Abgeordneten des Justizausschusses befragen. Im Prachtambiente mit Kronleuchtern, Tempelsäulen und Steinadlern waren bereits die Anhörungen des Geheimdienstausschusses über die Bühne gegangen. Nun soll das Judiciary Committee darüber entscheiden, ob es dem Repräsentantenhaus eine Absetzung des Präsidenten empfiehlt. Außerdem soll es eine Anklageschrift verfassen, in der es die Gründe dafür auflistet. Am Mittwoch beginnt es mit einem Hearing, das an das Rechtsseminar einer Hochschule denken lässt. Thema: Impeachment. Was spricht dafür? Was dagegen?
Wie ist Trumps Verhalten im historischen Kontext zu werten? Wie hätten es die Gründerväter um George Washington gesehen?
Drei der Gelehrten, von den Demokraten ausgewählt, sehen alle Voraussetzungen für eine Amtsenthebung erfüllt. Allein das Telefonat, das Trump am 25. Juli mit Wolodymyr Selenskyj führte und in dessen Verlauf er dem Staatschef der Ukraine Untersuchungen gegen Biden und dessen Sohn nahelegte, reicht in Feldmans Augen aus, um den Schritt zu gehen. Pamela Karlan (Universität Stanford) spricht von einem Stich „ins Herz dessen, was aus diesem Land eine Republik macht“.
Anders sieht es Jonathan Turley, ein JuraProfessor aus Washington, den die Konservativen als Zeugen nominiert hatten. Ihm mache Sorge, dass die Opposition die Latte für ein
Impeachment allein wegen ihrer Wut auf Trump zu niedrig hänge. „Ich begreife es, wir alle sind wütend“, sagt Turley und spricht von den Demokraten, den Republikanern, seiner Frau, seinen Kindern und sogar von seinem Hund, einer Mischung aus Golden Retriever und Pudel, der theoretisch nie wütend werden dürfte. „Wohin hat es uns geführt? Und wird uns ein schludrig betriebenes Impeachment weniger wütend machen?“
Den Sturm, in dem man sich heute wiederfinde, habe einzig und allein Präsident Trump ausgelöst, hatte Jerrold Nadler, der Ausschussvorsitzende, zur Eröffnung der Sitzung betont. Er, Nadler, habe sich eine solche Lage für das Land nicht gewünscht, „aber wir alle haben geschworen, die Verfassung zu schützen, und die Fakten liegen klar auf der Hand“.