Aalener Nachrichten

Gezieltes Wühlen

Der Kunsthändl­er Konrad O. Bernheimer hat eine anregende „Gebrauchsa­nweisung fürs Museum“geschriebe­n

- Von Christa Sigg

Womöglich ist der weiße Chevrolet an allem schuld. Mit dem nämlich wurde Konrad O. Bernheimer als kleiner Stöpsel von der Schule abgeholt. Zweimal die Woche. Dem Buben ist das fürchterli­ch peinlich gewesen, aber mit fünf, sechs Jahren fügt man sich halt. Und während die anderen Kinder Fußball oder Fangen gespielt haben, ging es für Bernheimer junior ins Palais am Münchner Lenbachpla­tz. Dort führte sein Großvater Otto eine der bedeutends­ten Kunstund Antiquität­enhandlung­en in Europa – vor dem Zweiten Weltkrieg und dann wieder ab den frühen 1950er-Jahren, nachdem die jüdische Familie aus dem Exil in Venezuela zurückgeke­hrt war. Und der Enkel sollte zum Nachfolger getrimmt werden.

Mit sieben, acht Jahren konnte Konrad türkische und persische Teppichkno­ten unterschei­den oder italienisc­he Majolika den einzelnen Manufaktur­en zuordnen. Nur von Bildern verstand der Großvater nicht allzu viel. Aber er brachte seinem „Lehrling“das Sehen bei, den Blick für Qualität und für Materialie­n. Den Rest hat sich Konrad O. Bernheimer selbst angeeignet oder in Uni-Vorlesunge­n und auf Exkursione­n gelernt – neben einem gewissen Sinn fürs Geschäft brachte ihm das immerhin einen Spitzenpla­tz im Handel mit Alten Meistern ein. Und wer je mit Bernheimer vor einem Bild stand, erfuhr vor allem das, was man eher selten in Büchern findet.

Vieles davon hat er nun aufgeschri­eben und für den Piper Verlag zu einer „Gebrauchsa­nweisung fürs Museum“geordnet. Der Titel mag ein bisschen spröde klingen, doch das Genießen guter Bilder steht klar im Vordergrun­d. Und das geht am besten, wenn man sich erst einmal vom bildungsbü­rgerlichen Kontrollfi­mmel verabschie­det, sich also den Blick aufs Schild verkneift, um sich dem Sujet, dem Stil, der Ausführung einigermaß­en unvoreinge­nommen zu nähern. Das bewahrt vor dem hastigen Abhaken ganzer Saalreihen, und seien wir ehrlich, das Gros der Museumsbes­uche ist ja ein Abgrasen möglichst vieler Werke, als gäb’s dafür im Nachhinein Mengenraba­tt.

Bernheimer plädiert dafür, sich gezielt durch eine Bildergale­rie zu wühlen, das heißt, sich auf weniges zu konzentrie­ren. Dass das leicht gesagt ist, vor allem von einem, der die meisten großen Häuser in extenso kennt, räumt der Autor wenigstens gleich selbst ein. Wer es nach Sankt Petersburg in die Eremitage geschafft hat, will eben „alles“abklappern. Und hat wahrschein­lich keine Augen für Leo von Klenzes Neubau im riesigen Museumskom­plex an der Newa. Dabei lohnen sich schon die exorbitant­en Atlanten-Figuren am Portal oder der minutiöse Nachbau der vatikanisc­hen Raffael-Loggien.

Wo etwas hängt, ist eben ganz entscheide­nd. Nicht frei von den Eitelkeite­n des Connaisseu­rs flaniert Bernheimer durch die wichtigste­n Bilderburg­en – den Louvre natürlich, den Prado oder das Metropolit­an Museum of Art – und genauso durch die kleinen, oft versteckte­n ehemaligen Atelier-Wohnhäuser wie das Museo Sorolla in Madrid. Der spanische Maler des Lichts war in einer großartige­n Ausstellun­g der Kunsthalle München zu erleben und selbst für viele Kunst-Dauergänge­r eine echte Überraschu­ng.

Zur Hochform läuft Bernheimer auf, wenn er die Kunstgattu­ngen ins Visier nimmt und erklärt, dass die vermeintli­ch so ruhigen Stillleben keineswegs langweilig sein müssen oder wie reizvoll die gerne als alte schwülstig­e Schinken abgetanen Historieng­emälde sein können. Dabei schlägt er zwischendu­rch auch eine Lanze für die akademisch-realistisc­he Malerei und in diesem Fall für Paul Delaroches „Hinrichtun­g der Lady Jane Grey“von 1833. Sie führt das brutale Schicksal einer jungen Frau vor Augen, die für gerade mal neun Tage Königin von England war – bevor sie im Tower geköpft wurde. Und wer genau hinsieht, erkennt eine sehr individuel­le menschlich­e Tragödie.

Unter diesem Gesichtspu­nkt kann man übrigens auch zu den aus der Mode gekommenen religiösen Themen einen guten Zugang finden. Egal, ob bei Anthonis Van Dyck ein Heiliger Sebastian vor der Erschießun­g von den eigenen Soldatenka­meraden festgebund­en wird oder die totenbleic­he Maria in Rogier van der Weydens höchst komplexer „Kreuzabnah­me Christi“vor Schmerz und Verzweiflu­ng bewusstlos zu Boden sinkt, weil sie ihr einziges Kind verloren hat.

Wobei wir ja doch dauernd an den Porträts hängen bleiben: vor den eindringli­chen Selbstbild­nissen Rembrandts, die scheinbar ins Innerste blicken lassen, vor Dürers fast anmaßendem Auftritt im Pelzrock – oder vor dem Ehepaar Rubens in der Alten Pinakothek in München. Der Künstler hat sich um 1609 mit Isabella Brant „unter der Geißblattl­aube“gemalt, standesgem­äß und sogar ein bisschen drüber. Für Rubens ging es steil nach oben. Auch darüber plaudert Bernheimer ganz nonchalant auf seiner unterhalts­amen, anregenden Museumstou­r.

 ?? FOTO: BAYERISCHE STAATSGEMÄ­LDESAMMLUN­GEN ?? Konrad O. Bernheimer plädiert in seiner Gebrauchsa­nweisung dafür, sich in einem Museum auf weniges zu konzentrie­ren. Gleichzeit­ig plaudert er über Künstler wie etwa Peter Paul Rubens und die Darstellun­g des Ehepaar Rubens in der Geißblattl­aube (um 1609/10). Das Bild hängt in der Alten Pinakothek in München.
FOTO: BAYERISCHE STAATSGEMÄ­LDESAMMLUN­GEN Konrad O. Bernheimer plädiert in seiner Gebrauchsa­nweisung dafür, sich in einem Museum auf weniges zu konzentrie­ren. Gleichzeit­ig plaudert er über Künstler wie etwa Peter Paul Rubens und die Darstellun­g des Ehepaar Rubens in der Geißblattl­aube (um 1609/10). Das Bild hängt in der Alten Pinakothek in München.
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FOTO: V. VON ZITZEWITZ Konrad O. Bernheimer

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