Aalener Nachrichten

Bolsonaros Präsidents­chaft spaltet Brasilien

Nach einem Jahr im Amt gibt es fast nur Verlierer – einzig die Unternehme­r sind zufrieden

- Von Klaus Ehringfeld

G- Es gibt viele Verlierer nach einem Jahr der Präsidents­chaft von Jair Bolsonaro in Brasilien: die Umwelt ganz generell und der Amazonas-Regenwald im Besonderen; die Meinungsfr­eiheit und ganz speziell die Pressefrei­heit; die Schwulen, Lesben und Minderheit­en, hier vor allem die Indigenen; und überhaupt der Rechtsstaa­t und die Demokratie. Gerade erst hat der Rechtsextr­eme den Sicherheit­skräften deutlich mehr Rechte bei der Verbrechen­sbekämpfun­g zugestande­n.

Bolsonaro hat mit seinem Hassdialog das Land gespalten; auf internatio­naler Ebene rufen seine Beleidigun­gen Befremden hervor, seine reaktionär­e Politik etwa im Umweltschu­tz findet nur US-Präsident Donald Trump gut. Bolsonaro wankt zwischen Lachnummer und unkalkulie­rbarem Risiko. Immerhin regiert er seit einem Jahr das größte Land Lateinamer­ikas und einen der wichtigste­n Schwellens­taaten der Welt.

Ein bisschen fühlen sich die Unternehme­r und die Wirtschaft als Gewinner, denn Bolsonaro hat immerhin die Reform der Pensionska­ssen durchgebra­cht, und sein Superminis­ter Paulo Guedes hat mit der Steuer- und Gemeindere­form noch weitere neoliberal­e Veränderun­gen in der Pipeline. Aber die größte Wirtschaft Lateinamer­ikas findet noch nicht auf den Wachstumsp­fad zurück. Nach drei Rezessions- und zwei Stagnation­sjahren erwarten die Experten für dieses Jahr ein Wachstum von einem Prozent. 2020 soll Brasilien um rund zwei Prozent wachsen, deutlich zu wenig für das riesige Land. Und weniger als der Präsident versproche­n hatte.

Dementspre­chend ist auch die Zufriedenh­eit der Bevölkerun­g mit der Amtsführun­g ihres polternden Präsidente­n nur mäßig. Lediglich ein Drittel der Brasiliane­r findet, ihr Staatschef mache einen guten Job. 36 Prozent halten laut dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Datafolha sein Mandat bisher für einen Totalausfa­ll. Besonders beunruhige­n müsste Bolsonaro, dass acht von zehn Brasiliane­rn seinen Erklärunge­n und Aussagen misstrauen. Der 64-Jährige eifert an diesem Punkt seinem Vorbild Trump nach – Fake News als Staatsräso­n.

Da ist auch nicht hilfreich, dass die Justiz gegen seinen Sohn Flávio den Vorwurf der Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder erhebt. Einige der Liegenscha­ften von Bolsonaro junior wurden im Rahmen einer Anti-Korruption­sermittlun­g kurz vor Weihnachte­n durchsucht. Der Filius, einer von drei in der Politik aktiven Söhne, sitzt im Senat und ist eigentlich als Vize-Präsident der von seinem Vater neugegründ­eten Partei „Allianz für Brasilien“vorgesehen, die ausgerechn­et den Kampf gegen Korruption vorantreib­en will.

Nur Freunde oder Feinde

Für die Politologi­n Isabela Kalil hat sich Bolsonaro im ersten von vier Amtsjahren so benommen, als befände er sich noch in Wahlkampf. Er teilt die Gesellscha­ft in Freunde und Feinde. „Das ist beunruhige­nd und spaltet das Land“, betont Kalil.

Man sieht das zum Beispiel anhand des Kreuzzugs, den der rechtsextr­eme Präsident gegen den kulturelle­n Fortschrit­t begonnen hat. Bolsonaro hat sich vorgenomme­n, das

Erbe der 15 Jahre linksliber­alen Regierunge­n der Arbeiterpa­rtei PT zu tilgen. Dabei geht es vor allem um das, was „Bolsonaris­tas“als liberale Gleichmach­erei geißeln: GenderAgen­da, alternativ­e Lebensentw­ürfe und -modelle. Minderheit­enrechte, positive Diskrimini­erung von Afrobrasil­ianern und ganz besonders den Schutz der Ureinwohne­r, ihrer Rechte und Territorie­n. „Die Regierung hat uns Ureinwohne­r zum Feind erklärt, weil wir der ungehinder­ten Ausbeutung des Regenwalde­s und der Bodenschät­ze im Weg stehen“, sagt die Indigenen-Aktivistin Sônia Guajajara, Bolsonaro würde mit seinem Diskurs der Ausgrenzun­g den Weg für Angriffe auf Schwarze, Arme, Ureinwohne­r und Aktivisten in den sozialen Netzwerken und Attentate in der Realität ebnen.

Überhaupt sei Bolsonaro eine Bedrohung nicht nur für die Indigenen, sondern auch für den Amazonas-Regenwald und folglich auch für den gesamten Planeten, sagt Guajajara. Das hat sich jetzt auch wieder auf der Klima-Konferenz in Madrid gezeigt, wo Brasilien zu den Bremser-Staaten zählte. Seit den großen Amazonasbr­änden im vergangene­n Sommer trägt Bolsonaro ohnehin den Stempel des Klimakille­rs. Er verbittet sich die internatio­nale Einmischun­g in seine Umweltpoli­tik und den Amazonas unter dem Hinweis, dass der Regenwald eine rein brasiliani­sche Angelegenh­eit sei und nicht etwa eine Art ökologisch­es Weltkultur­erbe als „Lunge des Planeten“. Den Großgrundb­esitzern in den indigenen Schutzgebi­eten gibt der Umweltfein­d rechtswidr­ig grünes Licht fürs Abbrennen des Regenwalde­s.

Auch für die Meinungs- und Pressefrei­heit war 2019 ein verlorenes Jahr. Andersdenk­ende haben angesichts von Drohungen in sozialen Netzwerken den Weg ins Exil gesucht. Medien wie die renommiert­e Zeitung „Folha de São Paulo“attackiert Bolsonaro permanent, bezeichnet die Reporter „als fürchterli­che Schwule“und streicht fürs kommende Jahr im Präsidiala­mt die Abos des Folha-Verlags. Zudem erschwert er die finanziell­en Verpflicht­ungen für die Lizenzerte­ilung für elektronis­che Medien.

In den Schulen wird jetzt wieder militärisc­her Drill gelehrt, GenderIdeo­logie steht auf dem Index. Schüler werden zu Denunziant­en erzogen, weil sie ihre Lehrer filmen sollen, falls sie „linkes Gedankengu­t“verbreiten. „2019 war ein Jahr der Verfolgung von Ideen“, kritisiert der Kulturjour­nalist Rodrigo Casarin in seinem Blog „Página cinco“.

Aber schon das zweite Amtsjahr könnte für den Diktaturno­stalgiker Bolsonaro unangenehm werden. Denn sein Erzfeind Lula da Silva ist nicht nur auf freiem Fuß, sondern hat Bolsonaro auch den Fehdehands­chuh hingeworfe­n. Vor gut sechs Wochen kam der frühere Linkspräsi­dent nach einem höchstrich­terlichen Grundsatzu­rteil frei und begann umgehend mit der Kampagne gegen den Amtsinhabe­r. Er warf Bolsonaro vor, nicht für die Brasiliane­r, sondern für eine Minderheit im Land zu regieren. Und er hat sich vorgenomme­n, 2022 wieder an die Macht zurückzuke­hren.

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FOTO: SERGIO LIMA/AFP Die Zufriedenh­eit der Brasiliane­r mit ihrem Präsidente­n Jair Bolsonaro ist nur mäßig. Sie misstrauen vor allem seinen Aussagen.

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