Kinder wünschen sich unbeschwerte Zeit
Kinder- und Jugendbetreuung der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen gibt jungen Flüchtlingen Halt
G- Ein scharfer Pfiff aus der Trillerpfeife genügt, schon springen alle jubelnd auf: die Jungs voran, die Mädchen hinterher, Groß und Klein, Kinder aus vielen Nationen. Robert Ziegler holt sie zum Fußball. Zurück bleibt mit einem Lächeln Amelie Matzik. Jetzt kann die Kindheitspädagogin in Ruhe erzählen, wie es ist in der Kinder- und Jugendbetreuung der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen. Und warum eine Spende aus der Weihnachtsaktion der Schwäbischen Zeitung „Helfen bringt Freude“gut tun wird.
„Wir würden den Kindern und ihren Familien gerne eine ganz unbeschwerte Zeit schenken“, sagt Matzik: mit kleinen Ausflügen außerhalb der LEA, etwa in den Tiefen Stollen oder in den Pfauengarten Gaxhardt. Aber die Kinder- und Jugendbetreuung finanziert ihre Spiel- und Sportangebote fast ausschließlich über Spenden. Sie reichen, um die drei Räume im „Kinderstockwerk“des Hauses Nummer 90 gut mit Spielund Bastelsachen auszustatten. „Wir werden reich beschenkt“, freut sich die Leiterin. Die Spenden reichen aber nicht für Fahrtkosten.
Dabei wären Ausflüge wunderbar. Denn natürlich tragen die Flüchtlingskinder eine Last. „Ihr Identitätsverlust ist spürbar“, erklärt Matzik. „Sie haben kein stabiles Zuhause.“Das gelte selbst für die wenigen Begüterten, die mit Flugticket und Diplomatenpass vor Erdogans Regime fliehen konnten. Vor allem aber für die vielen anderen, die drei Jahre lang durch Griechenland und über die Balkanroute unterwegs waren oder eine Odyssee durch Libyen, übers Mittelmeer und durch Italien hinter sich haben.
Ihre Eltern haben Extremsituationen erlebt. „Das spürt man auch bei den Kindern“, sagt die Kindheitspädagogin. Manche werden schnell wütend, bei anderen ist „immer eine Traurigkeit da“. Und alle haben gelernt: Sei nie der Letzte in der Reihe. Sonst gehst du leer aus.
Die LEA ist nur eine Durchgangsstation
Auch die LEA ist für die Flüchtlinge nur eine Durchgangsstation. Drei bis sechs Monate bleiben unsere Bewohner im Durchschnitt. Umso wichtiger ist es ihr und ihren Kolleginnen Anne Sandmaier und Jasmin Jazir, den Mädchen und Jungen in dieser Zeit viel Halt zu geben. Rund 160 Kinder leben derzeit in der LEA, etwa die Hälfte besucht die Betreuung, die meisten anderen sind Babys.
Ein jeder werde vom ersten Tag an willkommen geheißen und am letzten Tag gebührend verabschiedet. Bei den Jugendlichen fließen schon mal Tränen. „Es ist eben wieder ein Aufbruch ins Ungewisse“, erklärt die Pädagogin. „Wieder werden sie bei Null anfangen.“
Vielleicht nicht ganz. In den Monaten zwischen Ankunft und Abschied bietet die Kinder- und Jugendbetreuung den Mädchen und Jungen, die meisten sind zwischen drei und 14 Jahre alt, eine feste Struktur: Morgens ab 9 bis 12 Uhr kommen vor allem die Kleinen, während ihre Eltern im Deutschkurs sitzen, nachmittags von 13.30 bis 16.30 Uhr die Größeren, die morgens selbst im Deutschkurs waren.
Es gibt viele Anregungen wie Malen, Basteln, Modellieren, Kochen, Backen, Sport und Bewegung – Robert Ziegler und anderen Ehrenamtlichen sei Dank – und spezifische Angebote nur für Mädchen oder eine bestimmte Altersgruppe. Die Kinder profitieren auch von der Grundhaltung, willkommen zu sein und zu erhalten, was sie brauchen: „Eines braucht viel Raum zum Toben, ein anderes einen Rückzugsort, ein Drittes jemanden, der es hält“, berichtet Amelie Matzik.
Die Betreuerinnen bemühen sich um ständigen Austausch mit den Eltern. „Sehen wir an einem Kind eine Auffälligkeit, versuchen wir herauszufinden, wie es den Eltern geht. Wir brauchen sie mit im Boot. Denn Kinder sind Symptomträger“, erklärt Amelie Matzik. Deshalb können Väter und Mütter in die Kinderbetreuung kommen, Kaffee trinken und reden. Außerdem organisieren die Mitarbeiterinnen Infoveranstaltungen zum Schulbesuch oder über Erziehung. Fragen wie die nach der unterschiedlichen Erziehung von Jungen und Mädchen oder nach Gewalt behandeln sie dabei ohne erhobenen Zeigefinger. „Erst will ich verstehen, was für die Eltern wichtig ist, als Basis für unsere Gespräche“, erläutert Amelie Matzik. „Dann erzähle ich, welche Unterschiede es bei uns gibt, zum Beispiel, dass es in Deutschland nicht erlaubt ist Kinder zu schlagen. Und dann frage ich, was wir tun können.“
Vor allem Geduld ist gefragt
Amelie Matzik leitet die Kinder- und Jugendbetreuung, seit die LEA im Jahr 2015 ihre Pforten geöffnet hat. Sie hat viel gelernt seither: „Geduld. Ganz viel Geduld, das ist meine große Stärke.“Sie kann Sätze wie „Wenn du..., dann“und „Stopp“und „Was ist passiert“in mehreren Sprachen sagen, auf Türkisch heißt es: „Ne oldu“, man hört nicht einmal mehr einen Akzent.
Die vielen verschiedenen Sprachen bedeuten weder für sie noch für die Kinder eine Barriere, findet die Pädagogin, im Spiel verständigen sich die Geflüchteten aus Syrien und Togo, Afghanistan, Sri Lanka und vielen anderen Ländern mit Händen und Füßen und dem, was sie an Englisch, Italienisch oder Deutsch gelernt haben in den Jahren ihrer Flucht. Amelie Matzik hat auch gelernt, dass es „ein riesen Privileg ist, wie wir hier in Deutschland aufwachsen“. Trotzdem fällt ihr Vergleich
nicht nur zugunsten ihrer Heimat aus. „Unsere Kinder werden oft überbehütet, ihr Radius, in dem sie sich bewegen können, wird immer kleiner“, stellt sie fest. Eltern aus anderen Ländern trauten ihren Kindern mehr zu: „Und die können das auch.“