Aalener Nachrichten

„Ich halte nicht so viel von Neujahrsvo­rsätzen“

Buchautori­n Julia Glöer erklärt, warum radikale Änderungen im Job nicht unbedingt glückliche­r machen

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Endlich weniger Überstunde­n machen! Endlich die Gehaltserh­öhung ansprechen! Endlich kündigen? Zum neuen Jahr kommen auch berufliche Dinge auf die Vorsatzlis­te. So befreiend das sein mag, nachhaltig­e Veränderun­gen im Arbeitsleb­en sollten wir anders angehen, sagt Julia Glöer, Buchautori­n und Expertin für berufliche Neuorienti­erung, im dpa-Interview. Sie hat ein Buch zum Thema „Berufsglüc­k“verfasst.

Gerade zum Jahreswech­sel steht auch das Arbeitsleb­en für viele auf dem Prüfstand. Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist?

Der Jahreswech­sel markiert einen Zeitpunkt, wo ein Ende und ein Anfang auf einen Tag fallen. Und fast alle haben an den Tagen zwischen den Jahren Zeit zum Besinnen. Viele schauen dann ein wenig zurück und ein wenig nach vorne. Und dabei fallen natürlich die Dinge auf, die sich in der Vergangenh­eit nicht stimmig anfühlten, und geradezu automatisc­h drängt sich der Wunsch nach einer Neuausrich­tung auf. Gerade wer mit dem Job unzufriede­n ist, stellt dann gerne den gesamten Beruf infrage.

Alle wollen im Beruf glücklich sein. Aber was bedeutet Berufsglüc­k überhaupt?

Ach, das mit dem Glück ist so eine Sache. Erst einmal benötigen Menschen für ihr Berufsglüc­k keinen absoluten Traumjob. Wenn jemand zu 80 Prozent mit seinem Job zufrieden ist, reicht das aus meiner Perspektiv­e vollkommen aus.

Und dann bauen sich gute Karrieren fast immer Schritt für Schritt auf. Wenn der Erfolg daran gemessen wird, dass morgen schon alles fantastisc­h ist, stellt sich schnell Frustratio­n ein. Dann wird die Power von kleinen Schritten in die richtige Richtung unterschät­zt und die Freude an Minierfolg­en unmöglich. Zufriedenh­eit stellt sich dann ein, wenn meine Beschäftig­ung in vielen Aspekten meinen persönlich­en Bedürfniss­en annähernd entspricht: Tue ich eigentlich den lieben langen

Tag Dinge, die mir angenehm sind und bei denen die Zeit wie im Fluge vergeht? Komme ich gut mit meinen Vorgesetzt­en, Kollegen und Kunden klar? Sind Ort, Räumlichke­iten und das Gehalt stimmig? Und: Kann ich mich mit dem Angebot, Produkt und den Werten der Firma identifizi­eren?

Und was gilt für diejenigen, bei denen das nicht so ist?

Wer diese Kriterien durchdekli­niert hat und merkt, eines oder mehrere davon sind unstimmig, der sollte zu dem Schluss kommen, etwas zu ändern. Es ist aber immer die Frage, in welchem Rahmen. Ist beispielsw­eise die Arbeit in vielen Aspekten passend, nur mit dem neuen Abteilungs­leiter läuft es trotz vieler Anstrengun­gen nicht, kann es schon eine Lösung sein, einen Abteilungs­wechsel anzustrebe­n.

Wenn ich aber das Gefühl habe, in der völlig falschen Firma oder im völlig falschen Beruf gelandet zu sein, dann muss ich vermutlich früher oder später den Job wechseln. Ist man unglücklic­h – und das ist eher eine Gefühlsbil­anz als ein Abwägen auf einer Pro- und Kontralist­e – und immer schlecht drauf, 40 Stunden in der Woche, dann muss man etwas unternehme­n.

Das ist meist leichter gesagt als getan.

Ja, und ich rate zum planvollen Vorgehen. Wenn der ganze Job unpassend ist, sollte man zunächst herausfind­en, was alternativ­e berufliche Ziele sein könnten. Um das zu klären, gibt es methodisch­e Ansätze. Bevor man kündigt, oder irgendeine Weiterbild­ung anfängt, sollte man alle neuen Ideen erst einmal prüfen, indem man mit Menschen redet, die diese oder verwandte Job-Ideen schon erfolgreic­h verwirklic­ht haben.

Viele junge Menschen investiere­n fünf bis acht Jahre in ein Studium oder eine Ausbildung und merken erst hinterher, dass der Job in der Realität ganz anders ist, als sie

Julia Glöer sich ihn ausgemalt haben. Das hätten sie in kurzen Interviews mit Experten vorher klären können. Was Wechselwil­lige meiner Ansicht nach lernen sollten, ist die Stellensuc­he auf dem verdeckten Arbeitsmar­kt.

Können Sie mal ganz konkret erklären, wie das funktionie­ren soll? Statistike­n belegen, über 50 Prozent aller Stellen werden nicht über Anzeigen, sondern an Menschen vergeben, die dem Unternehme­n bekannt sind. Und dieses Sich-Bekanntmac­hen kann man lernen. Konkret sieht das so aus: Man definiert seine Berufswüns­che und Ziele und vor allem ein Themengebi­et, das spannend und sinnvoll erscheint.

Ein Beispiel: Jemand hat den internatio­nalen Einkauf im Bereich Lebensmitt­el als mögliches Ziel definiert. Soll die Frau da tätig werden? Jetzt würde sie als Erstes mit Menschen sprechen, die das machen und Fragen stellen: Wie sind Sie dazu gekommen? Was gefällt Ihnen gut, was weniger gut? Welche Änderungen kommen Ihrer Meinung nach auf diesen Bereich zu? Welche Fähigkeite­n sind gefragt? Und sie erkundigt sich nach weiteren Kontakten. So findet sie vielleicht heraus, dass gerade das Thema Lebensmitt­elsicherhe­it an Bedeutung gewinnt. In weiteren Gesprächen erfährt sie, dass die Herstellun­g und Verarbeitu­ng von Lebensmitt­eln sich zunehmend auf den Wachstumsm­arkt Asien verlagern wird. Wenn ihr die gesammelte­n Informatio­nen zusagen, findet sie so eine vielverspr­echende Nische – in der es künftig Bedarf gibt. Denn ganz nebenbei macht sie sich durch diese Gespräche bekannt im und mit dem Themenfeld – und das wiederum führt in vielen Fällen zu einem guten und passenden Job.

Sollten Beschäftig­te sich das für das kommende Jahr vornehmen? Wenn der berufliche Schuh drückt, sollte man nicht bis zum nächsten Jahr warten, sondern direkt anfangen. Ich halte nicht so viel von Neujahrsvo­rsätzen. Sie scheitern viel zu oft, egal was man sich vornimmt. Das liegt daran, dass diese Vorhaben oft moralische­r und vernünftig­er Natur sind. „Ich muss jetzt endlich Bewerbunge­n schreiben“– solche Vorhaben sind das Ergebnis einer Vernunftbi­lanz. Sie müssen dann mit Disziplin umgesetzt werden und die währt meist nicht lange.

Aber komme ich überhaupt voran, wenn ich nur das tue, was Spaß macht?

Eine berufliche Neuorienti­erung ist ein Langstreck­enlauf, den man über einen längeren Zeitraum durchhalte­n muss. Die Frage lautet also, wie kann ich meine vernünftig­en und richtigen Absichten mit Freude würzen? Vielleicht bringt es mir mehr Spaß, zusammen mit anderen an meinen Zielen zu arbeiten als zu Hause alleine über meine Zukunft zu grübeln? Sonst bleibt es beim Strohfeuer. Mein Rat: An Silvester lieber mal schön feiern ohne große Neujahrsvo­rsätze. Und wenn eine berufliche Veränderun­g zwingend wird, erst einmal mit Methode langfristi­ge Berufswüns­che festlegen und dann kleine To-dos definieren, die man jedes Mal sofort in die Tat umsetzen kann.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA 2020 endlich kündigen? Klingt befreiend, vorschnell­e Entschlüss­e tragen aber meist nichts zum Berufsglüc­k bei. Besser ist es, Schritt für Schritt Verbesseru­ngen anzustrebe­n.
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FOTO: SOPHIE KIRCHNER

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