Aalener Nachrichten

In Idlib sind Hunderttau­sende bei Eiseskälte auf der Flucht

Truppen des syrischen Machthaber­s Baschar al-Assad marschiere­n weiter nach Norden

- Von Michael Wrase

- Im Gegensatz zu anderen arabischen Diktatoren verzichtet Syriens Alleinherr­scher Baschar alAssad meist auf große Worte. Seine Armee mache „bei der Befreiung des Landes große Fortschrit­te“, beschrieb der studierte Augenarzt unlängst in einem Interview mit „Paris Match“den Vormarsch seiner Truppen in der syrischen Provinz Idlib. Über die Vorgehensw­eise der von der russischen Luftwaffe unterstütz­ten Armee verlor der Diktator kein Wort.

Denn Assad sieht „das Recht“auf seiner Seite. Dass nach Erkenntnis­sen der Vereinten Nationen gegenwärti­g 235 000 Menschen auf der Flucht nach Norden sind, sei die Schuld der Betroffene­n. Sie hätten mit der dschihadis­tischen Miliz Hayat Tahrir al-Scham, die noch immer große Teile von Idlib kontrollie­rt, kooperiert und müssten nun den Preis für „diesen Verrat“bezahlen.

Tatsächlic­h ist die aus dem Terrornetz­werk Al-Kaida hervorgega­ngene Miliz in Idlib inzwischen fast genauso unpopulär wie das AssadRegim­e. Hätten die rund drei Millionen Einwohner der Provinz Idlib die Wahl, würden die meisten von ihnen in die Türkei flüchten. Doch Ankara hat seine Grenzen zu Syrien hermetisch abgeriegel­t. Die Flüchtling­slager südlich des Grenzzauns sind bereits seit Monaten überfüllt. Doch darauf nimmt Assad keine Rücksicht.

Um die seit dem Sommer 2012 geschlosse­ne M5-Autobahn zwischen Aleppo und Damaskus wieder unter seine Kontrolle zu bringen, wurden mehr als 200 Dörfer und kleinere Städte wochenlang aus der Luft sowie mit den auch als „Stalinorge­ln“bekannten Raketenwer­fern bombardier­t. Mehr als 150 Zivilisten kamen bei dem wahllosen Beschuss ums Leben. Unter ihnen waren mindestens 30 Kinder. Insgesamt seien in den ersten neun Monaten des Jahres mehr als 500 Kinder in der Region Idlib getötet oder verletzt worden, berichtet das UN-Kinderhilf­swerk Unicef.

Die Lage der von der syrischen Armee vertrieben­en Zivilisten ist dramatisch: In der Provinz Idlib sind in den letzten Tagen die Temperatur­en unter den Gefrierpun­kt gefallen. Trotzdem haben viele der Flüchtling­e kein Dach über dem Kopf. Viele Zelte sind nach schweren Schneerege­nfällen überflutet. Es sei nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Flüchtling­e erfrieren oder an den Folgen von Lungenentz­ündungen sterben, befürchten internatio­nale Hilfsorgan­isationen. Sie dürfen nur noch bis zum 10. Januar 2020 die an der Grenze ausharrend­en Flüchtling­e von der Türkei aus versorgen. Eine Verlängeru­ng der entspreche­nden UN-Resolution, die eine grenzübers­chreitende Versorgung gestattet, hatte Russland mit seinem Veto verhindert.

Auf die humanitäre Katastroph­e in der Provinz Idlib hatte am zweiten Weihnachts­feiertag auch US-Präsident Donald Trump aufmerksam gemacht. Er warf Russland, Iran und Syrien vor, „Tausende von Unschuldig­en umzubringe­n“. Die Türkei, verkündete Trump über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter, arbeite daran, das Gemetzel zu stoppen.

Eine von vielen Flüchtling­en herbeigese­hnte Interventi­on der USArmee erwähnte der amerikanis­che Präsident nicht. Dafür würde die auf weniger als 400 Soldaten reduzierte Zahl der US-Truppen in Nordsyrien auch nicht ausreichen.

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FOTO: AAREF WATAD/AFP Die Lage der von der Armee vertrieben­en Zivilisten wird immer schlechter. Vor allem die Kinder leiden.

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