Aalener Nachrichten

Depression im Wochenbett

Warum viele Eltern nach der Kindesgebu­rt keine Freude verspüren können.

- Von Tobias Faißt

- Jutta (Name von der Redaktion geändert) hatte sich so auf ihr Kind gefreut. Womit die junge Frau nicht gerechnet hatte, war die Depression, die sie danach ereilen sollte. Schätzunge­n zufolge erkranken bis zu 15 Prozent aller Mütter nach der Geburt eines Kindes an der sogenannte­n postpartal­en Depression.„Es trifft einen eiskalt“, sagt Jutta heute – nachdem sie die Depression überwunden hat. Ihr Kind sei damals ein „absolutes Wunschkind“gewesen. Und sie habe sich damals natürlich vorgestell­t, nach der Geburt eine glückliche Mutter zu sein. Stattdesse­n folgten nach der Entbindung fünf Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte. „Als es dann mit dem Stillen auch nicht funktionie­rte, war ich wirklich weg“, sagt Jutta.

„Ich hatte immer wieder schlaflose Nächte und habe mir über kleine Dinge Gedanken gemacht, die plötzlich riesengroß wurden“, beschreibt Jutta ihre Symptome zur damaligen Zeit. Die Diagnose lautete schließlic­h: postpartal­e Depression, auch Wochenbett­depression genannt.

80 Prozent haben den Baby-Blues

Schätzunge­n zufolge erkranken zehn bis 15 Prozent aller Mütter nach der Geburt eines Kindes an einer solchen postpartal­en Depression. Nur wenige von ihnen begeben sich in Behandlung. „Mit einer psychische­n Erkrankung wird man komisch angeguckt“, sagt Jutta, die über ihre Depression damals nur im Familien- und engsten Freundeskr­eis gesprochen hat und auch gerne anonym bleiben will.

Hilfe hat sie sich letztlich bei der Diplompsyc­hologin Constanze Weigle aus Aalen geholt, die seit Jahren Betroffene mit postpartal­er Depression betreut. „Dass es möglich ist, in der Phase des Wochenbett­s psychisch zu erkranken, ist etwas, das eher nicht so bekannt ist“, sagt Weigle. In den vergangene­n Jahren habe sich da zwar viel getan, doch die Erkrankung werde immer noch häufig verkannt.

Das postpartal­e Stimmungst­ief ist dagegen nicht unbekannt. Es wird dann auch gerne von „BabyBlues“oder „Heultagen“gesprochen. Dabei handelt es sich hier um ein zeitlich begrenztes Stimmungst­ief nach der Entbindung in Folge der körperlich­en, hormonelle­n und psychische­n Umstellung. „Der Baby-Blues tritt meist am dritten Tag nach der Geburt auf“, sagt Weigle. Bis zu 80 Prozent der Mütter seien davon betroffen.

„Faustregel ist, dass der Baby-Blues nach 14 Tagen überstande­n sein sollte“, sagt die Diplompsyc­hologin. Sollte er länger andauern, könne das auf eine postpartal­e Depression hindeuten. Symptome wie Erschöpfun­g, Traurigkei­t, allgemeine­s Desinteres­se, Appetitlos­igkeit, Konzentrat­ionsund Schlafstör­ungen seien typisch für eine ausgemacht­e Depression.

Präventiv informiert Constanze Weigle regelmäßig werdende Eltern über die Gefahr der Wochenbett­depression im Zuge der Elternschu­le am Ostalb-Klinikum. Außerdem rät sie, sich an den Verein Schatten und Licht zu wenden, der 1996 gegründet wurde und Erkrankten beispielsw­eise mit einem bundesweit­en Selbsthilf­egruppen-Netz oder Informatio­nen zu speziellen Mutter-Kind-Einrichtun­gen weiterhilf­t. Generell sei es ratsam, sich mit anderen Betroffene­n auszutausc­hen. „Momentan gibt es in der Region aber keine Selbsthilf­egruppe“, sagt Weigle.

Das Landratsam­t des Ostalbkrei­ses hatte allerdings das Fachzentru­m „Frühe Hilfen“unter der Leitung von Birgit Stephan eingericht­et. „Bei uns können sich Eltern mit Kindern unter drei Jahren melden, wenn sie sich unsicher sind, an wen sie sich wenden sollen“, erklärt Sachgebiet­sleiterin Stephan.

Bloß nicht überforder­n

Eltern deshalb, da nicht nur Mütter, sondern auch Väter von einer postpartal­en Depression betroffen sein können.

Neben der hormonelle­n, körperlich­en Reaktion auf die Geburt können auch psychische und soziale Faktoren bei der Erkrankung eine Rolle spielen. „Besonders gefährdet sind Frauen, die eine psychische Vorerkrank­ung haben“, sagt Constanze Weigle. Ein wesentlich­er weiterer Faktor sei laut der Diplompsyc­hologin die Unterstütz­ung aus dem Umfeld. Es sei wichtig, Elternteil­e nicht mit dem Kind alleine zu lassen. Gleichzeit­ig dürften sich Mütter oder Väter nicht selbst überforder­n. „Ein strukturie­rter Tag ist wichtig. Allerdings müssen die Pläne auch realistisc­h sein“, sagt Weigle.

Bei Jutta hat das geklappt, auch mit der Hilfe ihrer Familie, die sie mit der Depression nicht allein gelassen hat. Bei ihr sei die Familie durch die Krankheit enger zusammenge­rückt. Im Rückblick sagt sie, sie habe die Wochenbett­phase unterschät­zt. Allerdings konnte sie aus der Erkrankung auch Positives für die Zukunft mitnehmen. „Eine Depression ist durchaus eine lebensverä­ndernde, hilfreiche Krankheit“, sagt Jutta heute. „Sie rüttelt das Leben komplett durch und jeder Stein, den man im Laufe der Jahre aufeinande­r gesetzt hat, kann so vielleicht noch einmal umgesetzt werden“, erklärt die Mutter weiter.

Jutta ist heute nicht mehr depressiv. Bis andere Betroffene dorthin kommen, müssen sie jedoch erst einmal herausfind­en, warum sie im vermeintli­chen Glück unglücklic­h sind.

Hier können sich Betroffene melden: Verein Schatten und Licht, Tel: 08293 / 965864, Mail: info@schatten-und-licht.de oder beim Fachzentru­m Frühe Hilfen für Mütter, Väter und Schwangere des Ostalbkrei­ses, Tel: 07361 / 5031525.

 ?? FOTO: TBF ??
FOTO: TBF
 ?? FOTO:PIXABAY ?? Junge Eltern sind nach der Geburt ihres Kindes nicht immer glücklich. Bis zu 15 Prozent aller Mütter erkranken in dieser Phase an einer postpartal­en Depression.
FOTO:PIXABAY Junge Eltern sind nach der Geburt ihres Kindes nicht immer glücklich. Bis zu 15 Prozent aller Mütter erkranken in dieser Phase an einer postpartal­en Depression.
 ?? FOTO: TBF ?? Diplompsyc­hologin Constanze Weigle aus Aalen betreut seit vielen Jahren Menschen mit einer postpartal­en Depression.
FOTO: TBF Diplompsyc­hologin Constanze Weigle aus Aalen betreut seit vielen Jahren Menschen mit einer postpartal­en Depression.

Newspapers in German

Newspapers from Germany