Forschen gegen die Zeit
Das Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac sucht im Eilverfahren nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus
- Das einzige Geräusch, das man hört, ist das sonore Surren der Lüftung im Labor für Wirkstoffherstellung. Zwei Mitarbeiterinnen übertragen mit Pipetten Flüssigkeit in durchsichtige Röhrchen. Die beiden sind komplett in weiße Schutzkleidung gehüllt. In ihren Augen kann man die Konzentration sehen, mit der sie bei der Sache sind. Die behandschuhten Hände wirken bei ihren präzisen Bewegungen geübt und routiniert. In dem Raum ist es leicht kühl, man spürt einen permanenten Luftstrom, und man fühlt sich leicht an den Chemieunterricht in lang vergangenen Schulzeiten erinnert. Hier, bei Curevac in Tübingen, soll ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus 2019-nCoV entstehen.
Bis zu 8,3 Millionen Dollar (umgerechnet 7,5 Millionen Euro) bekommt die Biotech-Firma dazu von der internationalen Impfstoffinitiative Cepi, an der auch das deutsche Bundesforschungsministerium beteiligt ist. Die Zeit drängt. Inzwischen sind an der neuen Lungenkrankheit in China mehr Menschen gestorben als an der SarsPandemie vor 17 Jahren. 630 Todesfälle sind in Festland-China aktuell bekannt, es gibt mehr als 30 400 Infektionen. Bei der Sars-Pandemie (Schweres Akutes Atemwegssyndrom) 2002/2003 hatte es 349 Todesfälle in Festland-China gegeben. „Das Herausfordernde und Spannende an dieser Aufgabe sind der Zeitdruck und die Aufmerksamkeit“, sagt Mariola Fotin-Mleczek, Technologie-Vorstandsfrau bei Curevac. Als vor einer Woche die Pressemitteilung über die große Aufgabe für Curevac herausging und auch von der Deutschen Presse-Agentur aufgegriffen wurde, wurde das Unternehmen mit einem Schlag bundesweit bekannt. In der Pressestelle stand das Telefon nicht mehr still. Nun richtet sich der Blick auf die Universitätsstadt Tübingen. Wird hier, 30 Kilometer südlich von Stuttgart, der wirksame Schutz gegen das neuartige Coronavirus entstehen?
Steht man vor dem CurevacGebäude, deutet erst mal nichts darauf hin, dass hier ein HightechLabor angesiedelt ist. Der Bau ist schmucklos und klobig, hier könnte auch eine Krankenkasse oder die Volkshochschule untergebracht sein. Futuristischer muten da die Neubauten des Unternehmens an, die ein paar Hundert Meter weiter derzeit entstehen. Das BiotechUnternehmen liegt im sogenannten „Cyber Valley“. Unter diesem Begriff ist im Tübinger Norden eines der europaweit größten Cluster für Forschung und Künstliche Intelligenz entstanden. Das Max-PlanckInstitut für Entwicklungsbiologie ist wenige Meter entfernt, die gleichnamige Bushaltestelle hat Curevac direkt vor der Haustür. Der Großteil der 460 Mitarbeiter arbeitet hier in Tübingen, zudem gibt es Standorte in Frankfurt und in der US-Ostküstenmetropole Boston. Gegründet wurde das Unternehmen vor 20 Jahren an der Uni Tübingen. Über die Jahre rückte Curevac ins Blickfeld großer Namen und konnte finanzkräftige Investoren an Bord holen. So entschied sich 2015 die Stiftung des Microsoft-Gründers und dessen Gattin, die Bill and Melinda Gates Foundation, 46 Millionen Euro in Curevac zu investieren und so die Entwicklung von Impfstoffen bei dem Unternehmen zu unterstützen. Zuvor hatte sich Dietmar Hopp, Gründer des Walldorfer IT-Unternehmens SAP, mit 80 Millionen Euro an Curevac beteiligt. Inzwischen ist der Firmenwert auf 1,7 Milliarden US-Dollar gestiegen. Das Unternehmen arbeitet mit namhaften Pharmariesen wie mit Sanovi-Pasteur und Johnson
& Johnson zusammen und ist auch in der Krebsforschung aktiv. Hunderte Patente sind angemeldet.
Auch wenn in den Laboren – neben Anleitungen zu haltungsschonender Sitzweise beim Arbeiten – Biogefahr-Hinweisschilder zu sehen sind: Geforscht wird in Tübingen nicht mit dem Virus selbst. Für die Arbeit hier reicht es, dass die Gensequenz des Erregers digital vorliegt. Dieser „Bauplan“von 2019-nCoV wurde am 10. Januar veröffentlicht. „Die Arbeiten bei uns sind gestartet, sobald die Sequenz bekannt war“, sagt Vorstandsfrau Fotin-Mleczek.
Die Herangehensweise bei Curevac unterscheidet sich von Impfungen, bei denen dem Menschen abgeschwächte Viren verabreicht werden und so das Immunsystem trainiert wird. Das Biotech-Unternehmen ist auf das Biomolekül mRNA spezialisiert. Das steht für „messenger RNA“, zu Deutsch: BotenRibonukleinsäure. Sie kopiert die in einem Gen auf der DNA liegende Information und transportiert sie zum Ribosom, dem Teil der Zelle, in dem Proteine hergestellt werden. Mit einer entsprechend modifizierten mRNA soll der Körper gegen das Virus abwehrbereit gemacht werden. „Wir geben dem Körper die Informationen, die er braucht, um Proteine und Antikörper zu bilden“, sagt Pressesprecher Thorsten Schüller.
Nicht nur im aktuellen Fall des Impfstoffs gegen das Coronavirus setzt Curevac auf diesen Ansatz, der die Medizinwelt grundlegend verändern könnte, wie Schüller sagt. Auf Grundlage der mRNATechnologieplattform entwickle Curevac beispielsweise auch Medikamente gegen Krebs und zur Behandlung seltener Erkrankungen, so Schüller. Mit der mRNA-Technologie könne der menschliche Körper seine eigene Medizin herstellen.
Bei der Entwicklung des Impfstoffs hofft Curevac, durch die mRNA-Methode schneller voranzukommen. So braucht man keine Zuchtmaterialien, sondern nur eine Gensequenz. Auch aus der Forschung an Impfstoffen gegen Sars und Mers hat das Unternehmen Wissen gewonnen, das nun in die anspruchsvolle Arbeit einfließen soll. Ziel ist es, den Impfstoff innerhalb weniger Monate zu entwickeln.
Doch bis es so weit ist, dass man sich tatsächlich gegen das Virus impfen lassen kann, wird es länger dauern. „Dann beginnen erst die klinischen Testphasen am Menschen.“Und dass es in Tübingen gelingen wird, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, ist nicht garantiert. Aber: „Wir sind zuversichtlich, weil wir die technologische Plattform und die Erfahrung haben“, so Schüller. Zugute kommen den Forschern auch die positiven Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie zu einem mRNA-basierten Impfstoff gegen Tollwut. Aspekte davon ließen sich auf das Coronavirus übertragen, so Schüller.
Nach Einschätzung von Klaus Cichutek, dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, wäre es ein großer Fortschritt, wenn erste klinische Prüfungen mit einem Impfstoff im Laufe des Jahres starten.
„Das Herausfordernde und Spannende an dieser Aufgabe sind der Zeitdruck und die Aufmerksamkeit.“
Mariola Fotin-Mleczek, Technologie-Vorstandsfrau bei Curevac
Das sagte er jüngst im Interview mit dem „Tagesspiegel“. An klinischen Prüfungen der Phase 1 nähmen etwa 20 bis 60 Probanden teil. Man wolle keine vorschnellen Hoffnungen schüren. „Daher können wir kein Zeitfenster angeben“, so Cichutek.
Das Paul-Ehrlich-Institut ist als Bundesbehörde für die Überprüfung und Zulassung von Impfstoffen zuständig und forscht auch selbst an Impfstoffen. Man arbeite dabei insbesondere an sogenannten Plattformtechnologien, sagt Cichutek in einem Expertenvideo auf dem offiziellen Youtube-Kanal des Instituts: „Das können Sie sich wie eine Art Baukasten vorstellen, dass Sie eine Art Grundstruktur haben, auf die Sie jetzt die jeweiligen Antigene eines neuen Erregers fixieren, um dadurch eben recht flexibel und schnell auf neuartige Erreger und die damit verbundenen Herausforderungen reagieren zu können.“
Aber kommt die Entwicklung nicht eigentlich zu spät? Der Höhepunkt der Epidemie wird in wenigen Tagen erwartet. „Wenn eine epidemische Welle abebbt, ist das Virus trotzdem noch nicht ausgerottet. Das sieht man bei Ebola und auch bei Influenza“, so Schüller.
Auf diese Weise würden Erkenntnisse gewonnen, die auch bei künftigen Ausbrüchen verwertbar seien. Und sollte das Virus mutieren, müsste man nicht ganz bei null anfangen, sondern könnte die vorhandenen Daten nutzen, um den Impfstoff anzupassen.
Das Bundesforschungsministerium in Berlin bestätigt, dass es darum geht, viele Jahre vorauszudenken. Eine Impfung werde dazu beitragen, die Krankheit langfristig zu bekämpfen und insbesondere Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko zu schützen – medizinisches Fachpersonal oder Menschen in betroffenen Gebieten etwa. „Es ist das Ziel, noch während der Epidemie den Impfstoff oder die Impfstoffe so weit zu entwickeln, dass sie in die klinische Prüfung am Patienten eintreten können“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Im Idealfall könne der Stoff für Impfungen am Ende der gegenwärtigen Epidemie genutzt werden, bei späteren Ausbrüchen werde er dann aber sofort zur Verfügung stehen.
Curevac ist nicht das einzige Unternehmen, das derzeit an einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus forscht. Wie der britische „Guardian“berichtet, fördert Cepi in den USA drei Projekte, die von den beiden Pharmaunternehmen Inovio und Moderna sowie der University of Queensland geführt werden. Auch die National Institutes of Health in Maryland arbeiten an einer Lösung.
Dass Cepi mehrere Firmen und Institutionen finanziell unterstützt, hat nach Angaben des Bundesforschungsministeriums gute Gründe: So soll die Chance größer werden, im Wettlauf gegen das Virus schnellstmöglich einen sicheren und wirksamen Impfstoff zu erhalten. Die Entwicklung neuer Arzneimittel und Impfstoffe von der Forschung bis zur Anwendung sei ein risikoreicher Prozess. „Es ist daher absolut sinnvoll, sich in dieser Situation nicht nur auf einen Lösungsansatz zu verlassen, sondern mehrere ForscherTeams mit der Entwicklung eines neuen Impfstoffs zu beauftragen.“