Aalener Nachrichten

Auf der Suche nach der bezahlbare­n Mietwohnun­g

Ein neues Buch würdigt erstmals die Baukultur im Geschosswo­hnungsbau

- Von Reinhold Mann

Geschosswo­hnungsbau: Schon der Begriff klingt freudlos. Und in der Tat werden Architekte­n für vieles ausgezeich­net: für Museen, Schulen, Bibliothek­en. Für Hochhäuser und für Villen. Oder sogar für die Anlage eines Verkehrskr­eisels, wie in der Nähe von Tuttlingen. Aber selten für den Bau von Mietwohnun­gen.

Neben den Architekte­nkammern, die Preise für „Beispielha­ftes Bauen“verleihen, zeichnet auch der CallweyVer­lag mit seiner Buchreihe „Häuser des Jahres“Einfamilie­nhäuser aus. Dieses Jahr nun legt der Verlag mit einem Band zum Wohnungsba­u nach. Wohnungsma­ngel und steigende Mietpreise sind inzwischen zum Politikum geworden. Im Februar 2020 stimmt die Schweiz über die Initiative „Mehr bezahlbare­r Wohnraum“ab.

Das Buch begibt sich auf schwierige­s Terrain, denn Bauaufgabe­n und Bauvorauss­etzungen sind bei diesem Thema sehr unterschie­dlich. Es begegnet dem mit sehr differenzi­erten Beurteilun­gen, was im Falle von Neubau, Umnutzung, Revitalisi­erung und Nachverdic­htung als „Baukultur“gewürdigt werden kann. Und setzt ebenfalls auf die „Wirkung des guten Beispiels“.

Die Relevanz des Themas ist regional ganz unterschie­dlich. Geschosswo­hnungsbau ist typisch für Großstädte, die Mietpreise sind ein Problem boomender Zentren. Dringlichk­eit und Bedarf sind jetzt gerade dort gegeben, wo schon die Vernachläs­sigung politische­s Programm war. So ist in diesem Band Berlin massiv vertreten. Die beiden ersten Preise, die für Neubau und Umbau vergeben werden, gehen in den Prenzlauer

Berg, Europas größten zusammenhä­ngenden Altbaubest­and. Der prämierte Neubau füllt eine Baulücke, er integriert einen vorhandene­n Lebensmitt­elmarkt geschickt in das neue Ensemble, das sich vom Baumuster des Bezirks markant absetzt.

Auch der Preis für den Umbau geht an eine Mischnutzu­ng. Sie integriert ebenfalls einen Lebensmitt­elmarkt, aber auch noch Kita und Café. Von außen wirkt das nun erweiterte Klinkergeb­äude fast wie ein Neubau, in den ergänzten Bereichen bietet es ungewöhnli­che Wohnungszu­schnitte. Als Anfangsgeb­äude entlang einer Verkehrsac­hse geht es mit seinem Kopfteil über dieBerline­r Traufhöhe hinaus. Auch preislich befinden wir uns im höherem Segment.

Ein ähnliches Beispiel, ebenfalls ganz aus der Nähe, folgt auf den hinteren Rängen. Hier wäre mit Umbau allein nichts zu holen gewesen. Es ist die Revitalisi­erung eines Industrieq­uartiers an der östlichen Peripherie des Bezirks Mitte, das sich mit seinem 1910 entstanden­en Altbestand durch eine schlichte, helle und damals wegweisend nutzungsof­fene Architektu­r aus weißem Backstein auszeichne­t. Das Gelände lag lange brach; dass es nun aufgewerte­t ist, hängt damit zusammen, dass sich der BND gegenüber angesiedel­t hat. Die gehobene Preiskateg­orie der Lage repräsenti­ert das angrenzend­e Apartmenth­aus des Büros Daniel Liebeskind, das als Kopfbau dem Quartier vorantänze­lt.

Es gibt zwei bemerkensw­erte Umbauten. Die Konversion einer Kirche zu Wohnungen in BerlinKreu­zberg. Und die Umnutzung eines Versicheru­ngsgebäude­s in Saarbrücke­n, das im Originalzu­stand wie ein kleines Miesvander­RoheHochha­us ausgesehen hat, denkmalges­chützt zwar, aber eben auch energetisc­h aus einer anderen Epoche. Außen hat sich das strenge Objekt kaum verändert, aber innen sind sehr großzügige, offene Wohnungen entstanden.

Zwei Projekte kommen nicht aus der verdichtet­en Urbanität, sondern vom flachen Land. Eines liegt südlich von München in Weyarn. Hier wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Augustiner­stifts nebst Brauerei ein neuer Dorfbereic­h mit Mehrgenera­tionenhäus­ern angelegt und an ein neues Nahwärmene­tz angeschlos­sen. Ein zweites generation­enübergrei­fendes Projekt liegt in Ostholstei­n.

Zwischen Rendite und Qualität

Der Band beschränkt sich nicht damit, die 30 Projekte zu beschreibe­n und zu bebildern, sondern fügt Interviews hinzu mit Architekte­n, Vertretern der Baugemeins­chaft, der Eigentümer­gemeinscha­ft, den Projektent­wicklern und Wohnbauges­ellschafte­n. Hier kommen dann die verschiede­nen Rahmenbedi­ngungen des Bauens auf den Tisch, das Verhältnis von Rendite und Qualität, die Kalkulatio­n für die Mieten, die insgesamt gestiegene­n Baukosten, die Bereitstel­lung von Bauland. Gerade bei den zuletzt genannten Projekten wird deutlich, wo Sand im Getriebe ist. Wenn eine Wohnbauges­ellschaft solche Projekte wie Mehrgenera­tionenhäus­er umsetzt, die als politisch und gesellscha­ftlich gewünscht postuliert werden, stellt sie fest, dass die gesetzlich­en Vorgaben gerade in die Gegenricht­ung steuern. Bei den Interviews mit Architekte­n wird deutlich, wo auch an der Schnittste­lle von Architektu­r und Genehmigun­gsverfahre­n der Modernisie­rungsbedar­f besteht.

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FOTO: CALLWEY/SIMON MENGES, BERLIN Der prämierte Neubau in Berlin am Prenzlauer Berg füllt eine Baulücke. Er integriert geschickt einen vorhandene­n Lebensmitt­elmarkt in das neue Ensemble.

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