So wird der Restwert bei Totalschäden korrekt ermittelt
Worauf Versicherte achten müssen, wenn sie mit ihrem Auto im Kaskoschadensfall weiterfahren wollen
Wer einen Schaden an seinem alten Gebrauchtwagen hat, kann vor folgendem Problem stehen: die Reparaturkosten übersteigen den Wert des Autos. Handelt es sich dabei um einen Kaskoschaden, und die Reparatur des Fahrzeugs ist teurer als der Wiederbeschaffungswert, rechnet der Versicherer das Auto als Totalschaden ab. Wer sein Auto danach noch weiterfahren will, sollte genau aufpassen. Denn zur Ermittlung des Restwerts können sich Versicherungen auf Angebote aus dem Ausland beziehen – zum Vorteil der Versicherung.
Ein aktueller Fall aus dem Bodenseekreis veranschaulicht das Problem: Das Gebrauchtfahrzeug eines Mannes hatte einen Hagelschaden. Seine Versicherung beauftragte einen Gutachter, der die Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs höher einschätzte als den Wiederbeschaffungswert – den Wert des Fahrzeugs vor dem Hagelschaden. Die Versicherung rechnete also auf Basis eines Totalschadens ab.
Da der Mann sein Auto trotz Hagelschaden weiterfahren wollte, musste sein Versicherer ihm den Schaden auszahlen. Zur Anrechnung bei Totalschäden gilt dabei folgende Formel: Ausgezahlt wird der Wiederbeschaffungswert (Gebrauchtwert des Fahrzeugs vor dem Schaden) abzüglich des Restwerts (Wert nach dem Schaden) und der Selbstbeteiligung des Versicherten.
„Zur Anrechnung des Restwerts holte die Versicherung meines Mandanten jedoch ein Angebot aus Litauen ein, welches gut 2000 Euro über dem Wert des regionalen Marktes lag“, sagt Dieter Franke, Rechtsanwalt des Mannes aus dem Bodenseekreis und Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Friedrichshafen. Die Versicherung verrechnete also 2000 Euro mehr mit dem Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs und zahlte Frankes Mandant weniger Geld aus, als ihm laut regionalem Angebot zusteht.
Franke klagte den Differenzbetrag zwischen dem litauischen und regionalen Gutachten beim Amtsgericht Stuttgart ein. Das Gericht wies die Klage ab, Franke ging in Berufung. In zweiter Instanz hat das Stuttgarter Landgericht das Urteil nun gekippt und Frankes Mandant recht gegeben. Die Versicherung muss mehr zahlen – und zwar so viel, wie im Bodenseekreis und Umgebung angeboten wird. „Der litauische Restwertmarkt ist einem durchschnittlichen Kaskoversicherungsnehmer gar nicht zugänglich“, heißt es in der Begründung des Urteils.
Ob für Versicherer bei der Anrechnung des Restwerts jedoch immer ausschließlich der regionale Markt zählt, wollte die Stuttgarter Richterin nicht entscheiden. Ein vergleichbares, richtungsweisendes Urteil für
Haftpflichtschadensfälle hatte der Bundesgerichtshof (BGH) gefällt. Demnach muss für ein beschädigtes Fahrzeug, für das die Haftpflichtversicherung Schadensersatz leistet, und das weiterhin gefahren wird, immer der Restwert des regionalen Marktes angesetzt werden. Das Stuttgarter Landgericht hat sich in dem aktuellen Fall für Kaskoversicherer jedoch ausdrücklich nur auf internationale Angebote
aus dem nicht-deutschsprachigen Raum bezogen, die keine Grundlage für die Anrechnung des Restwerts bieten dürfen.
Urteil mit Signalwirkung
„Ich finde es zwar schade, dass das Gericht die Entscheidung über die regionalen Märkte als Grundlage umgangen hat“, sagt Franke. „Wichtiger ist aber, dass Geschädigte die Gutachten
ihrer Versicherungen nicht einfach blind akzeptieren müssen.“Der Fachanwalt erlebe häufiger, dass Versicherungen nicht zu Gunsten ihrer Versicherten handeln. Daher sei es wichtig, bereits vor Abschluss eines Vertrages genau auf die Versicherungsbedingungen zu schauen, in denen die Restwertkalkulationen festgelegt sind.
Wie häufig Versicherungen tatsächlich zu ihren Gunsten auf ausländische Gutachten zurückgreifen, darüber liegen dem Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) keine Erkenntnisse vor. In solchen Fällen rät der Club jedoch zu anwaltlicher Beratung. Grundsätzlich haben Versicherer bei Kaskoschäden laut ADAC-Experten ein Weisungsrecht, dessen Umfang nicht abschließend geklärt sei. „Ein Vergleich der Bedingungen im Markt ist nicht möglich“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Laut Erhebung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) werden in der Auto-Haftpflichtversicherung über 97 Prozent der Schäden „reibungslos und zur Zufriedenheit der Kunden reguliert.“In knapp drei Prozent aller Fälle komme es zu einem Prozess. In der Kaskoversicherung liege der Anteil der reibungslos regulierten Schäden sogar bei über 99,9 Prozent. Laut ADAC-Vertragsanwalt Franke liegt das jedoch vor allem daran, dass sich die meisten nicht trauen, gegen ihre Versicherer zu klagen.
Wer in Streitfällen mit der eigenen Versicherung lieber auf Rechtsmittel verzichten will, der kann sich laut GDV auch an den Versicherungsombudsmann wenden. Dieser ist eine anerkannte Schlichtungsstelle für Verbraucher. Er soll Streitigkeiten in Versicherungsangelegenheiten beilegen. „Der Versicherungsombudsmann arbeitet für Verbraucher kostenfrei, überprüft neutral, schnell und unbürokratisch die Entscheidungen des Versicherers [...] und kann Versicherer bis zu 10 000 Euro zur Leistung verpflichten“, heißt es vom GDV.