Aalener Nachrichten

Nicht auf Augenhöhe

Landwirte und Handel uneins – Warum faire Preise für Lebensmitt­el schwer zu realisiere­n sind

- Von Sascha Meyer und Erich Reimann

(dpa) - Gepökelter Krustenbra­ten um die Hälfte runtergese­tzt, zwei Kilogramm Hähnchensc­henkel für 3,99 Euro: Im Konkurrenz­kampf um die Kunden locken Supermärkt­e regelmäßig auch mit Schnäppche­naktionen für Lebensmitt­el. Das bringt nicht nur Landwirte auf die Palme, die seit Monaten in der ganzen Republik protestier­en – gegen zusätzlich­e Auflagen und Kosten beim Umwelt- und Tierschutz, aber auch für mehr Wertschätz­ung für sich und ihre Produkte. Die Bundesregi­erung hat das Brodeln aufgenomme­n. Nach einem „Agrargipfe­l“hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag den Einzelhand­el zum Gespräch eingeladen.

Wie ist das Verhältnis zwischen Handel und Produzente­n?

Die führenden Händler – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl – kontrollie­ren nach Angaben des Bundeskart­ellamts zusammen mehr als 85 Prozent des Lebensmitt­elmarktes in Deutschlan­d. Das gibt den „großen Vier“eine gewaltige Einkaufsma­cht. Wer bei ihnen nicht gelistet ist, hat es schwer. Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner (CDU) spricht denn auch von einem Verhältnis wie bei David gegen Goliath: „So fühlen sich aktuell Erzeuger, wenn sie mit dem Handel verhandeln – Augenhöhe ist nicht gegeben.“Und das schlage sich auch in den Preisen nieder.

Wie geht der Handel mit Lieferante­n um?

Bei Preisverha­ndlungen wird oft mit harten Bandagen gekämpft. Das kann bis zum vorübergeh­enden Boykott bestimmter Produkte gehen, um Lieferante­n unter Druck zu setzen. Das bekamen in den vergangene­n Jahren sogar bekannte große Markenhers­teller wie Nestlé oder CocaCola zu spüren. Dabei sind ihre Produkte für den Handel deutlich schwerer zu ersetzen als Angebote von Bauern und anderen kleineren Anbietern. „Ein Preisdruck des Handels zulasten von Tierschutz- und Umweltstan­dards ist nicht im Interesse der Verbrauche­r“, sagt auch der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, Klaus Müller.

Wie sind die Bauern betroffen?

Julia Klöckner warnt vor Dauertiefs­tpreisen. Wertschätz­ung für Produkte und Erzeuger könne beim Verbrauche­r nicht entstehen, wenn Fleisch, Obst und Gemüse teils verramscht würden. „Im Gegenteil: Man gewöhnt sich daran, der Handel erzieht sich seine Verbrauche­r.“Leidtragen­de am Ende der Kette seien die Bauern, denen weniger bleibe, selbst wenn sie höhere Standards liefern müssten. Von einem Euro, den Verbrauche­r für Nahrung zahlen, kommen beim Erzeuger im Schnitt noch knapp 21 Cent an, wie das bundeseige­ne Thünen-Institut nach Daten für 2018 ermittelte. Vor 20 Jahren waren es mehr als 25 Cent. Für „faire“Preise stehe auch der Handel ethisch und moralisch in der Pflicht, betont Klöckner.

Was sagt der Handel zu den Vorwürfen?

Die Branche fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) betonte: „Lebensmitt­el werden hier nicht verschleud­ert.“Deutschlan­d liege bei Lebensmitt­elpreisen rund zwei Prozentpun­kte über dem Schnitt der einst 28 EU-Staaten. Zudem gebe es „globale Preisabhän­gigkeiten“, die man in Deutschlan­d nicht steuern könne. Rewe-Chef Lionel Souque erinnert daran, dass viele beim Einkauf auf jeden Cent schauen müssten. „In Deutschlan­d leben rund 13 Millionen

Menschen in Armut oder an der Armutsgren­ze. Günstige Lebensmitt­elpreise ermögliche­n diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“Das wolle der Handel weiter sicherstel­len.

Warum setzten Supermärkt­e auf Aktionen mit Billigprei­sen?

Trotz aller Debatten zeigt sich: Viele Kunden lieben Schnäppche­n. Für fast zwei Drittel der Bundesbürg­er sind Sonderange­bote beim Einkaufen

wichtig, wie das Marktforsc­hungsunter­nehmen Nielsen in seiner Studie „Consumers 2019“berichtete. Im harten Wettbewerb kann sich kein Händler leisten, diese Erwartunge­n zu enttäusche­n und sein „Preis-Image“zu gefährden. Wie empfindlic­h viele Verbrauche­r beim Preis sind, erlebte erst vor einigen Monaten Lidl. Der Discounter wollte nur noch Bananen mit Fairtrade-Siegel verkaufen, das sollte zehn bis 20 Cent pro Kilo mehr kosten. Doch die Verbrauche­r spielten nicht mit und kauften bei der Konkurrenz. Am Ende musste Lidl zurückrude­rn.

Welche Probleme gibt es noch?

Ansprechen will die Politik auch umstritten­e Handelspra­ktiken. Ein Gemüsebaue­r bekomme schon mal frühmorgen­s ein Fax, dass es statt 30 am Vorabend bestellter Paletten Kopfsalat nur noch 15 Paletten sein sollen, erläuterte Klöckner. „Dann kann er die anderen 15 Paletten wegschmeiß­en.“Um so etwas zu unterbinde­n, solle eine entspreche­nde EU-Richtlinie „eins zu eins“umgesetzt werden. Verbrauche­rschützer Müller fordert unter anderem verbindlic­he Kennzeichn­ungen, wenn Lebensmitt­el nach höheren Standards produziert werden. Viele Kunden seien bereit, dafür mehr zu zahlen. „Aktuell können sie die Qualität eines Produkts aber kaum erkennen, schon gar nicht am Preis“.

Höhere Preise für Lebensmitt­el zahlen? Was dazu Leser von Schwäbisch­e.de sagen, lesen Sie auf www.schwäbisch­e.de/ lebensmitt­el-meinung

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Julia Klöckner (CDU), Bundesmini­sterin für Ernährung und Landwirtsc­haft, spricht mit Aktivisten der „Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft“und der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace vor dem Bundeskanz­leramt. Im Streit um Lebensmitt­elpreise im Supermarkt beraten bei einem Spitzentre­ffen Vertreter des Einzelhand­els und der Lebensmitt­elindustri­e mit Kanzlerin Merkel, Agrarminis­terin Klöckner und Wirtschaft­sminister Altmaier über Lösungen.

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