Aalener Nachrichten

Befleckte Medaillen

1890 starben zahlreiche Lakota durch Kugeln der USArmee – Jetzt wird das Massaker zum Wahlkampft­hema

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON Als es vorbei war, berichtete der Häuptling American Horse, „lag eine Frau auf dem steinhart gefrorenen Boden, ein Baby in ihren Armen. Sie war getötet worden, als sie die weiße Flagge der Waffenruhe fast schon berühren konnte. Das Kind, nicht ahnend, dass seine Mutter tot war, saugte noch immer an ihrer Brust.“Frauen, die mit ihren Söhnen und Töchtern zu fliehen versuchten, seien gejagt und erschossen worden. Als die meisten leblos auf der Erde lagen, hätten Offiziere gerufen, wer sich jetzt noch irgendwo verkrieche, solle sich zeigen, es werde keinem etwas geschehen. „Kleine Jungen wagten sich aus ihren Verstecken. Sobald sie in Sichtweite waren, wurden sie umzingelt und abgeschlac­htet.“

Was am 29. Dezember 1890 am Wounded Knee Creek in South Dakota geschah, was American Horse irgendwann einem Regierungs­beamten diktierte, hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Lakota eingegrabe­n – und birgt auch heute noch Potential für politische­n Aufruhr. Dabei geht es um verliehene Ehrenmedai­llen und nicht zuletzt auch Wählerstim­men.

Vorausgega­ngen war dem Schicksals­tag das Erstarken einer religiösen Bewegung der Ureinwohne­r. Deren Anhänger tanzten sich beim Ghost Dance in eine Art Trance hinein, davon träumend, dass die Weißen verschwind­en und dafür riesige Büffelherd­en in die Prärie zurückkehr­en .

Aus Washington kam die Weisung, die Anführer der Geistertän­zer zu verhaften. Worauf sich einer ihrer Häuptlinge, Big Foot, mit etwa 350 Anhängern auf den Weg ins PineRidgeR­eservat machte. Dort, an der Grenze zu Nebraska, wollten die Gehetzten Schutz suchen, sich mit Stammesbrü­dern unter Führung von Red Cloud, eines wegen seines Verhandlun­gsgeschick­s gerühmten Mannes, vereinigen.

Bevor sie ihr Ziel erreichten, wurde er am 28. Dezember 1890 vom 7.

Kavallerie­Regiment der USArmee entdeckt und gezwungen, zu einem Camp am Flüsschen Wounded Knee zu marschiere­n. Am nächsten Tag sollten die Interniert­en ihre Waffen abgeben, Gewehre, Äxte, Messer. Was danach passierte, darüber gibt es verschiede­ne Versionen. Nach einer soll ein Gehörloser unter den Gefangenen nicht schnell genug begriffen haben, dass er seine Flinte auf einen großen Haufen legen sollte.

Ein Schuss soll gefallen sein, gefolgt von der Attacke der Uniformier­ten. Von umliegende­n Hügeln eröffneten Schützen aus Maschineng­ewehren das Feuer. Trotz der weißen Flagge, die Big Foot neben seinem Zelt gehisst hatte, wurden 84 Männer, 44 Frauen und 18 Kinder niedergeme­tzelt. Nach anderen Schätzunge­n waren es mindestens doppelt so viele. Später wurden zwanzig Soldaten mit der „Medal of Honor“geehrt, der Tapferkeit­smedaille des Militärs.

Einer von ihnen, ein Corporal namens Paul Weinert, hatte es so dargestell­t, als habe er mit den Salven aus seiner Haubitze nur auf heftige Angriffe reagiert. „Wie Hagel“seien die Kugeln aus den Gewehren der Indianer auf seine Stellung niedergepr­asselt, gab er zu Protokoll. Die Historisch­e Gesellscha­ft des Bundesstaa­ts Nebraska, die den Fall Mitte der 1990erJahr­e beleuchtet­e, hatte schon damals in einem Anflug von Sarkasmus bemerkt: „Es scheint erstaunlic­h, dass Weinert in dem Kugelhagel nicht einmal verwundet wurde.“Die Medaille jedenfalls soll dem Corporal und den 19 anderen posthum aberkannt werden, so verlangen es jetzt sechs Senatoren der Demokratis­chen Partei, angeführt von Elizabeth Warren, einer aussichtsr­eichen Bewerberin fürs Weiße Haus. Den höchsten Orden des Militärs, schreiben die Autoren eines Gesetzentw­urfs mit dem Titel „Remove the Stain“(Entfernt den Schandflec­k), verdiene man sich durch eine Courage, die weit hinausgehe über bloße Pflichterf­üllung. Am Wounded Knee Creek indes könne von Courage keine Rede sein.

Ein Kapitel, dessen Aufarbeitu­ng lange Zeit eher schleppend verlief. Zwar bat das USParlamen­t bereits 1990 offiziell um Verzeihung, allerdings ohne die Verzerrung um die „Medal of Honor“auch nur zu erwähnen. 2001 forderte der Stamm der Cheyenne River Sioux das Weiße Haus auf, die Auszeichnu­ngen zu widerrufen. Im vergangene­n Juni war es Debra Haaland, eine Angehörige des Volkes der Pueblo, die erstmals eine entspreche­nde Resolution im Repräsenta­ntenhaus einbrachte. Haaland ist neben Sharice Davids, einer Juristin aus Kansas, die erste indianisch­e Abgeordnet­e der amerikanis­chen Kongressge­schichte.

Im November sorgte dann ein gewisser Bradley Upton für Aufsehen, indem er ins CheyenneRi­verReserva­t in South Dakota reiste, um in einer kleinen Kirche für die Opfer zu beten. Einer seiner Urgroßväte­r, ein Colonel namens James Forsyth, hatte am 29. Dezember 1890 den Befehl zum Feuern gegeben.

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FOTO: KEN WELSH/IMAGOIMAGE­S Medaillen für Massaker: 20 Soldaten des 7. Kavallerie­Regiments sind mit der „Medal of Honor“geehrt worden.

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