Das große Prickeln
In der deutschen Sektszene gibt es eine neue Dynamik – Immer mehr junge Winzer produzieren hochwertigen Schaumwein nach dem Champagnerverfahren
Niko Brandner setzt den Öffner an, ein kurzer Ruck, dann schießt eine milchige Substanz in den wassergefüllten Glasbehälter, in dem er die Sektflasche geöffnet hat. Schnell schiebt Brandner den Daumen auf den Flaschenhals, verschließt die Öffnung und präsentiert die frisch degorgierte Flasche seines 2014er Grand Cuvée Dosage Zero den 20 Medienschaffenden, die sich im Keller des Sekthauses Streit in Bensheim eingefunden haben.
Brandners kleine Demonstration liefert ein passendes Bild für die neue Dynamik in der deutschen Sektszene. So wie die ausschießende Hefe in der großen Glasschüssel ihre Spuren hinterlässt im Wasser, so bildet der Winzersekt eine wachsende Qualitätsblase im riesigen deutschen Schaumweinsee des schlechten Geschmacks. Die Deutschen sind ein
Volk von Sektliebhabern. In den vergangenen zwölf Monaten kauften sie 324 Millionen Flaschen Schaumwein und gaben dafür rund 1,25 Milliarden Euro aus, so viel wie nirgends sonst auf der Welt. Die überwältigende Mehrheit dieses Konsums allerdings, 97 Prozent, betrifft die Massenproduktion der großen Häuser.
Anders als in Frankreich, Italien oder Spanien, wo Lagenbezeichnungen und Eigennamen wie Champagner, Crémant, Spumante, Franciacorta oder Cava die Qualitätsspitze der Schaumweinproduktion kennzeichnen, heißt in Deutschland alles, was perlt, Schaumwein oder eben Sekt: die schlimmste Plörre, die in riesigen Tanks unter Zugabe von Kohlensäure hergestellt wird, ebenso wie die aufwendig nach der Champagnermethode in Flaschengärung produzierten drei Prozent der gesamten Produktion. Um sich von Rotkäppchen und Co. abzugrenzen, haben sich die auf Qualität bedachten Hersteller auf die Bezeichnung „Winzersekt“verständigt. Die Vokabel ist immerhin eingängiger als der Name der Herstellervereinigung (Verband der traditionellen klassischen Flaschengärer), aber noch weit entfernt von einem Markennamen, mit dem eine breite Öffentlichkeit etwas anfangen könnte.
Umso wichtiger ist es, weiter an der Qualitätsschraube zu drehen. Dafür sorgen aufstrebende Talente wie der 35-jährige Brandner, der im Gegensatz zu vielen seiner jungen Kollegen nicht von elterlichem Erbe und Herkunft profitiert, sondern ein Neueinsteiger in der deutschen Weinszene ist. Seinen ehemaligen Job als Banker hat er an den Nagel gehängt, um sich der Herstellung von handwerklichen Schaumweinen zu widmen, die mit vielen der Konventionen brechen. „Ich bin Winzer geworden, weil ich einen Beruf lernen wollte, der sich nach Berufung, nach Lebenssinn anfühlt“, sagt Brandner, bei dem sich die Leidenschaft fürs Sektmachen mit verkaufsförderndem Charisma verbindet.
Direkt nach seinem Weinbau- und Ökologiestudium im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße landete Brandner beim Bensheimer Unternehmerehepaar Streit. Die Streits hatten 2013 eine alte Kellerei mitten in der kleinen Ortschaft nördlich von Mannheim erworben und das Sekthaus Griesel & Co. gegründet. Sie ließen dem jungen Mann freie Hand, und der lohnte es gleich in seinem ersten selbstverantworteten Jahrgang 2018 mit filigranen Sekten: elegant, komplex, mit gutem Reifepotenzial.
Die Reben für Brandners Sekt wachsen an der Hessischen Bergstraße,
dem mit 450 Hektar kleinsten deutschen Anbaugebiet. Auf 7,5 Hektar baut Brandner rund um Bensheim sowohl klassische Rebsorten der Champagne wie Pinot Noir, Chardonnay und Weißburgunder an als auch Riesling.
Auch etliche andere junge Talente wie Mark Barth (Hattenheim/Rheingau), Christian Krack (Deidesheim/ Pfalz), Tim Weißbach (Strauch Sektmanufaktur in Osthofen/Rheinhessen) oder Anika Hattemer (Nikolaushof in Gau-Algesheim/Rheinhessen) haben verinnerlicht, worauf es ankommt, wenn man guten Sekt machen will: Handlese ausschließlich gesunder Beeren, schonende Pressung, schlanke, säurebetonte, nicht zu fruchtige, aber komplexe Grundweine, jahrelange Lagerung auf der Hefe. Dazu braucht es viel Geduld. „Frucht ist Ballast im Wein“, meint Brandner. Seine Sekte sollen nicht mächtig, sondern filigran, finessenreich und elegant daherkommen, der Alkoholgehalt 12,5 Prozent auf keinen Fall übersteigen.
Wer sich näher mit dem Herstellungsprozess beschäftigt, versteht auch, warum diese Art von Sekt ihren Preis hat. Ein anschauliches Beispiel gab Barbara Roth, die mit ihrem Mann Thorsten Ochocki für die Wilhelmshof-Sekte in Siebeldingen bei Landau in der Pfalz verantwortlich zeichnet: „Um einen Vollernter zu ersetzen, brauche ich einen Tag lang 300 Pflücker.“Zum Verständnis: Ein Vollernter ist eine effektive Maschine, aber für die Anforderungen, die an flaschengegärte Sekte gestellt werden, ist sie eher nicht geeignet.
Gelernt und abgeschaut haben die jungen Leute ihr Handwerk nicht nur in der Ausbildung an der Hochschule und bei Praktika in der Champagne, sondern auch bei Sektmachern in der Heimat. Etwa beim deutschen Sektguru Volker Raumland, bei dem auch Niko Brandner gelernt hat. Der 61-jährige Raumland, der im tristen 3000-Einwohner-Dorf FlörsheimDalsheim bei Worms im größten deutschen Anbaugebiet Rheinhessen residiert, ist einer der Pioniere des deutschen Qualitätssekts und wird seit Jahren für seine grandiose Kollektion mit Preisen überhäuft.
Raumland wuchs als zweiter Sohn in einem kleinen Pfälzer Weingut auf, lernte aber zunächst Industriekaufmann. Schließlich setzten sich aber doch die Gene durch. Nach einem Praktikum zu Hause und dem Studium an der Hochschule in Geisenheim folgte die Gründung einer mobilen Sektkellerei, die Winzern die Versektung ihrer Grundweine ermöglichte. Eine gute Schule offenbar, denn bald schon machte sich Raumland einen Namen für herausragende Qualität. Jetzt soll er den Flaschengärerverband nach vorne bringen, Ende 2018 ist er zum Präsidenten gewählt worden. „Leider heißt in Deutschland alles, was schäumt, Sekt. Wir wollen gemeinsam was bewegen und haben die innovativsten Kräfte in der Verband geholt“, sagt Raumland. Vor 100 Jahren sei bei der Weltausstellung in Paris „deutscher Champagner“von Kupferberg ausgeschenkt worden. Jetzt arbeite man „intensiv daran, deutschen Sekt wieder dahin zu führen, wo er mal war. Unsere Konkurrenz sind die Champagner oder ähnliche Schaumweine. Wir wollen das Nussige, die Brioche, die Hefearomatik in die Flasche bringen – ohne die Champagne zu kopieren.“
Neben Raumland gelingt das wohl Mathieu Kaufmann am besten, 40 Kilometer weiter südlich. Der Elsässer, seit 2013 für die Sektherstellung bei Reichsrat von Buhl in Deidesheim (Pfalz) verantwortlich, ist auf Augenhöhe mit Raumland, auch was den souveränen Auftritt betrifft: Gleich mit seinem ersten Jahrgang hat er den Preis für den besten deutschen Sekt erhalten. Kein Wunder, denn Kaufmann war jahrelang für die Champagner der Marke Bollinger verantwortlich, die zum Besten zählen, was man für unter 50 Euro bekommen kann. Seine drei herausragenden Pfälzer Sekte dagegen kosten nicht mal 20 Euro.
Damit hat Kaufmann die Latte für alle ambitionierten Kollegen nochmal höher gelegt. Was Besseres hätte der Sektmacherszene nicht passieren können, wie Ernst Büscher, der Sprecher des Deutschen Weininstituts in Bodenheim bei Mainz, feststellt. „Wir stellen in letzter Zeit eine zunehmende Professionalisierung und Weiterentwicklung in der deutschen Winzersektszene fest, wodurch sich auch die Sektstilistik verändert und teilweise noch einmal deutlich verbessert hat.“
Dafür sind nicht nur kleinere Erzeuger verantwortlich, wie die Kollektion von Schloss Vaux zeigt, das mit 400 000 Flaschen pro Jahr zu den größten Herstellern von flaschengegärten Sekten zählt. Seit 1868 gibt es das Traditionshaus, das nach Stationen in Berlin und Metz seit 100 Jahren in Eltville im Rheingau zu Hause ist. Schloss Vaux besticht durch perfekt gestylte Optik, Rheingauer Lagensekte und ausgefallene Rebsortencuvées. Der Grüne Veltliner von Vaux wurde im August von der 40köpfigen Jury des Weinmagazins Meininger zum besten von 552 deutschen Winzersekten gewählt.
Leider heißt in Deutschland alles, was schäumt, Sekt.
Sektwinzer Volker Raumland
Diese Recherche wurde unterstützt vom Deutschen Weininstitut Bodenheim.