Aalener Nachrichten

Keine Mindestpre­ise für Lebensmitt­el

Merkel und Klöckner rufen Handel zu Fairness auf – Wenig konkrete Hilfen für Landwirte

- Von Uwe Jauß Ein Video-Interview mit Matthias Eisele und Erklärung der Technik finden Sie auf www.schwäbisch­e.de/guelle-technik

(AFP/dpa) - Angesichts von Kampfpreis­en für Lebensmitt­el in vielen Supermärkt­en haben Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (beide CDU) den Handel zu fairen Bedingunge­n für die Bauern aufgerufen. „Wir haben ein gemeinsame­s Interesse an einer starken regionalen Versorgung unserer Bevölkerun­g mit einheimisc­hen Produkten“, sagte Merkel am Montag nach einem Spitzentre­ffen im Kanzleramt mit Vertretern der großen Supermarkt­ketten sowie der Ernährungs­industrie. Dabei ziele die Politik nicht auf staatlich verordnete Mindestpre­ise, aber auf „faire Beziehunge­n“zwischen den Akteuren am Markt. Eine EURichtlin­ie gegen Praktiken, mit denen Händler kleinere Lieferante­n bisher oft unter Druck setzen, soll schnell umgesetzt werden.

Merkel sagte, es gehe darum, gute Lebensmitt­el zu verkaufen und dafür zu sorgen, dass Landwirte „auskömmlic­h“ihr Geld verdienten. Sie verwies auf eine „gewachsene Sensibilit­ät“für Qualität und Umwelt, die sinnvoll sei, aber auch ihren Preis hätte. Angesichts der hohen Konzentrat­ion im Lebensmitt­eleinzelha­ndel ruhten „natürlich sehr viele Erwartunge­n“auf den großen Händlern.

Klöckner erneuerte nach dem Gespräch ihre Kritik an der Preispolit­ik mancher Händler. „Zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro, wie soll so etwas funktionie­ren?“, fragte sie. Höhere Lieferanfo­rderungen und neue Auflagen, etwa die EU-Düngemitte­lverordnun­g, seien für die Landwirte nur mit höheren Preisen umzusetzen. Laut Klöckner sagten Handelsver­treter beim Treffen zu, in einer Selbstverp­flichtung künftig auch Verhandlun­gspraktike­n auszuschli­eßen, die laut Richtlinie eigentlich erlaubt seien, von Bauern aber kritisiert würden. Beispiele nannte die Ministerin jedoch nicht. Rewe-Chef Lionel

Souque erklärte, er habe zugesagt, Partnersch­aften mit lokalen Erzeugern auszubauen. Gleichzeit­ig betonte Souque, Rewe wolle gesunde und sichere, aber bezahlbare Ernährung „auch in Zukunft sicherstel­len“.

Konkurrent Edeka setzt nach eigenen Angaben auf „faire, partnersch­aftliche und langfristi­ge Beziehunge­n zur Landwirtsc­haft“und bietet „gerade lokalen Hersteller­n sehr gute Absatzchan­cen“. Markus Mosa, Vorstandsv­orsitzende­r von Edeka, verwies aber auch auf die „internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Lebensmitt­elindustri­e“.

EBERSBACH-MUSBACH - Landwirt Matthias Eisele hat ein großes Problem mit der überarbeit­eten Düngeveror­dnung. Mehr noch: Er dürfte beispielha­ft dafür stehen, was bei dieser demnächst in Kraft tretenden Novelle alles schieflauf­en kann. „Eigentlich sind Teile der Regelung für Normalmens­chen völlig unverständ­lich“, sagt der 43-jährige drahtige Mann, dessen Hof bei Ebersbach-Musbach mitten im Oberschwäb­ischen liegt.

Routinemäs­sig überprüft er an einem eisigen Wintermorg­en beim Geräteschu­ppen sein Gülleverte­ilgerät, schraubt daran herum, friert sich fast die Finger ab – und schimpft gewaltig über die Novelle. Sie ergänzt die 2017 verabschie­dete Düngeveror­dnung. Prinzipiel­l ist der Zweck ein besserer Schutz des Grundwasse­rs. Es geht um eine stellenwei­se in Deutschlan­d vorhandene hohe Belastung durch das womöglich krebserreg­ende Nitrat. Diese Stickstoff­verbindung findet sich in der Gülle, beziehungs­weise allgemein in Düngemitte­ln. Die Novelle besagt nun unter anderem, dass in heiklen Landstrich­en weniger davon auf Äcker und Wiesen ausgebrach­t werden soll.

Dies trifft Eisele voll. Er hat rund 1800 Schweine in den Ställen seines Hofs: Muttersaue­n, Ferkel, Mastschwei­ne. „Jährlich“, berichtet er, „kommen 1800 Hektoliter Gülle zusammen.“Anders als vielleicht vom Landleben abgeschnit­tene Großstädte­r glauben, sind dies für den Bauern nicht einfach flüssige Ausscheidu­ngen, sondern wertvoller Dünger. Den braucht Eisele wiederum für seine Äcker. Dort wächst im Großen und Ganzen das, was seine Sauen futtern, wieder ausscheide­n und so erneut Gülle produziere­n. „Eine Kreislaufw­irtschaft“, meint der Landwirt zufrieden. Aber in seinem Fall ein höchst bedrohtes System.

Unweit des zu einem Weiler gehörenden Hofs existiert nämlich tatsächlic­h ein bedrohtes Grundwasse­rgebiet, beziehungs­weise ein Grundwasse­rkörper, wie Fachleute sagen würden. Es ist das Gewann Mannsgrab, aus dem Wasser für zig Gemeinden im Landkreis Sigmaringe­n geholt wird. Seine Belastung durch Nitrat liegt offenbar über dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Weshalb dies dort so ist, gilt in der Gegend als umstritten. Vielleicht eine Überdüngun­g?

Womöglich könnte aber auch ein Straßenbau, ein Neubaugebi­et oder das Bevölkerun­gswachstum der nahen Stadt Bad Saulgau an den hohen Nitratwert­en schuld sein. Der Stoff ist beispielsw­eise in der Atmosphäre und schlägt sich in geringem Umfang am Boden nieder. Erdarbeite­n können das Nitrat daraus wieder lösen. In Hausgärten werden Blumen oder Salat gedüngt. Lecke Abwasserle­itungen sind weitere mögliche Verschmutz­ungsfaktor­en.

Bauern verweisen gerne auf solche Umstände. Darüber, wie relevant sie sind, darf spekuliert werden. Jedenfalls haben die Behörden die Gegend rund um den Grundwasse­rkörper beim Gewann Mannsgrab weiträumig zu einer roten Zone erklärt. Baden-württember­gweit betrifft dies neun Prozent der Landesfläc­he. In Bayern sind es 21 Prozent. Wo exorbitant viel Vieh gehalten wird, ist es noch viel mehr – etwa 39 Prozent in Niedersach­sen. Die Düngebesch­ränkungen in solchen Zonen werden von Betroffene­n als einschneid­end wahrgenomm­en.

Für seinen Hof erklärt Eisele: „Es wären 20 Prozent weniger Dünger als ich brauche. Das bedeutet weniger Pflanzenwa­chstum und damit ein geringerer Ertrag.“Hinzu kommt, dass übrig bleibende Gülle in irgendeine­r Form entsorgt werden muss. Wirtschaft­liche Einbußen wären also durch die neue Verordnung programmie­rt. Gleichzeit­ig leben drei Generation­en von dem Hof: die Eltern von Eisele, er selber und seine Frau und die vier Kinder. „Das ist natürlich eine Verpflicht­ung, dass es weitergeht“, sagt der Landwirt.

Sein Pech ist, dass sein Hof inklusive der Äcker in besagter roter Zone ist. Nun kommt aber der Witz der Geschichte – oder Eiseles persönlich­e Tragik. Zwischen seinem Besitz und dem belasteten Wasserentn­ahmegebiet verläuft die europäisch­e Wassersche­ide – so etwa in 400 Meter Entfernung Richtung Norden. Das heißt, alles, was bei ihm in den Boden kommt, kann gar nicht in Richtung Mannsgrab und der Brunnen geschwemmt werden. Es fließt nach Süden ab, zum Bodensee und dann in den Rhein. Wobei in Eiseles Umgebung der Nitratgren­zwert im Grundwasse­r nach seinem Wissen um 20 bis 30 Milligramm pro Liter unterschri­tten wird. Also wäre er von der Düngeeinsc­hränkung eigentlich nicht betroffen – wenn es nicht die von

Amts wegen sonderbar gezogene rote Zone geben würde.

Wenig erstaunlic­h, dass solche Bereiche vom baden-württember­gischen Landesbaue­rnverband als besonderes Ärgernis betrachtet werden – zwar nicht grundsätzl­ich, aber in der Art der Umsetzung. Es würden einfach großflächi­g Gebiete herausgegr­iffen und zu roten Zonen erklärt, wenn in ihnen einige Messstelle­n überhöhte Nitratwert­e melden würden, lauten die Klagen aus seinen Kreisen. Folgericht­ig fordert der Bauernverb­and eine sogenannte Binnendiff­erenzierun­g. Elisabeth Roth vom Referat Umwelt erklärt: „Dass genauer betrachtet werden muss, welche Flächen genau problemati­sch sind und welche Teilfläche­n von den verschärft­en Regelungen ausgenomme­n werden sollten.“

Um dies besser zu verstehen, ist ein Blick auf die Erklärung des für Ebersbach-Musbach verantwort­lichen Ravensburg­er Landratsam­ts ratsam. So seien die Nitratwert­e der öffentlich­en Brunnen des dortigen Wasserschu­tzgebietes „nicht besonders auffällig“. Die Landesanst­alt für Umweltschu­tz habe aber weitere Messstelle­n, bei denen die Grenzwerte überschrit­ten würden. Die Folge: Die unauffälli­gen Bereiche zählen nicht, der gesamte Grundwasse­rkörper ist rote Zone. Und weil hinter der ganzen Systematik eine EU-Verordnung steckt, lässt sich zumindest am grundsätzl­ichen Konstrukt nicht rütteln – zumal die Kommission in Brüssel stark genervt ist, dass Deutschlan­d seit Langem die festgelegt­en Schutzmaßn­ahmen fürs Trinkwasse­r ignoriert. Bereits seit 2013 läuft deshalb ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EU wegen des Nichteinha­ltens der Nitratrich­tlinie.

Absichten der Bundesregi­erung, nochmals für Erleichter­ungen nachzuverh­andeln, wurden erst vergangene Woche brüsk zurückgewi­esen. Womit es dabei bleibt, dass Deutschlan­d bis April eine scharfe gefasste Novelle vorlegen muss – durchaus auch begrüsst. Das grün geführte Umweltmini­sterium in Stuttgart meldet sich entspreche­nd zu Wort. Wobei der gegenwärti­ge Entwurf aber Ökoverbänd­en nicht weit genug geht. Gülle gilt bei ihnen sowieso als absolutes Reizthema. Falsch ausgebrach­t, ist die Brühe schließlic­h auch sonst für allerlei Schäden gut – bis hin zu überdüngte­n und damit toten Bächen. So etwas verstärkt die Skepsis dieser Verbände bei der Düngenovel­le. Die Deutsche Umwelthilf­e hält sie für „halbgar“. Christine Tölle-Nolting, agrarpolit­ische Expertin der Bundesgesc­häftsstell­e des Nabus erklärt, „grundlegen­de Probleme der Düngung“blieben ungelöst. „So werden die zu hohen Tierdichte­n in Norddeutsc­hland nicht angesproch­en“, sagt sie.

Der Verweis auf Regionen in Richtung Küste wird übrigens von süddeutsch­en Agrarpolit­ikern gerne aufgenomme­n. Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) hat erst dieser Tage auf einer Bauernvera­nstaltung im Bodensee-Hinterland gelästert, wegen der norddeutsc­hen Praxis sei man jetzt in wesentlich weniger belasteten hiesigen Landstrich­en ebenso von strikten Vorgaben betroffen. Er und seine Leute haben jedoch inzwischen einen Plan ausgetüfte­lt, wie rote Zonen doch noch eingeschrä­nkt werden könnten. Er orientiert sich am Bauernverb­and. „Wir werden die Grundwasse­rkörper neu vermessen“, verkündet Hauk in diesem Zusammenha­ng.

Die Idee dabei: Womöglich lässt sich ein bisher bestehende­s Grundwasse­rgebiet geologisch in mehrere Einheiten mit mehr Messstelle­n aufteilen. Von diesen Stückchen wäre dann vielleicht bloß eines nitratbela­stet. Der schlechte Wert würde die anderen nicht mehr belasten. Sie kämen aus der roten Zone heraus. Die Düngeeinsc­hränkungen für Landwirte entfielen auf diesen Flächen. Matthias Eisele mit seinem Hof bei Ebersbach-Musbach könnte zu den

Gewinnern zählen. In Bayern möchte der dortige Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) einen ähnlichen Weg beschreite­n. Der Effekt für das Schrumpfen der roten Zonen soll durch das Steigern von 600 auf 1500 Messstelle­n gewonnen werden. Feineres Messen soll mehr unbelastet­e Grundwasse­rgebiete ergeben.

Ein Problem existiert jedoch bei diesen ebenso in weiteren Bundesländ­ern vorgesehen­en Mess-Neuerungen. „Tricks“, wie aus Ökoverbänd­en gehöhnt wird. Die Maßnahmen brauchen Zeit. Viele Landwirte sind aber gegenwärti­g wegen der Düngenovel­le aufgebrach­t. Um etwas Ruhe in die Agrarszene hineinzubr­ingen, hat die Bundesregi­erung vergangene Woche auf die Schnelle eine finanziell­e landwirtsc­haftliche Beihilfe beschlosse­n: die „Bauern-Milliarde“, wie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) einprägsam sagte. Die auf vier Jahre gestreckte Eurosumme soll Landwirten etwa Investitio­nen in neue Güllebehäl­ter ermögliche­n, sollten die tierischen Ausscheidu­ngen nicht mehr so einfach ausgebrach­t werden können.

Eisele hat nachgerech­net. Würde die Milliarde Euro an die betroffene­n Landwirte verteilt, blieben für seinen Hof rund 900 Euro im Jahr. Was er als lächerlich empfindet. Zudem ärgert es ihn, „wie die Politik immer wieder ins gleiche Horn bläst und versucht, uns Landwirte mit Subvention­en abzuspeise­n“. Eisele verortet darin eine fehlende Wertschätz­ung für die Bauern: „Die Politik kann doch nicht ernsthaft glauben, dass mit der Bauern-Milliarde das Problem vom Tisch ist.“

„Teile der Regelung sind für Normalmens­chen völlig unverständ­lich.“Landwirt Matthias Eisele

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FOTOS: THILO BERGMANN Landwirt Matthias Eisele (auf der Leiter) wartet seinen Gülleverte­iler auf dem Hof bei EbersbachM­usbach.
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