14 Breakchancen
Alexander Zverev hat gegen Dominic Thiem alle Möglichkeiten, im Finale aber steht sein Gegner
(SID/dpa) - Nach eineinhalb traumhaften Wochen kam das Ende für Alexander Zverev ein Match zu früh, danach wollte er nur noch weg aus Melbourne. „Mein Team sucht schon nach Flügen“, berichtete er eine Stunde nach dem Ende seiner Australian-Open-Hoffnungen mit betrübter Miene und behauptete: „In ein paar Tagen ist das Turnier vergessen, im Tennis muss man ein Kurzzeitgedächtnis haben.“Was aber bleibt, ist die Erkenntnis, dass der 22-jährige Hamburger eine große Chance hatte, um den ersten Grand-Slam-Titel für einen deutschen Tennisspieler seit 24 Jahren zu spielen.
Ein sanfter Volley von Dominic Thiem aus Österreich beendete am Freitag Alexander Zverevs gar nicht mal so vage Hoffnungen in seinem ersten Halbfinale bei einem der vier großen Turniere. Mit 6:3, 4:6, 6:7 (3:7), 6:7 (4:7) verlor der Weltranglistensiebte das meist ausgeglichene Match. Thiem fordert im Finale am Sonntag (9.30 Uhr MEZ/Eurosport) Rekordsieger und Titelverteidiger Novak Djokovic (Serbien) – und Zverev wusste sehr genau, warum er vorerst nicht in die großen Fußstapfen von Boris Becker treten kann.
„Ich habe einfach nicht mein bestes Tennis gespielt in den wichtigen Momenten“, sagte er. „Ich hatte meine Chancen“, aber als es darauf ankam, sei Thiem
„einfach mutiger, aggressiver“gewesen. Worauf Alexander Zverev anspielte: Er besaß im Verlauf der phasenweise hochklassigen Partie 14 Breakchancen, darunter zwei Satzbälle im zweiten Durchgang: „Die sollten reichen.“Taten sie nicht, zu viele blieben ungenutzt. In den entscheidenden Situationen spielte Thiem „einfach besser als ich, auch in den Tiebreaks“.
So war Zverev auch zwiegespalten, wie er sein grundsätzlich „großartiges“19. Grand-Slam-Turnier bewerten sollte. Nach dem misslungenen ATP Cup war er ohne Erwartungen angereist, er wollte nur von „Match zu Match denken“, in der 3. Runde nach einem Dreisatzsieg gegen Fernando Verdasco (Spanien) „habe ich mich dann selbst gefunden auf dem Platz“. Und ja, er habe sein erstes Halbfinale bei einem Grand Slam erreicht, aber: „Ich möchte hier ja nicht aufhören, ich möchte nicht, dass es zu Ende ist.“Zverev will mehr. Für den zweimaligen French-Open-Finalisten Thiem, der im Viertelfinale bereits Rafael Nadal (Spanien) und damit die Nummer 1 der Weltrangliste in einem epischen Match besiegt hatte, ist klar, dass sein deutscher Kumpel den nächsten Schritt gehen wird. „Er ist ja erst 22, wir müssen nicht mehr lange warten, bis er in sein erstes GrandSlam-Finale kommt.“Nächste Chance: Paris, French Open.
Als letzter Deutscher hatte 2003 Rainer Schüttler – ebenfalls in Melbourne – im Endspiel eines Grand Slams gestanden, dort aber in drei Sätzen gegen Andre Agassi (USA) verloren. Becker gewann dort 1996 seinen sechsten (und damit auch den letzten deutschen) Titel bei einem der vier Majors. Es sei, vermutete der dreimalige Wimbledonsieger bei Eurosport, „eine tolle Erfahrung“gewesen für Zverev, erstmals in einem Grand-Slam-Halbfinale zu sein. Er stellte aber auch analytisch-kritisch fest: „Thiem hatte mehr vom Spiel“, sein Spielaufbau sei besser gewesen.
Und so endete – nach 3:42 Stunden mit dem zweiten Matchball Dominic Thiems – auch die Hoffnung der Australier auf die Spende des Sieger-Preisgeldes in Höhe von 2,55 Millionen Euro. Die komplette Summe hatte Alexander Zverev – im Falle seines Finaltriumphs – den Opfern der Buschfeuer versprochen: Ihnen bleiben nun rund 31 000 Euro für die fünf Siege des Deutschen.
„Er hat in den wichtigen Momenten besser gespielt als ich. Die beiden Tiebreaks hat er besser gespielt als ich. Er hat die Satzbälle besser abgewehrt. Er hat mutiger gespielt vielleicht. Ich habe einfach nicht mein bestes Tennis gezeigt in den wichtigen Momenten.“
Alexander Zverev