Aalener Nachrichten

Kinder wünschen sich unbeschwer­te Zeit

Kinder- und Jugendbetr­euung der Landeserst­aufnahmest­elle Ellwangen gibt jungen Flüchtling­en Halt

- Von Sylvia Möcklin

G- Ein scharfer Pfiff aus der Trillerpfe­ife genügt, schon springen alle jubelnd auf: die Jungs voran, die Mädchen hinterher, Groß und Klein, Kinder aus vielen Nationen. Robert Ziegler holt sie zum Fußball. Zurück bleibt mit einem Lächeln Amelie Matzik. Jetzt kann die Kindheitsp­ädagogin in Ruhe erzählen, wie es ist in der Kinder- und Jugendbetr­euung der Landeserst­aufnahmest­elle (LEA) Ellwangen. Und warum eine Spende aus der Weihnachts­aktion der Schwäbisch­en Zeitung „Helfen bringt Freude“gut tun wird.

„Wir würden den Kindern und ihren Familien gerne eine ganz unbeschwer­te Zeit schenken“, sagt Matzik: mit kleinen Ausflügen außerhalb der LEA, etwa in den Tiefen Stollen oder in den Pfauengart­en Gaxhardt. Aber die Kinder- und Jugendbetr­euung finanziert ihre Spiel- und Sportangeb­ote fast ausschließ­lich über Spenden. Sie reichen, um die drei Räume im „Kinderstoc­kwerk“des Hauses Nummer 90 gut mit Spielund Bastelsach­en auszustatt­en. „Wir werden reich beschenkt“, freut sich die Leiterin. Die Spenden reichen aber nicht für Fahrtkoste­n.

Dabei wären Ausflüge wunderbar. Denn natürlich tragen die Flüchtling­skinder eine Last. „Ihr Identitäts­verlust ist spürbar“, erklärt Matzik. „Sie haben kein stabiles Zuhause.“Das gelte selbst für die wenigen Begüterten, die mit Flugticket und Diplomaten­pass vor Erdogans Regime fliehen konnten. Vor allem aber für die vielen anderen, die drei Jahre lang durch Griechenla­nd und über die Balkanrout­e unterwegs waren oder eine Odyssee durch Libyen, übers Mittelmeer und durch Italien hinter sich haben.

Ihre Eltern haben Extremsitu­ationen erlebt. „Das spürt man auch bei den Kindern“, sagt die Kindheitsp­ädagogin. Manche werden schnell wütend, bei anderen ist „immer eine Traurigkei­t da“. Und alle haben gelernt: Sei nie der Letzte in der Reihe. Sonst gehst du leer aus.

Die LEA ist nur eine Durchgangs­station

Auch die LEA ist für die Flüchtling­e nur eine Durchgangs­station. Drei bis sechs Monate bleiben unsere Bewohner im Durchschni­tt. Umso wichtiger ist es ihr und ihren Kolleginne­n Anne Sandmaier und Jasmin Jazir, den Mädchen und Jungen in dieser Zeit viel Halt zu geben. Rund 160 Kinder leben derzeit in der LEA, etwa die Hälfte besucht die Betreuung, die meisten anderen sind Babys.

Ein jeder werde vom ersten Tag an willkommen geheißen und am letzten Tag gebührend verabschie­det. Bei den Jugendlich­en fließen schon mal Tränen. „Es ist eben wieder ein Aufbruch ins Ungewisse“, erklärt die Pädagogin. „Wieder werden sie bei Null anfangen.“

Vielleicht nicht ganz. In den Monaten zwischen Ankunft und Abschied bietet die Kinder- und Jugendbetr­euung den Mädchen und Jungen, die meisten sind zwischen drei und 14 Jahre alt, eine feste Struktur: Morgens ab 9 bis 12 Uhr kommen vor allem die Kleinen, während ihre Eltern im Deutschkur­s sitzen, nachmittag­s von 13.30 bis 16.30 Uhr die Größeren, die morgens selbst im Deutschkur­s waren.

Es gibt viele Anregungen wie Malen, Basteln, Modelliere­n, Kochen, Backen, Sport und Bewegung – Robert Ziegler und anderen Ehrenamtli­chen sei Dank – und spezifisch­e Angebote nur für Mädchen oder eine bestimmte Altersgrup­pe. Die Kinder profitiere­n auch von der Grundhaltu­ng, willkommen zu sein und zu erhalten, was sie brauchen: „Eines braucht viel Raum zum Toben, ein anderes einen Rückzugsor­t, ein Drittes jemanden, der es hält“, berichtet Amelie Matzik.

Die Betreuerin­nen bemühen sich um ständigen Austausch mit den Eltern. „Sehen wir an einem Kind eine Auffälligk­eit, versuchen wir herauszufi­nden, wie es den Eltern geht. Wir brauchen sie mit im Boot. Denn Kinder sind Symptomträ­ger“, erklärt Amelie Matzik. Deshalb können Väter und Mütter in die Kinderbetr­euung kommen, Kaffee trinken und reden. Außerdem organisier­en die Mitarbeite­rinnen Infoverans­taltungen zum Schulbesuc­h oder über Erziehung. Fragen wie die nach der unterschie­dlichen Erziehung von Jungen und Mädchen oder nach Gewalt behandeln sie dabei ohne erhobenen Zeigefinge­r. „Erst will ich verstehen, was für die Eltern wichtig ist, als Basis für unsere Gespräche“, erläutert Amelie Matzik. „Dann erzähle ich, welche Unterschie­de es bei uns gibt, zum Beispiel, dass es in Deutschlan­d nicht erlaubt ist Kinder zu schlagen. Und dann frage ich, was wir tun können.“

Vor allem Geduld ist gefragt

Amelie Matzik leitet die Kinder- und Jugendbetr­euung, seit die LEA im Jahr 2015 ihre Pforten geöffnet hat. Sie hat viel gelernt seither: „Geduld. Ganz viel Geduld, das ist meine große Stärke.“Sie kann Sätze wie „Wenn du..., dann“und „Stopp“und „Was ist passiert“in mehreren Sprachen sagen, auf Türkisch heißt es: „Ne oldu“, man hört nicht einmal mehr einen Akzent.

Die vielen verschiede­nen Sprachen bedeuten weder für sie noch für die Kinder eine Barriere, findet die Pädagogin, im Spiel verständig­en sich die Geflüchtet­en aus Syrien und Togo, Afghanista­n, Sri Lanka und vielen anderen Ländern mit Händen und Füßen und dem, was sie an Englisch, Italienisc­h oder Deutsch gelernt haben in den Jahren ihrer Flucht. Amelie Matzik hat auch gelernt, dass es „ein riesen Privileg ist, wie wir hier in Deutschlan­d aufwachsen“. Trotzdem fällt ihr Vergleich

nicht nur zugunsten ihrer Heimat aus. „Unsere Kinder werden oft überbehüte­t, ihr Radius, in dem sie sich bewegen können, wird immer kleiner“, stellt sie fest. Eltern aus anderen Ländern trauten ihren Kindern mehr zu: „Und die können das auch.“

 ?? FOTO: MÖCKLIN ?? Mit glitzernde­n Pfeifenput­zern und Perlen basteln Flüchtling­skinder in der Kinder- und Jugendbetr­euung der LEA bunte Weinachtss­terne. Amelie Matzik und Anne Sandmaier (von links) sind für sie da.
FOTO: MÖCKLIN Mit glitzernde­n Pfeifenput­zern und Perlen basteln Flüchtling­skinder in der Kinder- und Jugendbetr­euung der LEA bunte Weinachtss­terne. Amelie Matzik und Anne Sandmaier (von links) sind für sie da.

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