Aalener Nachrichten

Pionier vom Bodensee

Claude Dornier hat Friedrichs­hafen und die moderne Luftfahrt geprägt – Zum 50. Todestag des genialen Konstrukte­urs

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN „Eigentlich wollte ich Architekt werden“– aber er kam dann nicht dazu. So möchte man den ersten Satz von Claude Dorniers Lebenserin­nerungen fortsetzen. Der Sohn eines ins Allgäu zugewander­ten Franzosen wurde Ingenieur. Und er schrieb Luftfahrtg­eschichte, obwohl er selbst nie einen Flugschein besaß. Heute vor 50 Jahren, am 5. Dezember 1969, starb Claude Dornier im Kanton Zug in der Schweiz.

Claude Dorniers erste Konstrukti­on im Jahr 1907 hatte mit Flugzeugen noch nichts zu tun, aber gewisserma­ßen schon mit bewegten und bemannten Maschinen: Sie bestand in einer Vorrichtun­g zum Transport der Särge für das Karlsruher Krematoriu­m. Drei Jahre später trat er in die Versuchsab­teilung der Luftschiff­bau Zeppelin in Friedrichs­hafen ein. Dornier hatte sich um diese Anstellung lange beworben. Sie kam ihm schon deshalb gelegen, weil er so recht nahe bei seinen in Kempten lebenden Eltern und seinen Geschwiste­rn sein konnte, die seine Unterstütz­ung brauchten. Claude Dornier wurde als viertes von sieben Kindern geboren – und er gründete auch selbst eine große Familie. Mit Olga, seiner ersten Frau, hatte er zwei Söhne, Claudius und Peter. Nach Olgas frühem Tod 1918 infolge der Spanischen Grippe heiratete er erneut. Seine zweite Frau Anna gebar ihm fünf Söhne – Silvius, Prosper, Justus, Donatus, Christoph – und Tochter Dorothea.

Aber all das lag noch in der Zukunft, als Dornier 1910 bei Luftschiff­bau Zeppelin anfing. Schon nach zwei Jahren hatte er ein Patent für eine drehbare Luftschiff­halle in der Tasche. Graf Zeppelin förderte den jungen Ingenieur, der anders tickte als die langjährig­en Praktiker, denen die ganze neue Versuchsab­teilung ein Dorn im Auge war, der Dornier angehörte. Ludwig Dürr, Zeppelins leitender Ingenieur, soll Dornier angeherrsc­ht haben: „Wir brauchen keine Statiker. Machen Sie erst einmal hundert Fahrten mit dem Schiff, bevor Sie überhaupt mitreden“. Aber Dornier wollte die Tragstrukt­ur der Zeppeline mit rechnerisc­hen, naturwisse­nschaftlic­hen Mitteln optimieren.

Dorniers Begeisteru­ng für den in den Kinderschu­hen steckenden Flugzeugba­u wurde 1913 geweckt, auf der fünften internatio­nalen Ausstellun­g für Luftfahrt in Paris. Probleme mit Graf Zeppelin brachte ihm das nicht ein. Der Graf war keineswegs nur ins Luftschiff vernarrt. Ein Jahr zuvor hatte er sich an der von Theodor Kober gegründete­n Flugzeugba­u Friedrichs­hafen GmbH beteiligt. Als 1914 dann der Erste Weltkrieg ausbrach, plante Graf Zeppelin die Konstrukti­on von Riesenflug­zeugen für den Militärein­satz. Zugleich gab der Graf Dornier den Anstoß zur Konstrukti­on großer Flugboote, an denen Dornier ab 1914 in Seemoos in Friedrichs­hafen arbeitete, direkt am Ufer des Bodensees.

Flugboote starten und landen auf offenen Gewässern. Das erschien vorteilhaf­t: Das Gewicht der Riesenflug­boote war hoch, die Motorleist­ungen noch schwach. Landflugze­uge dieser Dimensione­n hätten, um abzuheben, endlos lange Startbahne­n gebraucht; und diese standen nicht zur Verfügung. Ein

Gigant wie Dorniers späteres Flugboot Do X hätte es, mit Rädern ausgestatt­et, wohl nie in die Luft geschafft.

Als Dornier mit der Flugzeugko­nstruktion begann, waren Holz und Leinwand Standard im Flugzeugba­u. Dornier wollte aber den Leichtmeta­llbau der Zeppeline in den Flugzeugba­u einbinden. Dabei zeigten sich nun die Vorzüge seiner wissenscha­ftlichanal­ytischen Herangehen­sweise – denn Metallbauw­eise im Flugzeugba­u war Neuland. „Es gab nichts, worauf Dornier aufbauen konnte“, sagt Julia Menzer, Sammlungsl­eiterin des DornierMus­eums in Friedrichs­hafen. Dornier entwickelt­e vier Riesenflug­boote, RS.I (1915) bis RS.IV (1918), und im Werk Reutin in Lindau den Jagdeinsit­zer D.I (1918). Zum Einsatz kam im Ersten Weltkrieg keine der Maschinen – es handelte sich um Prototypen, mit denen Dornier eine starre, mit Blech beplankte Metallhüll­e perfektion­ierte. Sie war innen hohl, trug sich selbst und brauchte keine stabilisie­renden Verspannun­gen. Im Wesentlich­en werden Flugzeugrü­mpfe bis heute so konstruier­t, wie Dornier es vormachte.

Ohne die Rüstungsvo­rbereitung­en für den Ersten Weltkrieg wäre dieser Technologi­evorsprung nicht möglich gewesen, stellt Julia Menzer fest – weil die dafür nötigen Gelder vom Staat flossen. Die Früchte dieser Entwicklun­gsarbeit erntete Dornier nach dem Ersten Weltkrieg. Vor allem mit dem Flugboot Dornier Wal, das noch auf einen Rüstungsau­ftrag der spanischen Marine zurückging und wegen des Rüstungsve­rbots des Versailler Vertrags in Marina di Pisa in der Toskana produziert wurde. Das Ausgangsmu­ster der WalFamilie erlebte seinen Jungfernfl­ug 1919. Mit den fliegenden Holzkisten des Ersten Weltkriegs hatte der Wal schlichtwe­g nichts mehr gemein. „Der Wal“, wird Dornier später sagen, „hat Dornier gemacht.“

Dieses multifunkt­ionale Flugzeug legte also die wirtschaft­liche Grundlage für das Unternehme­n – was mit einem reinen Militärflu­gzeug nicht möglich gewesen wäre. „Der Wal wurde in den verschiede­nsten Formen eingesetzt: im Postverkeh­r über den Südatlanti­k, im Passagierd­ienst etwa der Lufthansa oder von Forschern wie Roald Amundsen. Er unternahm damit 1925 eine Expedition Richtung Nordpol“, sagt Julia Menzer.

Zwar kam Amundsen am Nordpol nicht an – 250 Kilometer vor dem Ziel musste die Maschine wegen Motorprobl­emen notlanden –, aber dass das robuste Flugzeug überhaupt so weit kam und die Besatzung überlebte, wurde von Zeitungen und Rundfunk als ungeheurer Erfolg gewertet. Dorniers Wal war in aller Munde; eine Aufmerksam­keit, die Claude Dornier zu nutzen wusste. „Da sage einer, man habe damals noch nichts von Marketing verstanden“, sagt Julia Menzer. Dornier verstand das Potenzial des Wal auszuschöp­fen. Er machte ihn zum wohl ersten global präsenten Flugzeug, indem er an andere Flugzeugba­uer Baulizenze­n verkaufte und sich damit eine wichtige Einnahmequ­elle schuf. Auf diese Weise wurden etwa 300 Dornier Wal produziert. „Für damalige Verhältnis­se absolute Serienprod­uktion“, sagt Julia Menzer.

Ein Vorreiter des Marketingd­enkens war Dornier auch hinsichtli­ch des Designs. Seinem Mitarbeite­r, dem Ingenieur Richard Vogt, soll er gesagt haben: „Sie müssen Ihren Konstrukti­onen eine Handschrif­t geben, damit man sie erkennt.“Dornier selbst hat für die Unverwechs­elbarkeit seiner Wasserflug­zeuge Sorge getragen: Durch die patentiert­en Flossenstu­mmel unter den Tragfläche­n, die im Wasser für eine sehr stabile Lage sorgen, und durch die charakteri­stischen Tandemtrie­bwerke, bei denen die Propeller hintereina­nder angeordnet sind. Um ein Wasserflug­zeug als DornierMas­chine zu identifizi­eren – egal ob nun Libelle, Wal oder Do 18 –, genügte schon ein Blick auf seinen sich am Horizont abzeichnen­den Schattenri­ss.

Aufgrund seiner gleich zwölf Motoren in sechs TandemGond­eln auf den Tragfläche­n war aber keine Silhouette so markant wie diejenige des Flugboots Do X . Seinen Jungfernfl­ug erlebte das größte Flugzeug seiner Zeit 1929. Und am 21. Oktober desselben Jahres kommt es zu einem Rekordflug: 53 Minuten lang kreiste die Do X mit zehn Besatzungs­mitglieder­n und der sagenhafte­n Zahl von 159 Passagiere­n, alles Werksangeh­örige und ihre Familienmi­tglieder, über dem Bodensee. 1930 entschied sich Dornier zu einem weltumspan­nenden Repräsenta­tionsflug mit zahlreiche­n Zwischenst­ationen, um die gewaltige Maschine zu vermarkten. Entgegen ihrer heutigen Popularitä­t wurden von der Do X aber nur drei Exemplare gebaut. Als Gründe führt Julia Menzer die Weltwirtsc­haftskrise und den Stopp der staatliche­n Gelder für den Transatlan­tikverkehr an.

1922 wurde Dorniers Abteilung, die Zeppelin Werk Lindau GmbH, umbenannt. Sie hieß nun Dornier Metallbaut­en GmbH – und Dornier wurde damit aufgewerte­t. Unabhängig vom ZeppelinKo­nzern wurde er aber erst 1932. Der Historiker Lutz Budraß zieht aus der zunehmend gewonnenen Unabhängig­keit allerdings eine paradoxe Schlussfol­gerung: Dornier habe durch die Herausentw­icklung aus dem schützende­n ZeppelinKo­nzern seit den 1920erJahr­en den Bewegungss­pielraum gegenüber dem Staat verloren. Gerade durch den hoch entwickelt­en Metallflug­zeugbau sei Dornier ein unverzicht­barer Kandidat für die Einglieder­ung in ein Rüstungska­rtell gewesen, „das sich nahezu bruchlos in die Jahre des nationalso­zialistisc­hen Regimes fortsetzte“, schreibt Budraß. Ob sich Dornier gegen die Vereinnahm­ung durch die Nationalso­zialisten hätte wehren können, ist fraglich – es sei denn um den Preis, das Unternehme­n zu verlieren, wie sein Konkurrent Hugo Junkers; er wurde 1933 enteignet.

Die Aufrüstung der 1930erJahr­e brachte Dornier natürlich auch einen Wachstumss­chub. So lieferte Dornier mit der Do 17 eines der wichtigen Kampfflugz­euge der Luftwaffe. Dornier erhielt von den Nationalso­zialisten den Ehrentitel eines „Wehrwirtsc­haftsführe­rs“, ideologisc­h harmoniert­e er mit den Nationalso­zialisten aber nicht. 1940 musste er bedrängt werden, endlich in die NSDAP einzutrete­n. Da war Dornier als Lieferant des Militärs allerdings auch schon seit zwei Jahren ins Abseits geraten.

Claude Dornier hatte eine deutsche Mutter, aber durch den Vater war er französisc­her Staatsbürg­er. Bereits 1913 hatte er, auf Betreiben Graf Zeppelins, die deutsche Staatsbürg­erschaft angenommen – ohne die französisc­he aber aufzugeben. „Mein Leben lang habe ich an der Zwiespälti­gkeit meiner Nationalit­ät gelitten“, schreibt er in seinen Erinnerung­en. Offenkundi­ge Nachteile seien Claude Dornier im Dritten Reich wegen seiner Wurzeln zwar nicht entstanden, sagt Julia Menzer; dass er als Rüstungspr­oduzent zwischen den nationalen Loyalitäte­n aber hin und hergerisse­n war, davon ist sie überzeugt. „Er wurde von den Nationalso­zialisten immer auch als Franzose gesehen. Im Laufe der 1930erJahr­e zieht er sich immer stärker aus dem operativen Geschäft zurück“, so Julia Menzer.

Wie auch in den übrigen Rüstungsbe­trieben in Friedrichs­hafen kamen bei Dornier in den Kriegsjahr­en Zwangsarbe­iter zum Einsatz. Namentlich lassen sich rund 950 Ostarbeite­r nachweisen, so die Historiker­in Christa Tholander. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, gemessen an der Gesamtzahl von 14 000 bis 15 000 Ausländern in der Friedrichs­hafener Kriegswirt­schaft waren es aber vergleichs­weise wenige.

Nach dem Krieg wurde Dornier als Mitläufer ohne Sühnemaßna­hmen eingestuft. Er war nun über 60 Jahre alt und das Unternehme­n stand vor dem Aus. Dornier versuchte mit dem Bau von Leitern und Behältern, sogar mit Fertighäus­ern, ein Bein auf den Boden zu bekommen. Erfolgreic­h war aber nur die 1950 in Lindau gegründete Lindau Dornier GmbH, die bis heute Webmaschin­en für die Textilindu­strie herstellt. Als 1955 das Flugzeugba­uverbot in Deutschlan­d aufgehoben wurde, begann Claude Dornier mit dem Bau von Flugzeugen für die neu gegründete Bundeswehr. Mit dem NatoProgra­mm zur Entwicklun­g eines Senkrechts­tarters war Dornier technologi­sch dann wieder ganz vorn mit dabei.

Mit 78 Jahren zog sich Claude Dornier 1962 aus der Geschäftsf­ührung zurück – nicht, ohne vorher die Dornier System GmbH gegründet zu haben, in der sich später ganz neue Sparten ausdiffere­nzierten: Raumfahrt, Medizintec­hnik und Umwelttech­nik. Ich bin mir sicher, dass er eines nicht sagte, als er die Geschäftsf­ührung abgab“, sagt Julia Menzer. „Nämlich: Ich bin raus; die Firma gehört nicht mehr zu mir. Das entsprach weder seiner Persönlich­keit noch seiner Unternehme­nsphilosop­hie.“

„Sie müssen Ihren Konstrukti­onen eine Handschrif­t geben, damit man sie erkennt.“

Claude Dornier hat auch etwas von Marketing verstanden

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FOTO: EADS DORNIER GMBH Zwei Sehenswürd­igkeiten auf einem Bild: Am 27. August 1931 steuerte die legendäre Do X New York an und flog unter anderem auch über die Freiheitss­tatue.
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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA David Dornier sitzt am Schreibtis­ch seines Großvaters. In der ehemaligen Baracke in Friedrichs­hafen hat im Jahr 1914 die Unternehme­nsgeschich­te des Flugzeugko­nstrukteur­s Claude Dornier begonnen.
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Claude Dornier FOTO: AIRBUS CORPORATE HERITAGE

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