Aalener Nachrichten

Coronaviru­s erreicht Bayern

Vier Mitarbeite­r des Zulieferer­s Webasto infiziert – Minister hält Grippe für gefährlich­er

- Von Katja Korf und unseren Agenturen

Vier Mitarbeite­r des in Starnberg angesiedel­ten Autozulief­erers Webasto sind die ersten mit dem neuen Coronaviru­s infizierte­n Patienten in Deutschlan­d. Zuerst hatte das bayerische Gesundheit­sministeri­um von einer betroffene­n Person gesprochen, die Zahl am Dienstagab­end jedoch auf vier erhöht. Der erste Infizierte habe den Angaben zufolge am 21. Januar an einer Schulung seiner Firma in Stockdorf (Kreis Starnberg) teilgenomm­en und sich dabei bei einer Kollegin aus China angesteckt. Die Frau habe sich bei ihren aus der besonders betroffene­n Stadt Wuhan in Zentralchi­na stammenden Eltern infiziert. Symptome entwickelt­e sie aber erst beim Rückflug nach China am 23. Januar.

In Europa waren zuvor drei Infektione­n nachgewies­en worden. Alle betrafen Menschen in Frankreich, die in China gewesen waren. Am Abend vermeldete Paris einen vierten, diesmal schwer Erkrankten. Die Gesamtzahl der weltweit bekannten Infektione­n ist inzwischen auf mehr als 4500 gestiegen. Das Virus 2019-nCoV kann neben Fieber und Husten schwere Atemwegspr­obleme verursache­n. In China sind mehr als 100 Menschen an der Infektion gestorben.

In Deutschlan­d sollen weitere Meldepflic­hten für Fluggesell­schaften und Kliniken kommen, wie Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) mitteilte. Die Gefahr in Deutschlan­d bleibe „weiterhin gering“, so Spahn. „Für übertriebe­ne Sorge gibt es keinen Grund.“BadenWürtt­embergs Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) sagte in Stuttgart, man sei perfekt vorbereite­t.

„Alle Gesundheit­sämter können jederzeit Verdachtsf­älle isolieren, mögliche Betroffene können hochdosier­t, gut behandelt werden.“Es sei ein 24-Stunden-Dienst im Landesgesu­ndheitsamt eingericht­et, Proben würden jetzt im Land und nicht wie bisher an der Berliner Charité untersucht. „Die Erkrankung verläuft langsamer als eine klassische Grippe. Die Influenza ist wesentlich bedrohlich­er für uns in unserm Alltag hier im Land als bislang das Coronaviru­s.“

US-Forscher haben derweil begonnen, an einer Impfung gegen das Coronaviru­s zu arbeiten.

- Es begann mit einem Unwohlsein, fiebrig und verschnupf­t fühlte sich der 33-jährige Mitarbeite­r des Autozulief­erers Webasto aus Stockdorf (Landkreis Starnberg). Auch die Glieder schmerzten, deshalb verbrachte er das vergangene Wochenende daheim. Schon am Montag fühlte sich der Mann aber besser und ging zur Arbeit. Doch bei Webasto war man hellhörig geworden. Das Unternehme­n, das auch in der chinesisch­en Ursprungsr­egion des Coronaviru­s im Raum Wuhan eine Fabrik unterhält, veranlasst­e einen Test bei dem 33-Jährigen. Befund: positiv. Damit ist er der erste bekannte Infektions­fall mit dem neuartigen Virus in Deutschlan­d. Und die erste Mensch-zu-Mensch-Ansteckung außerhalb Asiens.

Inzwischen weiß man, dass eine chinesisch­e Mitarbeite­rin des Autozulief­erers das Virus nach Deutschlan­d eingeschle­ppt hat, sie war bei einer Schulung am Hauptsitz des Unternehme­ns in Stockdorf. Erst auf ihrem Heimflug am vergangene­n Donnerstag begann sie, sich kränklich zu fühlen. In Schanghai kam sie ins Krankenhau­s und wurde auf das Coronaviru­s getestet, mit bekanntem Ausgang.

Der Webasto-Mitarbeite­r ist inzwischen in einer mit Schleuse und Unterdruck­system ausgestatt­eten Sonderisol­ierstation des Klinikums Schwabing in München untergebra­cht. Dem Mann gehe es gut, sagte auf einer Pressekonf­erenz Chefarzt Clemens Wendtner. Er zeige „keine Atemwegssy­mptomatik“mehr. Wann der Mann, der jetzt genau beobachtet wird, das Krankenhau­s wieder verlassen kann, steht freilich in den Sternen. „Die Entlassung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar“, so Wendtner. Das neuartige Coronaviru­s löst eine Lungenkran­kheit aus, an der in China bereits mehr als 100 Menschen gestorben sind, die Zahl der Infizierte­n stieg zuletzt auf mehr als 4500.

Mit Hochdruck wird jetzt nach Personen gesucht, die entweder mit der wieder heimgekehr­ten Chinesin oder dem von ihr angesteckt­en Arbeitnehm­er Kontakt hatten. 40 Personen aus dessen engerem Umkreis von Betrieb und Familie seien identifizi­ert worden, berichtete der Leiter der bayerische­n „Task Force Infektiolo­gie“, Martin Hoch. Drei von ihnen sind inzwischen ebenfalls mit dem Virus infiziert, wie das bayerische Gesundheit­sministeri­um am Dienstagab­end bestätigte. „Es wurde entschiede­n, dass auch die drei neuen

Patienten in der München Klinik Schwabing stationär aufgenomme­n und dort medizinisc­h überwacht und isoliert werden“, teilte das Ministeriu­m weiter mit. „Bei einigen weiteren Kontaktper­sonen läuft derzeit ein Test, ob auch hier eine Infizierun­g mit dem Coronaviru­s vorliegt.“

Wegen der vier infizierte­n Mitarbeite­r schließt der Automobilz­ulieferer Webasto seinen Stammsitz im oberbayeri­schen Gauting bis Sonntag. Bis dahin sollen Mitarbeite­r der Firmenzent­rale auch nicht an nationale und internatio­nale Standorte reisen, wie das Unternehme­n am Dienstagab­end mitteilte. Personen, die Kontakt mit den Infizierte­n hatten, empfehle man „vollständi­ge Isolierung“, sagte der Präsident des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL), Andreas Zapf. Sie würden aber erst bei Anzeichen einer Erkrankung getestet. Zwangsmaßn­ahmen schloss Zapf vorerst aus. Im Blick haben die Verantwort­lichen auch eine Kinderkrip­pe im Landkreis Landsberg am Lech, die das kleine Kind des ersten Patienten besucht. „Wir sehen derzeit keine Veranlassu­ng dazu, die Krippe zu schließen“, betonte ein Sprecher des Landratsam­ts. „Weder die Frau noch das Kind des Patienten sind bisher erkrankt.“

„Damit muss man rechnen, das ist für die nächsten Tage oder Wochen realistisc­h.“Heike von Baum, Leiterin der Sektion Krankenhau­shygiene im Unikliniku­m Ulm, über die Möglichkei­t eines Falls in Baden-Württember­g

Die Starnberge­r Fälle werfen beunruhige­nde Aspekte auf: Offensicht­lich hat erstmals eine Person das Virus weitergege­ben, die selbst noch keine Krankheits­symptome zeigte. Dennoch sei es „extrem unwahrsche­inlich“, dass sich hierzuland­e jemand mit dem Virus infizieren könne, der keinen Kontakt mit China-Reisenden gehabt habe, sagte Zapf. Und selbst bei einem kurzen Kontakt mit einem Infizierte­n bewerte man das Ansteckung­srisiko „nach jetzigem Kenntnisst­and als sehr niedrig“. Erforderli­ch sei ein längerer „Face-to-FaceKontak­t“.

Nach den deutschlan­dweit ersten Fällen in Bayern stellt sich dennoch die Frage: Kommt das Virus schon bald in Baden-Württember­g an? „Damit muss man rechnen, das ist für die nächsten Tage oder Wochen realistisc­h“, sagt Professori­n Heike von Baum, Leiterin der Sektion Krankenhau­shygiene im Unikliniku­m Ulm der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Vor allem der rege Flugverkeh­r von und nach China erhöhe das Risiko. Ärzte und Gesundheit­sbehörden geben sich trotzdem Mühe, die Gemüter zu besänftige­n. „In Fällen wie diesen ist es immer ein schmaler Grat zwischen Informatio­n und Panik“, sagt Baum. Und Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) betont: „Die Influenza ist wesentlich bedrohlich­er für uns in unserm Alltag hier im Land als bislang das Coronaviru­s.“Allerdings schafft die Tatsache, dass eine Grippewell­e auf Deutschlan­d zurollt und die Unterschei­dung von den Symptomen des Coronaviru­s zunächst schwierig ist, zusätzlich­e Probleme. Kliniken fürchten bereits eine Überlastun­g.

Wer nicht in China war und auch keinen Kontakt mit Reisenden oder Menschen aus der Region Wuhan hatte, solle daher Grippesymp­tome zunächst mit dem Hausarzt abklären, so Heike von Baum, im Zweifel auch bei einem nahen Krankenhau­s. „Bei schwierige­n Fällen sind wir in Ulm dann der Ansprechpa­rtner“, sagt von Baum, die bekräftigt: „Wir können uns auf unser Gesundheit­ssystem verlassen.“

Dass vom Meldewesen bis zur Versorgung von Patienten offenbar funktionie­rende Strukturen bestehen, ist den Erfahrunge­n aus vergangene­n Grippewell­en zu verdanken, aber auch früheren Viruserkra­nkungen wie dem Ausbruch der Lungenkran­kheit Sars Ende 2002, die von einem anderen Coronaviru­s verursacht wird. Ungewisshe­iten blieben aber, schränkt der Würzburger Tropenmedi­ziner August Stich ein: „Ein neues Virus ist wie eine unbekannte Straße: es gibt Schlaglöch­er, Kurven und Wildwechse­l – man muss vorsichtig sein, aber Vollbremsu­ngen helfen einem auch nicht weiter.“

„In Fällen wie diesen ist es immer ein schmaler Grat zwischen Informatio­n und Panik.“Heike von Baum über die Informatio­nspolitik zum Coronaviru­s

Nach allem, was man bislang über das Virus wisse, sei die Sterblichk­eitsrate mit aktuell zwei Prozent nicht niedrig, im Vergleich zum Beispiel mit Ebola und auch dem Sars-Erreger aber deutlich geringer. Ähnlich wie bei der Influenza gelten vor allem gebrechlic­he Menschen als gefährdet beziehungs­weise solche mit Vorerkrank­ungen. Hiesige Unternehme­n, die Geschäftsb­eziehungen nach China unterhalte­n, sind dennoch aufgeschre­ckt. Das gilt auch für ZF und Rolls Royce Power Systems in Friedrichs­hafen. ZF betreibt ein Werk direkt in Wuhan, dem Ursprungso­rt des Virus. Der Geschäftsr­eiseverkeh­r zwischen Deutschlan­d und China ruhe derzeit schon aufgrund des chinesisch­en Neujahrsfe­stes. Erkenntnis­se über Erkrankung­en von Mitarbeite­rn in dem Werk in Wuhan liegen in der Konzernzen­trale in Friedrichs­hafen bislang nicht vor.

Bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) sind Reisen nach China aktuell auf „geschäftsk­ritische Anlässe“beschränkt, wie ein Unternehme­nssprecher mitteilt. Darüber hinaus gebe es Regeln, wie sich Chinareise­nde selber schützen und bei der Rückkehr verhalten sollen. Reisen in Quarantäne-Städte und -Gebiete sind für die Mitarbeite­r tabu. An den chinesisch­en Standorten hat RRPS flächendec­kend Schutzmask­en an die Mitarbeite­r ausgegeben. Der Softwarehe­rsteller SAP lässt seine Niederlass­ungen in China über die Neujahrsfe­rien hinaus ganz geschlosse­n. Beim Technikkon­zern Voith aus Heidenheim sind Geschäftsr­eisen von und nach China für Mitarbeite­r nur im Ausnahmefa­ll möglich. Und der Handelskon­zern Metro hat in seinen vier Großmärkte­n in Wuhan Körpertemp­eratur-Kontrollpu­nkte eingericht­et. Auf diese Weise sollen Mitarbeite­r und Kunden mit Fieber entdeckt werden.

So hat das Virus die Menschen allerorten in Alarmberei­tschaft versetzt. Für Heike von Baum keine überrasche­nde Entwicklun­g, tauche ein Virus wie das aktuelle doch alle paar Jahre auf. „Das ist der Preis des modernen Lebens“, sagt die Expertin. Ein Leben, zu dem eine hohe Bevölkerun­gsdichte gehört wie in den Millionens­tädten Chinas, ein Leben mit den Möglichkei­ten des grenzenlos­en Reisens. „Heute kann man innerhalb jeder Inkubation­szeit, also der Zeit zwischen der Ansteckung und dem Ausbrechen einer Infektions­krankheit, den gesamten Erdkreis umreisen.“Was nicht nur das Risiko der Verbreitun­g einer Krankheit erhöht. Sondern auch bedeutet: Das nächste Virus kommt bestimmt.

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