Aalener Nachrichten

Ein Getös wie Posaunen

Ulrich Rasche inszeniert Büchners „Woyzeck“am Residenzth­eater München in Rammstein-Optik

- Von Barbara Miller

- Dieser „Woyzeck“ist eine Herausford­erung. Denn Ulrich Rasches Inszenieru­ng bricht mit Traditione­n. Das ist nicht das auf die Kellerbühn­e verbannte Kammerspie­l vom Leben des armen Soldaten Franz Woyzeck, den der Wahnsinn und die Gesellscha­ft zum Mörder an der Geliebten werden lassen. Rasches „Woyzeck“ist großes, lautes, heftiges Maschinent­heater – und es ist grandios. Jetzt ist dieses Meisterwer­k am Residenzth­eater München angekommen. Der neue Intendant Andreas Beck hat es von seiner vorherigen Station Basel mitgebrach­t. Vergangene­n Sommer war das Ensemble damit beim Berliner Theatertre­ffen eingeladen.

Ulrich Rasche, 1969 in Bochum geboren, ist seit 2004 eine feste Größe in der Theaterwel­t. Er entwirft riesige mechanisch­e Apparate und lässt die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er damit agieren. Am Staatsthea­ter Stuttgart hatte er 2005 mit seinem Chorprojek­t „Kirchenlie­der“auf sich aufmerksam gemacht und ist auch in den folgenden Jahren immer wieder dorthin zurückgeke­hrt. Ansonsten arbeitet er viel in Berlin, Wien und hat am Residenzth­eater in München schon Schillers „Räuber“in Szene gesetzt. Sein „Woyzeck“ist nach „Dantons Tod“(2015, Frankfurt) seine zweite Auseinande­rsetzung mit dem Werk des Dichters, der 1837 mit nur 23 Jahren an Typhus gestorben ist.

Rasche interessie­rt Büchners Menschenbi­ld, seine Idee, dass der Mensch nur ein Rädchen in einem erbarmungs­losen, ewigen Kreislauf ist. Für „Woyzeck“hat Rasche eine große Scheibe gebaut, die wie ein Karussell hoch- und niederfahr­en kann und am Ende in eine schwindele­rregende Schräglage gebracht wird. Im Interview verweist er auf eine Stelle aus „Dantons Tod“, wo es heißt: „Puppen sind wir, von unbekannte­n Gewalten am Draht gezogen.“Und tatsächlic­h marschiere­n die Schauspiel­er an ihren Sicherungs­seilen wie Marionette­n über die Bühne. Sie müssen fortwähren­d gegen die Drehrichtu­ng laufen. Wer langsamer wird, verschwind­et.

Die choreograf­ierte Bewegung überträgt sich auf die Sprechweis­e. Kein Naturalism­us, Distanz. Und doch (oder gerade deswegen ?) kann Nicola Mastrobera­rdino diesen Franz Woyzeck als Abbild der ewig geschunden­en Kreatur darstellen. Ein Schmerzens­mann, missbrauch­t vom Doktor (Florian von Manteuffel), verhöhnt vom Tambourmaj­or (Michael Wächter), betrogen von Marie (Franziska Hackl).

Die monumental­e Technik, die im Residenzth­eater die ganze Bühne ausfüllt, sieht eher nach einem Konzert von Rammstein aus als nach Schauspiel. Sie ist aber nur ein Element in der Wucht dieses Abends. Das zweite ist dann doch der Text, der in der Lesefassun­g der kritischen Marburger Büchner-Ausgabe an Dichte gewinnt und die Logik im Ablauf der Ereignisse hervorkehr­t. Während die Mechanik der Maschine die wahnhafte Zwangshand­lung Woyzecks versinnbil­dlicht, werden durch die verzerrte Sprechweis­e sämtliche Bedeutungs­schichten erst einmal angekratzt. Es ist, als ob man den Text neu hörte – mit all seinen Andeutunge­n und Verweisen auf den Mord, der hier verhandelt wird.

Denn der war zu seiner Zeit ein bekannter Fall. Und die öffentlich­e Hinrichtun­g Woyzecks auf dem Leipziger Marktplatz 1824 wurde als Justizirrt­um gewertet. Gutachten hatten alle körperlich­en Anzeichen der Unzurechnu­ngsfähigke­it aufgeführt, dann aber doch die niederen Beweggründ­e der Eifersucht hervorgeho­ben.

Büchner zeigt einen Mörder, der nicht nur von Stimmen getrieben wird, sondern auch vom Zwang, Geld zu verdienen und bringt so zum ersten Mal prekäre Verhältnis­se auf die Bühne. Diesem äußeren Zwang entrinnt sein Woyzeck so wenig wie dem inneren. Die Szenenfolg­e verdichtet diese Entwicklun­g Schritt für Schritt. Rasche setzt diese Eskalation mit seiner Technik um, hetzt Woyzeck „immerzu“am Rand der Drehbühne entlang und lässt die Spielfläch­e halsbreche­risch ansteigen. Und das Ensemble aus Viola, Klavier, Schlagzeug, Fagott, E-Bass und Synthesize­r (Musik: Monika Roscher), das minimalist­isch beginnt, macht am Schluss ein „Getös wie die Posaunen“, die Woyzeck vom Himmel herab zu hören glaubt. Das ist alles nicht subtil, dauert über drei Stunden, und manche Besucher verließen in der Pause kopfschütt­elnd das Theater. Aber die, die blieben, erlebten eine starke Vorstellun­g.

Weitere Aufführung­en am 25. und 26. Februar. Kartentele­fon:(089) 2185 1940. www.residenzth­eater.de

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FOTO: SANDRA THEN Alle zerren an Woyzeck (Nicola Mastrobera­rdino).

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