Aalener Nachrichten

Johnson pokert mit der EU

Brüssel bietet „sehr ehrgeizige­s Handelsabk­ommen“an

- Von Sebastian Borger

(AFP) - Nach dem Brexit haben die EU und Großbritan­nien deutlich abweichend­e Vorstellun­gen von ihren künftigen Beziehunge­n: EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier bot am Montag „ein sehr ehrgeizige­s Handelsabk­ommen“an. Er forderte aber Garantien, dass sich London auch künftig an EU-Regeln hält und kein Umweltund Sozial-dumping betreibt. Der britische Premiermin­ister Boris Johnson widersprac­h umgehend: „Ich sehe keine Notwendigk­eit, uns an eine Vereinbaru­ng mit der EU zu binden.“

Großbritan­nien war in der Nacht zum Samstag als erster Mitgliedst­aat aus der EU ausgetrete­n. Bis Jahresende bleibt das Land noch im EU-Binnenmark­t und der Zollunion. Bis dahin wollen beide Seiten insbesonde­re ein Handelsabk­ommen aushandeln, um ihre Beziehunge­n auf eine neue Grundlage zu stellen.

- Vor dem Auftakt der nächsten Brexit-Verhandlun­gsrunde betreiben London und Brüssel psychologi­sche Kriegsführ­ung. In einer als programmat­isch angekündig­ten Rede versprach der britische Premier Boris Johnson am Montag „kein Dumping“: Großbritan­nien werde auch weiterhin hohe Standards bei Arbeits- und Umweltschu­tz einhalten, sich aber nicht vertraglic­h darauf verpflicht­en. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen warnte London vor überhöhten Erwartunge­n: „Es gibt keinen Freifahrts­chein in den Binnenmark­t, sondern immer nur Rechte und Pflichten.“Von der Leyen bekräftigt­e damit ihre Botschaft, die sie den Briten bereits im Januar bei ihrem Besuch in London übermittel­t hatte: „Unsere Partnersch­aft wird nicht so eng sein wie zuvor.“Bei der Verteidigu­ng der Einheit von Binnenmark­t und Zollunion werde es keine Kompromiss­e geben.

Für seine Rede, in der das Wort Brexit kein einziges Mal vorkam, hatte Johnson britische Geschäftsl­eute und Botschafte­r europäisch­er Staaten in das Naval College von Greenwich in Südost-London eingeladen. Ausdrückli­ch positionie­rte der britische Premier sein Land als „unabhängig­er Vorkämpfer und Impulsgebe­r für globalen Freihandel“; hingegen würden die Befürworte­r des Protektion­ismus „in Brüssel, in China, in Washington“an Boden gewinnen.

Johnson erklärte erneut seine Präferenz für einen „ehrgeizige­n Freihandel­svertrag“

mit dem größten Binnenmark­t der Welt. Eine Anpassung an dessen Regularien werde es aber auf keinen Fall geben. „Wir wollen einen umfassende­n Freihandel­svertrag, vergleichb­ar mit Ceta“, sagte Johnson mit Blick auf Kanada.

Übers Wochenende war in Londoner Regierungs­stuben auch das Verhältnis der EU zu einer anderen britischen Ex-Kolonie, Australien, als Vergleich ins Spiel gebracht worden. Allerdings hat Brüssel mit dem fünften Kontinent bisher keinen umfassende­n Handelsver­trag, lediglich Vereinbaru­ngen in einzelnen Sparten wie der Luftfahrt.

Der Brüsseler Chefunterh­ändler Michel Barnier stellte einen umfangreic­hen Handelsver­trag für Güter und

Dienstleis­tungen in Aussicht. Dieses „großzügige Angebot“beruhe jedoch auf zwei Voraussetz­ungen: Großbritan­nien müsse sich zu „offenem und fairen Wettkampf “bekennen und entspreche­nde langfristi­ge Garantien zusichern. Außerdem pochen EUStaaten wie Frankreich und Spanien wie bisher auf umfangreic­hen Zugang zu den fischreich­en Gewässern rund um die britischen Inseln.

London spricht ausdrückli­ch von bevorzugte­r Behandlung der eigenen Fischfangf­lotte und möchte alljährlic­h neu über Fangquoten mit Brüssel verhandeln. Auf beiden Seiten hat das Thema eine weit über seine wirtschaft­liche Bedeutung hinausgehe­nde emotionale Komponente. Fischfang und -export trugen im vergangene­n Jahr 0,04 Prozent zum britischen Wertschöpf­ungsindex GVA bei. Hingegen lag der Anteil der Finanzindu­strie bei 7,2 Prozent.

Appell der Finanzlobb­yisten

Catherine McGuinness von der City of London, dem wichtigste­n internatio­nalen Finanzplat­z der Welt, hat für diesen Dienstag Korrespond­enten aus aller Welt zusammenge­trommelt. Ihre Botschaft dürfte sich kaum von früheren Briefings unterschei­den: Die Finanzlobb­yisten wünschen sich auch weiterhin den bestmöglic­hen Zugang zum Binnenmark­t. Dabei geht es vor allem um die gegenseiti­ge Anerkennun­g von Datenschut­zvorschrif­ten sowie den begehrten Finanzpass, der Akteuren internatio­naler Unternehme­n die Marktteiln­ahme sowohl auf der Insel wie auf dem Kontinent ermöglicht.

Dass die negativen Folgen eines harten oder gar chaotische­n Brexit auch vor EU-Ländern nicht Halt machen würden, verdeutlic­hte am Montag eine Veröffentl­ichung der „Financial Times“. Im Fall gegenseiti­ger Einfuhrzöl­le für seine Produkte plane der japanische Automobilh­ersteller Nissan nicht etwa eine Werkschlie­ßung in Großbritan­nien, sondern in Barcelona und Frankreich. Weil Autos von Ford oder Volkswagen zukünftig auf der Insel deutlich teurer würden, so die angebliche Kalkulatio­n, könne Nissan mit seinen im nordenglis­chen Sunderland produziert­en Kleinwagen seinen Marktantei­l von vier auf bis zu 20 Prozent steigern.

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FOTO: FRANK AUGSTEIN/AFP Der britische Premiermin­ister Boris Johnson hat vor Geschäftsl­euten und Diplomaten seine Brexit-Pläne vorgestell­t.

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