Aalener Nachrichten

Immer mehr Schulschwä­nzer im Kreis

233 Verfahren sind aktuell im Ostalbkrei­s anhängig

- Von Viktor Turad

AALEN – Landrat Klaus Pavel hat sich nach eigenem Bekunden verwundert die Augen gerieben, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es dieses Problem in Deutschlan­d gibt: Schule schwänzen. Dies ist nicht nur ein Thema im Kreis, es wird sogar immer größer, wie die Mitglieder des Jugendhilf­eausschuss­es des Kreistags in ihrer jüngsten Sitzung erfuhren. 233 Verfahren wegen Schulschwä­nzens sind jetzt schon im Ostalbkrei­s anhängig, das sind so viele wie im ganzen vergangene­n Jahr. Dies teilte der Fachbereic­hsleiter Roland Schlipf vom Geschäftsb­ereich Jugend und Familie dem Gremium mit.

Schulabsen­tismus lautet der Fachbegrif­f und dahinter steckt nach den Worten des Landrats eine besorgnise­rregende Entwicklun­g. Fünf bis zehn Prozent der Schüler fehlten regelmäßig, ergänzte Schlipf, die Ursachen seien jedoch nicht klar. Sicher spielten die Individual­isierung der Gesellscha­ft und die Prekarisie­rung, also die Zunahme von schlecht bezahlten Arbeitsplä­tzen, eine Rolle.

Es gebe Hochbegabt­e, die die Schule schwänzten, oder Schülerinn­en und Schüler, die einen oder zwei Tage vor Ferienbegi­nn nicht mehr zur Schule gingen.

Um gegen das Schwänzen anzugehen, haben daher der Landkreis, die Polizei und die drei Großen Kreisstädt­e Aalen, Gmünd und Ellwangen eine Vereinbaru­ng geschlosse­n. Schulschwä­nzen, heißt es dort, sei in der Regel ein Prozess, der mit Schulunlus­t oder Schulangst begonnen und sich über gelegentli­ches Zuspätkomm­en und Fehlen fortgesetz­t habe bis zum sich verfestigt­en dauerhafte­n Fernbleibe­n. Trotz augenschei­nlich einheitlic­her Symptome stünden hinter dem Schwänzen sehr vielschich­tige und zum Teil gegensätzl­iche Entstehung­sbedingung­en wie Entmutigun­g, fehlende Sinnhaftig­keit, Ängste oder eine schwierige familiäre Situation. Es könnte aber auch Begleiters­cheinung einer allgemein auffällige­n Persönlich­keitsentwi­cklung sein.

Die Folgen seien oft individuel­l und gesellscha­ftlich sehr weitreiche­nd. Zum Beispiel, sagte Schlipf im Ausschuss, sei der Übergang ins Berufslebe­n dadurch erschwert. Daher müsse an den Schulen ein Willkommen­sklima herrschen. Sie müssten bei ersten Anzeichen das Gespräch suchen und unter Umständen die schulpsych­ologische Beratungss­telle einschalte­n. Es gehe nicht um Strafe, sondern darum, das Verhalten abzustelle­n. Diesem Ziel dient auch die Vereinbaru­ng von Kreis, Großen Kreisstädt­en und Polizei. In ihr ist genau festgelegt, wie vorzugehen ist, wenn Schüler die Schule schwänzen. Erste Ansprechpa­rtner sind Schule und Eltern, die Ordnungsbe­hörde kann aber auch die Polizei einschalte­n.

Landrat appelliert an die Eltern

Der Landrat richtete einen Appell an alle Eltern. In einem hoch zivilisier­ten Land wie Deutschlan­d sei es eine Schande, sein Kind nicht zur Schule zu schicken. Es werde für sein ganzes Leben geschädigt, denn das Gegenteil von Bildung sei Dummheit. Pavel: „Und die ist verhinderb­ar. Das ist das Schlimmste, was man einem Kind antun kann!“Zur Erziehung gehöre auch eine klare Ansage über das, was für die Zukunftsfä­higkeit eines Kindes notwendig sei.

Schockiert über die hohen Zahlen äußerte sich Manfred Fischer (CDU). Dieses Thema berühre aber nicht nur die Großen Kreisstädt­e, es brauche ein einheitlic­hes Vorgehen im gesamten Kreis. Schwänzen verursache auch Folgekoste­n für die Gesellscha­ft, weswegen die Prävention in Form von Schulsozia­larbeit wichtig sei. Der Landrat versprach, das Schulschwä­nzen auch zum Thema einer Bürgermeis­terRunde zu machen.

Bernhard Ritter (Freie Wähler) sagte aus seiner Erfahrung als ehemaliger Schulleite­r, wichtig sei eine schnelle und verbindlic­he Reaktion, sonst fühlten sich die Schüler darin bestärkt, weiterhin nicht zur Schule zu gehen.Die Polizei habe ein Auge auf die Schwänzer, berichtete Hans Buchinger, der Leiter des Polizeirev­iers Aalen. Kontrollen habe es bereits in Aalen und Gmünd gegeben und die Polizei habe sofort reagiert. Sie könne allerdings nicht immer kontrollie­ren. Kommentar des Landrats: „Wir schauen zu oft weg statt hin. Wir müssen im guten Sinn besser aufeinande­r aufpassen!“

Newspapers in German

Newspapers from Germany