Wenige Cent für ein Kalb
Debatte um Milchwirtschaft und Tierschutz
(tja) - Baden-Württembergs Landesregierung soll Viehzüchter unterstützen, die Kälber mästen. Das fordern der Sigmaringer CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Burger (CDU) und der Chef des Bauernverbands Allgäu-Oberschwaben, Waldemar Westermayer (CDU). Hintergrund ist der dramatische Preisverfall für Kälber.
Weil Landwirte in anderen Regionen Fleisch günstiger produzieren können, lohnt sich die Mast im Süden
Deutschlands immer seltener. Das könnte sich nach Ansicht der CDU-Politiker ändern, wenn Vermarkter und Landwirte gemeinsam Mastbetriebe aufbauten. So würden Kälber nach hiesigen TierschutzAuflagen gehalten und die regionale Produktion gestärkt. Für Thekla Walker (Grüne) wäre das nur ein Teil der Lösung: „Wir brauchen eine Agrarwende und einen anderen Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft.“
- Ein Cent. Für diesen Betrag verkaufte ein Landwirt auf der Schwäbischen Alb in der vergangenen Woche ein Kalb. Im Schnitt werden für die Tiere derzeit in Deutschland weniger als neun Euro gezahlt. „Das ist ethisch absolut problematisch“, sagt Klaus Burger (CDU), dem der Bauer den Fall schilderte. Deutschlandweit sind die Preise für Kälber auf Talfahrt. Diese Entwicklung hat eine Debatte in Gang gesetzt – bei der es um Tierwohl geht, um die Gesetze des Marktes und um billige Schnitzel.
Für Thekla Walker, Tierschutzpolitikerin der Grünen, hätte die Diskussion eher geführt werden müssen – nicht erst jetzt, da ein Kalb weniger kostet als ein Zwerghamster. „Vorher hat ein Landwirt 25 Euro pro Tier bekommen, das war auch nicht wahnsinnig viel“, sagt Walker. Nun sei das Thema in der Diskussion, doch einfache Lösungen gebe es nicht.
Ein Kalb pro Kuh und Jahr
Was macht das Problem so komplex? Um das zu verstehen, muss man die vergangenen Jahrzehnte betrachten. Die meisten Milchkuhhalter haben sich spezialisiert – nur so lohnt sich das Geschäft. Jede Kuh bekommt pro Jahr ein Kalb – damit das Tier beständig Milch produziert. Am Tag der Geburt wird es von der Mutter getrennt. Die Milchbauern ziehen weibliche Tiere auf, als Nachwuchs für den Stall. Für die übrigen Tiere haben sie keinen Platz, denn der kostet, so wie Aufzucht, Tierarzt, Pflege. 140 Euro kommen laut CDU-Agrarexperte mindestens übers Jahr zusammen.
Rindermäster kaufen die restlichen Kälber. Doch erstens bilden die Jungtiere von Milchkühen aus genetischen Gründen nicht so viel Fleisch. Zweitens kaufen deutsche Verbraucher relativ wenig Kalbfleisch. Beides drückt die Preise. „Es ist ja kein Wunder, dass Wiener Schnitzel auf unseren Speisekarten mittlerweile 9,90 Euro kosten und nicht mehr wie üblich aus Kalbfleisch sind, sondern vom Schwein. Es will halt niemand mehr dafür zahlen“, erklärt CDU-Mann Burger.
Außerdem lohnt sich die Rinderzucht anderswo mehr als im Südwesten – unter anderem, weil man dafür größere Flächen benötigt. Höfe in Baden-Württemberg sind traditionell kleiner als etwa in Nord- oder Ostdeutschland. „Wir könnten das in der Region schon selber machen, aber die großen Betriebe in Norddeutschland und den Niederlanden können das Fleisch billiger produzieren. Und mehr zahlen wollen die Verbraucher leider nicht“, sagt Waldemar Westermayer (CDU), Vorsitzender des Bauernverbandes AllgäuOberschwaben. Rund 3800 Mäster arbeiten im Land, die Zahl ist seit 2010 stabil.
Wegen einzelner Ausbrüche der Blauzungenkrankheit in BadenWürttemberg ist der Südwesten Sperrzone, ebenso wie alle angrenzenden Regionen Bayerns. Das heißt: Wer gesunde Tiere hat und sie verkaufen will, muss die Mutterkühe impfen. Für den Menschen ist die Seuche zwar ungefährlich, trotzdem sind Tiere aus Sperrgebieten schwerer verkäuflich. Im Sommer waren Transporte wegen der Hitze oft nicht möglich. Das alles führt zu einem Überangebot auf dem deutschen Markt, also sinken die Preise. Im Stall selbst aufziehen aber können die Halter die Tiere nicht. „Dann schreiben sie Verluste, und das führt irgendwann zum Aus für den Hof“, so Bauernvertreter Westermayer.
Die Situation hat sich seit August verschärft. Damals äußerte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) sich: Ihrer Rechtsauffassung nach existieren derzeit keine geeigneten Transporter, um Kälber länger als neun Stunden zu fahren. Damit ist Spanien derzeit außer Reichweite. Länder wie Italien interpretieren die entsprechende EU-Verordnung anders. Doch deutsche Behörden, die die Transporte lange abgefertigt haben, können dies nach Klöckners Aussage nicht mehr.
Transportstopps und die Folgen Nach Einschätzung der Veterinärin Sylvia Heesen ist der Transportstopp notwendig. „Die Bedingungen sind nicht tiergerecht für wenige Wochen alte Kälber“, urteilt das Vorstandsmitglied der „Tierärzte für Tierschutz“. Doch das Verbot in Deutschland verschiebt die Probleme nur, das weiß auch sie. Die meisten Kälber exportiert Deutschland derzeit in die Niederlande. Sobald ein Kalb im EU-Ausland angekommen ist, können deutsche Behörden nicht mehr nachvollziehen, was mit dem Tier geschieht. „Es liegt der Verdacht nahe, dass die Tiere von dort aus weiterverkauft werden – etwa nach Spanien. Dort werden Transporte noch abgefertigt“, sagt Heesen. „Der spanische Markt besorgt sich seine Kälber dann eben aus Osteuropa, wo man es mit dem Tierwohl nicht so genau nimmt“, glaubt Landwirte-Vertreter Westermayer.
Ein rascher Ausweg zeichnet sich nicht ab. Tierärztin Heesen sieht eine Möglichkeit in der Zucht. „Viehhalter sollten gesextes Sperma verwenden – also Sperma, das nur weibliche Kälber erzeugt.“Dann würden weniger Bullenkälber geboren, für die Milchviehbauern keine Verwendung hätten. Außerdem müsse die Zucht in Richtung „Doppelnutzung“gehen: Mit Sperma von Rassen, die Fleisch ansetzen, könnten so männliche Tiere für den Verkauf entstehen. Allerdings bedeutet das mehr Aufwand und Kosten für die Bauern.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Burger und Parteifreund Westermayer schlagen ein anderes Modell vor. Kälbervermarkter und Landwirte könnten im Südwesten gemeinsam Kälbermastbetriebe aufbauen. So würde man den Tieren lange Transporte ersparen und Fleisch aus heimischer Produktion anbieten können, das nach hiesigen Tierschutzauflagen produziert wird. Dafür müsse das Land die Bauern unterstützen, etwa bei den Baukosten und bei der Werbung für das Fleisch, das teurer sei als Billigimporte.
Für die Grünen, Regierungspartner der CDU, wäre das ein gangbarer Weg. „Das ist grundsätzlich sinnvoll“, sagt deren Tierschutz-Fachfrau Walker. „Doch Fakt ist: Das kann das Problem allein nicht lösen.“Man brauche eine Agrarwende und einen anderen Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft. „Wir brauchen eine andere Art der Landwirtschaft, dürfen die Bauern aber nicht allein lassen und den Gesetzen des Marktes ausliefern.“