Die Kanzlerin, Kurz und „eine sehr schwierige Kiste“
Beim Kurz-Besuch in Merkels Kanzleramt geht es nett zu, doch es bleiben Differenzen
Die Stimmung war gelöst beim Treffen von Sebastian Kurz und Angela Merkel. Dennoch gibt es Differenzen zwischen Österreichs Kanzler und der deutschen Bundeskanzlerin: Bei der Migration sind sich beide uneins, auch stemmt sich Kurz weiter gegen die deutschen Pläne für eine Steuer auf Aktienkäufe auf EU-Ebene, die sogenannte Finanztransaktionssteuer. Merkel betonte, Deutschland werde trotzdem weiter Gespräche in dieser Sache führen. Merkel räumte jedoch am Montag ein: „Die Finanztransaktionssteuer ist eine sehr schwierige Kiste.“
- Beim Thema EU-Haushalt „sitzen Deutschland und Österreich wirklich in einem Boot“, betont Sebastian Kurz an diesem Montagmittag im Berliner Kanzleramt. Es ist nur eines von vielen Themen, bei denen Österreichs Bundeskanzler an diesem Tag Nähe zur gastgebenden Amtskollegin Angela Merkel demonstriert. Nach dem Austritt Großbritanniens will die EU mehr Geld von den verbleibenden Mitgliedern. „Wir werden sehr genau darüber sprechen, wofür wir unser Geld ausgeben“, sagt Merkel – und Kurz stimmt zu.
Auch beim Klimaschutz sind sich die Nachbarn näher gekommen. Das liegt auch an Kurz’ neuem Koalitionspartnern, den Grünen. Dass Österreich seinen Strom bis 2030 komplett aus erneuerbaren Energien erzeugen und bis 2040 klimaneutral werden will, hören viele in Berlin gerne.
Sowieso, die Grünen: Der 33-jährige Kurz wirkt nach dem Ibiza-Ärger mit der rechtspopulistischen FPÖ regelrecht beflügelt von seinem neuen Koalitionspartner. „Die Regierung ist sehr gut angelaufen. Wir haben es, glaube ich, durch eine neue Form der Kompromissfindung geschafft, dass diese Koalition überhaupt möglich ist“, schwärmt er. Und auch die Kanzlerin ist sichtlich erleichtert, dass die von der „Ibiza-Affäre“ausgelöste Politikkrise beim südlichen Nachbarn offenbar verdaut ist. „Jetzt kann wieder losgelegt werden, auch in Österreich. Wir freuen uns darüber“, sagte sie.
Dass Kurz im Vorfeld seines Berlin-Besuchs ausdrücklich von einer schwarz-grünen Koalition beim großen Nachbarn gesprochen hat, will der zwar nicht als Einmischung in deutsche Angelegenheiten sehen. Doch er habe sich verleiten lassen, eine „Wette einzugehen“, dass das Wiener Bündnis auch in Deutschland „realistisch sein wird“.
Auch die 65-jährige Merkel betont, dass im Jahr 2017 bei den an der FDP gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen „bestimmte Barrieren hinsichtlich der Sprechfähigkeit“zwischen Union und Grünen abgebaut wurden. Allerdings werde noch „viel Wasser die Spree oder die Havel oder wen auch immer“hinunterfließen, bis die Wahlen ausgegangen sind. Als Kurz das Wort „Donau“sekundiert, bemerkt Merkel zufrieden, dass man sich sogar auf einen gemeinsamen Fluss einigen kann (wobei sie den nur in Bayern verortet und den württembergischen Teil unterschlägt).
Bei Migration weiter uneins
Es sind ganz andere Töne als 2018, als Kurz das erste Mal als frisch gekürter Kanzler den wichtigsten Nachbarn Österreichs besucht. Damals hatten Spannungen in der Luft gelegen.
Bei einem Thema sind die Meinungsverschiedenheiten auch geblieben: bei der Migration allgemein. Und ganz konkret bei der 2019 eingestellten „Mission Sophia“, mit der die
EU seit 2015 versucht hatte, Schleuser vor der libyschen Mittelmeerküste zu bekämpfen. Die europäischen Marineschiffe hatten während ihrer Mission fast 50 000 Migranten aus Seenot gerettet. „Deutschland könnte sich vorstellen, eine Wiederauflage auch einer Mission ,Sophia’ zu unterstützen“, sagt Merkel und verweist darauf, dass die Marinepräsenz auch den Waffenschmuggel in das Bürgerkriegsland
erschwert habe. Das sieht Kurz grundlegend anders: Die Rettungsaktion habe nur dazu geführt, dass „die Schlepper mehr verdient“hätten und mehr Menschen mit oft tödlichen Folgen in See gestochen wären. Das Waffenembargo für Libyen will der Österreicher lieber aus der Luft als vom Wasser aus überwachen. Auch will Österreich bei der vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz geplanten Finanztransaktionssteuer auf Aktienkäufe partout nicht mitgehen.
Doch die Streitpunkte bleiben überschaubar. Dafür wirbt Kurz für sein Land als Urlaubsparadies. Österreich sei „froh, stolz und glücklich“über die etwa 14 Millionen deutschen Urlauber. Und unter Umgehung des leidigen Themas PkwMaut schickt Kurz eine Einladung aus dem verregneten Berlin hinaus: „Wir freuen uns auch über kurzentschlossene Gäste, die vielleicht einen Skiurlaub noch nicht geplant haben, aber doch jetzt kurzfristig noch von der Lust gepackt werden.“