Gefühl gesucht
Agnes Reisch vom WSV Isny springt diesen Winter regelmäßig mit den Besten Ski und erfährt: Weltcup ist anders
- Immerhin: Ihr Lächeln hat Agnes Reisch wiedergefunden am Sonntagnachmittag im Regen von Oberstdorf. Gequält zwar nach den 96,5 Metern, die – das wusste die 20-Jährige vom Wintersportverein Isny – das frühe Aus auch im zweiten Weltcup-Springen am Schattenberg bedeuten würden. Aber: auch trotzig, entschlossen. Merke: Platz 39 – „das ist nicht das, wo ich hinmöchte, und auch nicht da, wo ich grad bin“. Schlicht „schlecht“sei das Wochenende, sei sie gewesen, sagte Agnes Reisch, „unter Wert verkauft“habe sie sich. Erneut ein Lächeln, durchaus tapfer. „Aber das passiert, das gehört dazu – und irgendwie muss man da wieder rauskommen.“
Irgendwie wird die Skispringerin aus Missen-Wilhams da auch wieder rauskommen. Der erste Schritt war schon getan, als Agnes Reisch sich vom Balken abstieß am Sonntag: Benannt, analysiert und sortiert war, was ihr Tags zuvor widerfahren war. Bundestrainer Andreas Bauer: „Dass sie sich hinten auf den Ski tritt beim ,V‘-Öffnen. Das passiert alle 500 Sprünge einmal ...“Die Folgen: fatale Schräglage, Beinahe-Sturz, eine Weite, die keine werden konnte (85,5 Meter), vorletzter Rang bereits in Wettkampf eins. Und eine Sportlerin, die mit den Tränen kämpfte. „Ich hab’ öfters mal Probleme mit dem Ski, aber so extrem war’s noch nicht. Es ist halt Sch ... jetzt.“Da waren die 105,0 Meter in der Qualifikation keine 24 Stunden später um so wichtiger: sich überwunden zu haben, gegen alle Selbstzweifel angesprungen zu sein (und das passabel). Nochmals der Bundestrainer: „Das sind dann so Erfahrungen, die man einfach machen muss. Und die Agnes hat’s heut’ geschafft.“Den 96,5 Metern danach (bei heftig bremsenden Winden) zum Trotz.
Agnes Reisch hat so manches geschafft in den vergangenen zwölf Monaten:
das Fachabitur, den Wechsel an den Stützpunkt Hinterzarten, den Umzug deshalb vom Oberallgäu nach Furtwangen. „Definitiv richtig“sei diese Neuorientierung gewesen: Eingefahrene Strukturen aufzubrechen „und einfach ein bisschen einen frischen Kopf zu bekommen, das hat ganz gutgetan“. Gutgetan hat offenbar auch das Miteinander mit Rolf Schilli. Der 53-Jährige, Landes- und Leitender Stützpunkttrainer, ist bekannt dafür, dass (und wie) er Stärken stärkt und an Schwächen arbeitet. Über Agnes Reisch sagt er: „Sie hat noch extrem viele Reserven.“Rang sechs beim Sommer-Grand-Prix in Hinterzarten deutete die Möglichkeiten an, eine auch sonst stabil gute Vorbereitung brachte den lang ersehnten Fix-Startplatz
im Weltcup-Sextett Andreas Bauers. 13-mal war Agnes Reisch zuvor punktuell bei den Besten aufgeboten, als Ausrufezeichen in Erinnerung ist gleich die Premiere: Platz 13 von Oberstdorfs Normalschanze mit seinerzeit 16 Jahren am 30. Januar 2016.
Unmengen an Eindrücken
Elf Einsätze kamen diesen Winter dazu (plus einer im Teamwettbewerb von Zao/Japan) – mehr geht nicht. Gleich am Auftaktwochenende in Lillehammer gelang Agnes Reisch abermals ein Platz-13-Coup, ihre Begabung steht außer Zweifel. Nur: Weltcup ist eine ganz andere Dimension von, eine andere Intensität im Wettkampf. Weltcup regelmäßig sind Flüge, fremde Länder, Hotelzimmer, ist
Leben aus dem Koffer, Zeitverschiebung, Sich-selbst-Organisieren. Garniert all das mit Unmengen neuer Eindrücke – kaum Pausen dazwischen, um sie zu verarbeiten. Sie müsse sich, sagte Agnes Reisch in Oberstdorf, „da erst mal reinfinden“. Andreas Bauer kann das nachvollziehen, gesteht seinen „Mädels“Zeit zu. Und Lernprozesse. „Dann hoffe ich, dass die Jungen sich weiter festigen im Weltcup.“
Für Agnes Reisch, 28. aktuell im Gesamtklassement, heißt das: das Gefühl wiederfinden, das frau schon mal abhandenkommen kann irgendwo zwischen Sapporo und Rasnov. Das Gefühl für den Sprung. Konkretes Problem am Wochenende: „Ich verlier’ immer die Spannung im Rücken und werd’ da ziemlich kurz. Ich muss einfach probieren, den Rücken stabil zu lassen.“Problemlösung: idealerweise gezielte Trainingseinheiten auf der Schanze, idealerweise baldmöglichst. Dagegen spricht: der WeltcupKalender. Schon die Regeneration will minutiös geplant sein. „Ich kann jetzt nicht sagen, ich geh’ zwei Tage springen unter der Woche, weil ich dann für den Wettkampf keine Kraft mehr hab’.“Der nächste wartet, Qualifikation inklusive, von Freitag an im oberöstereichischen Hinzenbach.
Agnes Reisch lächelt. Trotzig. Tapfer. Es liege an ihr, sagt sie dann ruhig, SIE müsse „jetzt dran arbeiten, das Gefühl wieder zu bekommen“. Der Blick zurück in den Sommer spornt an. Lillehammer auch. Sie hat „bessere Sprünge gezeigt“, das macht Mut. Sie hat den Samstag verwunden, dieses Alle-500-Mal-einmal-Malheur. Will genau das mitnehmen von Oberstdorf via Furtwangen nach Hinzenbach als „irgendwas Positives: Es kann sich von heut’ auf morgen wieder verändern. Gestern bin ich hier abg’spickt mit 85,5 Metern, und jetzt in der Quali ... Ich glaub’, das kommt schon irgendwann wieder.“
So wie das Lächeln der Agnes Reisch.