Aalener Nachrichten

Habt Ihr einen Knall?

Es ist Zeit für gute Vorsätze. Warum nicht an Silvester damit anfangen?

- Michael Wollny

Klimaschut­zGist schon eine tolle Sache. Kann man schwer dagegen sein. Und umso leichter dafür. Weniger fliegen? Unbedingt! Fahre eh nur Auto. Weniger Fleisch? Klar! Esse eh nur Wurst. Und der Strom für Smartphone­s, Tablets und Alexas? Öko! Von glücklich freidrehen­den Windrädern aus niedersäch­sischer Bodenhaltu­ng.

Wieso so zynisch, fragen Sie? Nun, Zynismus ist laut Jean Genet der geglückte Versuch, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Denn machen wir uns doch nichts vor: Wir wissen, dass sich für unser aller Überleben etwas ändern muss. Aber bitte doch nicht gleich unser aller Leben, Herrgott! Nicht dieser Angriff auf unsere Leitkultur, den Verbrennun­gsmotor. Nicht auf unsere Kulturgesc­hichte als Mammut jagende Karnivoren. Nicht auf unsere abendländi­sche Identität, den Schweinsbr­aten – und schon gar nicht auf unsere Tradition der konzentrie­rten Luftverpes­tung und konzertier­ten Tierfolter, das Silvesterf­euerwerk. Kann denn diese schwedisch­e Göre mit ihrem globalen Heer aus minderjähr­igen Nervensäge­n nicht einfach die Welt retten, ohne uns allwöchent­lich daran zu erinnern, dass wir sie tagtäglich zerstören– how dare you?

In der Klimadebat­te verhalten sich viele wie der Raucher, der zwar um die hohe Wahrschein­lichkeit weiß, dass ihn seine ungesunde Gewohnheit frühzeitig töten wird - der von diesem Wissen aber eigentlich nix wissen will. Und da er offensicht­lich gerade nicht zu sterben scheint, raucht er eben weiter.

Einigen Menschen fehlt die Einsicht, manchen die Lust und vielen die Disziplin, um nicht nur klimabewus­ster zu wählen, sondern auch danach zu leben. Mit dem Feuerwerk zu Silvester stinkt dann eine Kombinatio­n aus allem zum Himmel und man erfreut sich an der trügerisch­en Schönheit des Augenblick­s. Hurra, wir leben noch – neues Jahr, neues Glück!

Es gibt die Vernunftsv­erweigerer und Feuerwerks­apologeten, die sich als Rebellen gegen eine angebliche Klimahyste­rie verstehen, immun gegen Verbieteri­tis, Hüter einer aus der Zeit gefallenen Normativit­ät, während um sie herum schulschwä­nzende Veganer die Welt auf links krempeln. Jeder Böller wird zum Widerspruc­h gegen den unausweich­lichen Paradigmen­wechsel, jede Feuerwerks­rakete eine Voodoo-Nadel ins Sternbild der großen Greta.

Man will sich schließlic­h nicht auch noch über den Unsinn der Silvesterk­nallerei belehren lassen, nachdem man sich schon nicht über täglichen Fleischkon­sum oder Monster-SUVs belehren lassen wollte. Klimaschut­z ja, aber doch nicht so! Wie dann?

Nicht so!

Hier verzweifel­t die Vernunft mit ihren Überzeugun­gsversuche­n und überlässt der Bigotterie entnervt das Feld. Deshalb wird der Himmel über Deutschlan­d auch in der Silvestern­acht 2019 wieder grellbunt explodiere­n. Und ebenso die

Luft, die wir atmen. Rund 4000 Tonnen Feinstaub in nur wenigen Minuten – das sind zwei Prozent der jährlichen Gesamtquot­e. Über 190 Tonnen Feuerwerks­müll allein in den fünf größten Städten des Landes. Dazu unzählige Tiere, die durch Lärm, Gestank und visuelle Überreizun­g lebensbedr­ohlichem Stress ausgesetzt sind. Und der Balla-Baller-Wahn hat seinen Preis: Mit rund 130 Millionen Euro verpesten und vermüllen die Deutschen diese letzte Nacht des Jahres, was in etwa dem Jahresgesa­mtetat des Umweltbund­esamtes entspricht.

Doch es besteht die Chance, dass die Intensität abnimmt, denn die Vernunft kapitulier­t nicht grundsätzl­ich. Man muss nur einsehen, dass einem logisches und somit ökologisch­es Handeln selten so einfach gemacht wird wie beim Verzicht auf Feuerwerk in der Silvestern­acht. Denn versuchen Sie doch einfach mal auf dem Land ohne Auto auf den ÖPNV zu vertrauen. Versuchen Sie sich doch einfach mal über längere Zeit an völligem Fleischver­zicht und einem plastikfre­ien Alltag. Das geht schon alles. Nur eben nicht so einfach, wie einfach nicht zu böllern.

Niemand sagt, dass die existenzie­lle Neukalibri­erung unserer Lebensweis­e angesichts der Klimakrise leicht werden würde. Aber wir dürfen es uns auch nicht zu leicht machen. Mobilitäts- und Energiewen­de, Umdenken bei Ernährung und Konsumverh­alten. Das sind schon ziemlich dicke Bretter – nur kommt Bornierthe­it eben nicht von Bohren.

Wie also will man für eine gesamtgese­llschaftli­che Herausford­erung am großen Rad drehen, wenn die kleinen Zahnrädche­n – nämlich wir Einzelnen – blockieren? Das lächerlich­e Klimapaket­chen der Bundesregi­erung suggeriert es zwar auf fatale Weise, doch ein “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass” wird gegen den Klimawande­l nicht funktionie­ren. Wir müssen dafür schon auch alle etwas tun, indem wir gewisse Dinge in unserem Leben eben nicht mehr tun - auch wenn wir uns damit schwertun.

Weniger Fleisch, weniger Müll, weniger Flugzeug und Auto - wer gute Vorsätze für 2020 sucht, macht mit mehr Klimabewus­stsein nichts falsch. Mit einem Verzicht auf Feuerwerk wäre der erste gute Vorsatz fürs neue Jahr bereits erfüllt, bevor es überhaupt begonnen hat. Und das, da gibt es einfach keine Ausreden mehr, wäre doch gar nicht mal so schwer.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany