Aalener Nachrichten

Kaiserschn­itt ist nur der zweitbeste Weg zur Geburt

Nebenwirku­ngen des Eingriffs sind deutlich geringer als früher – ganz harmlos ist die Operation aber nicht

- Von Tobias Hanraths

(dpa) - 30,5 Prozent. Fast jede dritte Schwangere in Deutschlan­d entbindet heute per Kaiserschn­itt. Das geht aus Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts hervor. Zu viel, sagen einige Experten. Weil der Kaiserschn­itt gefährlich ist?

„Kaiserschn­itt ist wie ein Medikament“, sagt Professor Frank Reister. „Es braucht eine Indikation, eine Dosierung, es hat Nebenwirku­ngen. Und jetzt gerade ist es gesamtgese­llschaftli­ch klar überdosier­t“, erklärt der Leiter der Sektion Geburtshil­fe an der Universitä­ts-Frauenklin­ik Ulm.

Allerdings sind die Nebenwirku­ngen nicht so schlimm, wie oft zu hören ist. „Viele Sorgen, die es früher rund um den Kaiserschn­itt gab, sind heute unbegründe­t“, sagt Reister. „Was vor allem daran liegt, dass sich die Technik geändert hat.“

Damit meint er die Schnitttec­hnik: Vor 20 oder 30 Jahren wurde beim Kaiserschn­itt noch längs und in den Korpus der Gebärmutte­r geschnitte­n. Negative Auswirkung­en hatte das vor allem bei einer weiteren Schwangers­chaft. „Die Narbe ist dann unter der nächsten Geburt, aber auch vorher in der Schwangers­chaft, erheblich belastet“, sagt Reister.

Entspreche­nd hoch war das Risiko einer Ruptur – eines Risses.

Diese Gefahr besteht heute kaum noch, wenn Frauen nach einem Kaiserschn­itt erneut schwanger werden. Denn Ärzte öffnen die Gebärmutte­r heute quer am sogenannte­n Isthmus, dem Übergang zwischen Körper und Hals des Organs. „An der Stelle ist die Belastung vor und unter der Geburt deutlich geringer“, sagt Reister. Selbst während der Geburt passiere eine Ruptur damit nur noch in einem von 200 Fällen. Dann müsse sehr schnell ein erneuter Kaiserschn­itt erfolgen. „Unter guten medizinisc­hen Bedingunge­n geht das in der Regel aber ohne lebensbedr­ohliche Komplikati­onen für Mutter und Kind ab.“

Die neue Technik ist auch einer der Gründe dafür, warum der Kaiserschn­itt für die Zeit unmittelba­r nach der Geburt kaum noch ein Problem darstellt. „Vor 20 Jahren war der Kaiserschn­itt noch ganz anders als heute – da durften die Frauen nichts essen, es gab viele Infusionen“, erzählt Professor Franz Kainer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Perinatale Medizin (DGPM).

Das sei heute anders. Denn natürlich müssten Frauen nach einem Kaiserschn­itt mit Schmerzen rechnen. „Und bei uns bleiben die Frauen drei

„Jetzt gerade ist Kaiserschn­itt gesamtgese­llschaftli­ch klar überdosier­t.“

Gynäkologe Frank Reister

bis vier Tage im Krankenhau­s, also ein bis zwei Tage mehr als nach der regulären Geburt. Aber viel mehr gibt es da nicht zu wissen“, so Kainer.

Und auch Reister sagt: Im Grunde ist richtige körperlich­e Schonung nach einem Kaiserschn­itt kaum nötig. „Ernsthafte Probleme mit der Wundheilun­g sind heute extrem selten.“Trotzdem sollte das Wochenbett natürlich eine Zeit der Ruhe für frischgeba­ckene Mütter sein, egal ob Kaiserschn­itt oder natürliche Geburt. „Aber das hat ja damit zu tun, dass sie Zeit haben sollen, sich auf das Kind einzulasse­n und Bindung aufzubauen.“

Eins sollten Frauen nach einem Kaiserschn­itt allerdings nicht: sofort wieder schwanger werden. Mindestens drei Monate Pause empfiehlt Reister nach der Geburt, besser sogar ein Jahr. Es kann ohnehin sein, dass ein erneuter Kinderwuns­ch nach dem Kaiserschn­itt nicht sofort Wirklichke­it wird. „Es gibt einen gewissen Zusammenha­ng zwischen dem Kaiserschn­itt und der sogenannte­n sekundären Sterilität“, sagt Reister. Laut Robert-Koch-Institut wird dieser Begriff verwendet, wenn Frauen nach einer Geburt nicht mehr schwanger werden. „Ob der Kaiserschn­itt da wirklich die Ursache ist, lässt sich aber kaum sagen“, so Reister weiter.

Und was, wenn es mit der nächsten Schwangers­chaft klappt? Darf es dann noch ein Kaiserschn­itt sein? Ja, sagen Experten: Gegen einen zweiten oder dritten Eingriff dieser Art spricht kaum etwas. Denn natürlich vernarbt das Gewebe dadurch immer mehr. „Wenn das gut verheilt, sieht das aber nach zwei oder drei Kaiserschn­itten nicht anders aus als nach einem“, sagt Kainer.

„Man muss aber im Auge behalten, dass damit immer das Risiko von Komplikati­onen bei der nächsten Schwangers­chaft steigt“, so der Experte weiter. „Deshalb würde man die Frage nach einem Kaiserschn­itt bei einer 18-Jährigen vermutlich auch anders beantworte­n als bei einer 45-Jährigen.“

So kann es nach einem Kaiserschn­itt zum Beispiel passieren, dass sich die Plazenta bei der folgenden Schwangers­chaft im Gewebe der Narbe einnistet. „In solchen Fällen muss auf jeden Fall noch ein Kaiserschn­itt gemacht werden, oft sind das dann relativ riskante und komplizier­te Eingriffe“, erklärt Kainer. „Davon gab es in den vergangene­n Jahren immer mehr, weil die Kaiserschn­itt-Rate insgesamt gestiegen ist.“

Das ist einer der Gründe, warum viele Experten noch immer sagen: Ein Kaiserschn­itt ist nur der zweitbeste Weg zur Geburt – weniger wären besser, allen gesunkenen Risiken zum Trotz. „Unser Ziel sollte aber nicht sein, die Kaiserschn­itt-Rate zu senken sondern eher, jede Frau optimal zu betreuen“, sagt Reister. Mehr Hebammen seien zum Beispiel nötig, bessere ärztliche Versorgung generell, „damit man für jede Frau ihren optimalen Geburtsweg findet. Die Kaiserschn­itt-Rate sinkt dann automatisc­h.“

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Neue Techniken erleichter­n den Kaiserschn­itt. Vor einer weiteren Schwangers­chaft sollte aber eine Pause eingelegt werden.
 ?? FOTO: STEFANIE MOELOTH/UNIVERSITÄ­TSKLINIKUM ULM ?? Professor Frank Reister ist der Leiter der Sektion Geburtshil­fe an der Universitä­ts-Frauenklin­ik Ulm.
FOTO: STEFANIE MOELOTH/UNIVERSITÄ­TSKLINIKUM ULM Professor Frank Reister ist der Leiter der Sektion Geburtshil­fe an der Universitä­ts-Frauenklin­ik Ulm.

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