Aalener Nachrichten

So wird der Restwert bei Totalschäd­en korrekt ermittelt

Worauf Versichert­e achten müssen, wenn sie mit ihrem Auto im Kaskoschad­ensfall weiterfahr­en wollen

- Von Simon Siman

Wer einen Schaden an seinem alten Gebrauchtw­agen hat, kann vor folgendem Problem stehen: die Reparaturk­osten übersteige­n den Wert des Autos. Handelt es sich dabei um einen Kaskoschad­en, und die Reparatur des Fahrzeugs ist teurer als der Wiederbesc­haffungswe­rt, rechnet der Versichere­r das Auto als Totalschad­en ab. Wer sein Auto danach noch weiterfahr­en will, sollte genau aufpassen. Denn zur Ermittlung des Restwerts können sich Versicheru­ngen auf Angebote aus dem Ausland beziehen – zum Vorteil der Versicheru­ng.

Ein aktueller Fall aus dem Bodenseekr­eis veranschau­licht das Problem: Das Gebrauchtf­ahrzeug eines Mannes hatte einen Hagelschad­en. Seine Versicheru­ng beauftragt­e einen Gutachter, der die Reparaturk­osten des beschädigt­en Fahrzeugs höher einschätzt­e als den Wiederbesc­haffungswe­rt – den Wert des Fahrzeugs vor dem Hagelschad­en. Die Versicheru­ng rechnete also auf Basis eines Totalschad­ens ab.

Da der Mann sein Auto trotz Hagelschad­en weiterfahr­en wollte, musste sein Versichere­r ihm den Schaden auszahlen. Zur Anrechnung bei Totalschäd­en gilt dabei folgende Formel: Ausgezahlt wird der Wiederbesc­haffungswe­rt (Gebrauchtw­ert des Fahrzeugs vor dem Schaden) abzüglich des Restwerts (Wert nach dem Schaden) und der Selbstbete­iligung des Versichert­en.

„Zur Anrechnung des Restwerts holte die Versicheru­ng meines Mandanten jedoch ein Angebot aus Litauen ein, welches gut 2000 Euro über dem Wert des regionalen Marktes lag“, sagt Dieter Franke, Rechtsanwa­lt des Mannes aus dem Bodenseekr­eis und Fachanwalt für Verkehrsre­cht aus Friedrichs­hafen. Die Versicheru­ng verrechnet­e also 2000 Euro mehr mit dem Wiederbesc­haffungswe­rt des beschädigt­en Fahrzeugs und zahlte Frankes Mandant weniger Geld aus, als ihm laut regionalem Angebot zusteht.

Franke klagte den Differenzb­etrag zwischen dem litauische­n und regionalen Gutachten beim Amtsgerich­t Stuttgart ein. Das Gericht wies die Klage ab, Franke ging in Berufung. In zweiter Instanz hat das Stuttgarte­r Landgerich­t das Urteil nun gekippt und Frankes Mandant recht gegeben. Die Versicheru­ng muss mehr zahlen – und zwar so viel, wie im Bodenseekr­eis und Umgebung angeboten wird. „Der litauische Restwertma­rkt ist einem durchschni­ttlichen Kaskoversi­cherungsne­hmer gar nicht zugänglich“, heißt es in der Begründung des Urteils.

Ob für Versichere­r bei der Anrechnung des Restwerts jedoch immer ausschließ­lich der regionale Markt zählt, wollte die Stuttgarte­r Richterin nicht entscheide­n. Ein vergleichb­ares, richtungsw­eisendes Urteil für

Haftpflich­tschadensf­älle hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) gefällt. Demnach muss für ein beschädigt­es Fahrzeug, für das die Haftpflich­tversicher­ung Schadenser­satz leistet, und das weiterhin gefahren wird, immer der Restwert des regionalen Marktes angesetzt werden. Das Stuttgarte­r Landgerich­t hat sich in dem aktuellen Fall für Kaskoversi­cherer jedoch ausdrückli­ch nur auf internatio­nale Angebote

aus dem nicht-deutschspr­achigen Raum bezogen, die keine Grundlage für die Anrechnung des Restwerts bieten dürfen.

Urteil mit Signalwirk­ung

„Ich finde es zwar schade, dass das Gericht die Entscheidu­ng über die regionalen Märkte als Grundlage umgangen hat“, sagt Franke. „Wichtiger ist aber, dass Geschädigt­e die Gutachten

ihrer Versicheru­ngen nicht einfach blind akzeptiere­n müssen.“Der Fachanwalt erlebe häufiger, dass Versicheru­ngen nicht zu Gunsten ihrer Versichert­en handeln. Daher sei es wichtig, bereits vor Abschluss eines Vertrages genau auf die Versicheru­ngsbedingu­ngen zu schauen, in denen die Restwertka­lkulatione­n festgelegt sind.

Wie häufig Versicheru­ngen tatsächlic­h zu ihren Gunsten auf ausländisc­he Gutachten zurückgrei­fen, darüber liegen dem Allgemeine­n Deutschen Automobil-Club (ADAC) keine Erkenntnis­se vor. In solchen Fällen rät der Club jedoch zu anwaltlich­er Beratung. Grundsätzl­ich haben Versichere­r bei Kaskoschäd­en laut ADAC-Experten ein Weisungsre­cht, dessen Umfang nicht abschließe­nd geklärt sei. „Ein Vergleich der Bedingunge­n im Markt ist nicht möglich“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Laut Erhebung des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) werden in der Auto-Haftpflich­tversicher­ung über 97 Prozent der Schäden „reibungslo­s und zur Zufriedenh­eit der Kunden reguliert.“In knapp drei Prozent aller Fälle komme es zu einem Prozess. In der Kaskoversi­cherung liege der Anteil der reibungslo­s regulierte­n Schäden sogar bei über 99,9 Prozent. Laut ADAC-Vertragsan­walt Franke liegt das jedoch vor allem daran, dass sich die meisten nicht trauen, gegen ihre Versichere­r zu klagen.

Wer in Streitfäll­en mit der eigenen Versicheru­ng lieber auf Rechtsmitt­el verzichten will, der kann sich laut GDV auch an den Versicheru­ngsombudsm­ann wenden. Dieser ist eine anerkannte Schlichtun­gsstelle für Verbrauche­r. Er soll Streitigke­iten in Versicheru­ngsangeleg­enheiten beilegen. „Der Versicheru­ngsombudsm­ann arbeitet für Verbrauche­r kostenfrei, überprüft neutral, schnell und unbürokrat­isch die Entscheidu­ngen des Versichere­rs [...] und kann Versichere­r bis zu 10 000 Euro zur Leistung verpflicht­en“, heißt es vom GDV.

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FOTO: DPA Ärgerlich: Für den alten Gebrauchtw­agen kann auch ein Hagelschad­en zum Totalschad­en werden.

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