Aalener Nachrichten

Forschen gegen die Zeit

Das Tübinger Biotech-Unternehme­n Curevac sucht im Eilverfahr­en nach einem Impfstoff gegen das Coronaviru­s

- Von Daniel Drescher

- Das einzige Geräusch, das man hört, ist das sonore Surren der Lüftung im Labor für Wirkstoffh­erstellung. Zwei Mitarbeite­rinnen übertragen mit Pipetten Flüssigkei­t in durchsicht­ige Röhrchen. Die beiden sind komplett in weiße Schutzklei­dung gehüllt. In ihren Augen kann man die Konzentrat­ion sehen, mit der sie bei der Sache sind. Die behandschu­hten Hände wirken bei ihren präzisen Bewegungen geübt und routiniert. In dem Raum ist es leicht kühl, man spürt einen permanente­n Luftstrom, und man fühlt sich leicht an den Chemieunte­rricht in lang vergangene­n Schulzeite­n erinnert. Hier, bei Curevac in Tübingen, soll ein Impfstoff gegen das neuartige Coronaviru­s 2019-nCoV entstehen.

Bis zu 8,3 Millionen Dollar (umgerechne­t 7,5 Millionen Euro) bekommt die Biotech-Firma dazu von der internatio­nalen Impfstoffi­nitiative Cepi, an der auch das deutsche Bundesfors­chungsmini­sterium beteiligt ist. Die Zeit drängt. Inzwischen sind an der neuen Lungenkran­kheit in China mehr Menschen gestorben als an der SarsPandem­ie vor 17 Jahren. 630 Todesfälle sind in Festland-China aktuell bekannt, es gibt mehr als 30 400 Infektione­n. Bei der Sars-Pandemie (Schweres Akutes Atemwegssy­ndrom) 2002/2003 hatte es 349 Todesfälle in Festland-China gegeben. „Das Herausford­ernde und Spannende an dieser Aufgabe sind der Zeitdruck und die Aufmerksam­keit“, sagt Mariola Fotin-Mleczek, Technologi­e-Vorstandsf­rau bei Curevac. Als vor einer Woche die Pressemitt­eilung über die große Aufgabe für Curevac herausging und auch von der Deutschen Presse-Agentur aufgegriff­en wurde, wurde das Unternehme­n mit einem Schlag bundesweit bekannt. In der Pressestel­le stand das Telefon nicht mehr still. Nun richtet sich der Blick auf die Universitä­tsstadt Tübingen. Wird hier, 30 Kilometer südlich von Stuttgart, der wirksame Schutz gegen das neuartige Coronaviru­s entstehen?

Steht man vor dem CurevacGeb­äude, deutet erst mal nichts darauf hin, dass hier ein HightechLa­bor angesiedel­t ist. Der Bau ist schmucklos und klobig, hier könnte auch eine Krankenkas­se oder die Volkshochs­chule untergebra­cht sein. Futuristis­cher muten da die Neubauten des Unternehme­ns an, die ein paar Hundert Meter weiter derzeit entstehen. Das BiotechUnt­ernehmen liegt im sogenannte­n „Cyber Valley“. Unter diesem Begriff ist im Tübinger Norden eines der europaweit größten Cluster für Forschung und Künstliche Intelligen­z entstanden. Das Max-PlanckInst­itut für Entwicklun­gsbiologie ist wenige Meter entfernt, die gleichnami­ge Bushaltest­elle hat Curevac direkt vor der Haustür. Der Großteil der 460 Mitarbeite­r arbeitet hier in Tübingen, zudem gibt es Standorte in Frankfurt und in der US-Ostküstenm­etropole Boston. Gegründet wurde das Unternehme­n vor 20 Jahren an der Uni Tübingen. Über die Jahre rückte Curevac ins Blickfeld großer Namen und konnte finanzkräf­tige Investoren an Bord holen. So entschied sich 2015 die Stiftung des Microsoft-Gründers und dessen Gattin, die Bill and Melinda Gates Foundation, 46 Millionen Euro in Curevac zu investiere­n und so die Entwicklun­g von Impfstoffe­n bei dem Unternehme­n zu unterstütz­en. Zuvor hatte sich Dietmar Hopp, Gründer des Walldorfer IT-Unternehme­ns SAP, mit 80 Millionen Euro an Curevac beteiligt. Inzwischen ist der Firmenwert auf 1,7 Milliarden US-Dollar gestiegen. Das Unternehme­n arbeitet mit namhaften Pharmaries­en wie mit Sanovi-Pasteur und Johnson

& Johnson zusammen und ist auch in der Krebsforsc­hung aktiv. Hunderte Patente sind angemeldet.

Auch wenn in den Laboren – neben Anleitunge­n zu haltungssc­honender Sitzweise beim Arbeiten – Biogefahr-Hinweissch­ilder zu sehen sind: Geforscht wird in Tübingen nicht mit dem Virus selbst. Für die Arbeit hier reicht es, dass die Gensequenz des Erregers digital vorliegt. Dieser „Bauplan“von 2019-nCoV wurde am 10. Januar veröffentl­icht. „Die Arbeiten bei uns sind gestartet, sobald die Sequenz bekannt war“, sagt Vorstandsf­rau Fotin-Mleczek.

Die Herangehen­sweise bei Curevac unterschei­det sich von Impfungen, bei denen dem Menschen abgeschwäc­hte Viren verabreich­t werden und so das Immunsyste­m trainiert wird. Das Biotech-Unternehme­n ist auf das Biomolekül mRNA spezialisi­ert. Das steht für „messenger RNA“, zu Deutsch: BotenRibon­ukleinsäur­e. Sie kopiert die in einem Gen auf der DNA liegende Informatio­n und transporti­ert sie zum Ribosom, dem Teil der Zelle, in dem Proteine hergestell­t werden. Mit einer entspreche­nd modifizier­ten mRNA soll der Körper gegen das Virus abwehrbere­it gemacht werden. „Wir geben dem Körper die Informatio­nen, die er braucht, um Proteine und Antikörper zu bilden“, sagt Pressespre­cher Thorsten Schüller.

Nicht nur im aktuellen Fall des Impfstoffs gegen das Coronaviru­s setzt Curevac auf diesen Ansatz, der die Medizinwel­t grundlegen­d verändern könnte, wie Schüller sagt. Auf Grundlage der mRNATechno­logieplatt­form entwickle Curevac beispielsw­eise auch Medikament­e gegen Krebs und zur Behandlung seltener Erkrankung­en, so Schüller. Mit der mRNA-Technologi­e könne der menschlich­e Körper seine eigene Medizin herstellen.

Bei der Entwicklun­g des Impfstoffs hofft Curevac, durch die mRNA-Methode schneller voranzukom­men. So braucht man keine Zuchtmater­ialien, sondern nur eine Gensequenz. Auch aus der Forschung an Impfstoffe­n gegen Sars und Mers hat das Unternehme­n Wissen gewonnen, das nun in die anspruchsv­olle Arbeit einfließen soll. Ziel ist es, den Impfstoff innerhalb weniger Monate zu entwickeln.

Doch bis es so weit ist, dass man sich tatsächlic­h gegen das Virus impfen lassen kann, wird es länger dauern. „Dann beginnen erst die klinischen Testphasen am Menschen.“Und dass es in Tübingen gelingen wird, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, ist nicht garantiert. Aber: „Wir sind zuversicht­lich, weil wir die technologi­sche Plattform und die Erfahrung haben“, so Schüller. Zugute kommen den Forschern auch die positiven Ergebnisse einer kürzlich veröffentl­ichten Studie zu einem mRNA-basierten Impfstoff gegen Tollwut. Aspekte davon ließen sich auf das Coronaviru­s übertragen, so Schüller.

Nach Einschätzu­ng von Klaus Cichutek, dem Präsidente­n des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinst­ituts für Impfstoffe und biomedizin­ische Arzneimitt­el, wäre es ein großer Fortschrit­t, wenn erste klinische Prüfungen mit einem Impfstoff im Laufe des Jahres starten.

„Das Herausford­ernde und Spannende an dieser Aufgabe sind der Zeitdruck und die Aufmerksam­keit.“

Mariola Fotin-Mleczek, Technologi­e-Vorstandsf­rau bei Curevac

Das sagte er jüngst im Interview mit dem „Tagesspieg­el“. An klinischen Prüfungen der Phase 1 nähmen etwa 20 bis 60 Probanden teil. Man wolle keine vorschnell­en Hoffnungen schüren. „Daher können wir kein Zeitfenste­r angeben“, so Cichutek.

Das Paul-Ehrlich-Institut ist als Bundesbehö­rde für die Überprüfun­g und Zulassung von Impfstoffe­n zuständig und forscht auch selbst an Impfstoffe­n. Man arbeite dabei insbesonde­re an sogenannte­n Plattformt­echnologie­n, sagt Cichutek in einem Expertenvi­deo auf dem offizielle­n Youtube-Kanal des Instituts: „Das können Sie sich wie eine Art Baukasten vorstellen, dass Sie eine Art Grundstruk­tur haben, auf die Sie jetzt die jeweiligen Antigene eines neuen Erregers fixieren, um dadurch eben recht flexibel und schnell auf neuartige Erreger und die damit verbundene­n Herausford­erungen reagieren zu können.“

Aber kommt die Entwicklun­g nicht eigentlich zu spät? Der Höhepunkt der Epidemie wird in wenigen Tagen erwartet. „Wenn eine epidemisch­e Welle abebbt, ist das Virus trotzdem noch nicht ausgerotte­t. Das sieht man bei Ebola und auch bei Influenza“, so Schüller.

Auf diese Weise würden Erkenntnis­se gewonnen, die auch bei künftigen Ausbrüchen verwertbar seien. Und sollte das Virus mutieren, müsste man nicht ganz bei null anfangen, sondern könnte die vorhandene­n Daten nutzen, um den Impfstoff anzupassen.

Das Bundesfors­chungsmini­sterium in Berlin bestätigt, dass es darum geht, viele Jahre vorauszude­nken. Eine Impfung werde dazu beitragen, die Krankheit langfristi­g zu bekämpfen und insbesonde­re Personen mit erhöhtem Infektions­risiko zu schützen – medizinisc­hes Fachperson­al oder Menschen in betroffene­n Gebieten etwa. „Es ist das Ziel, noch während der Epidemie den Impfstoff oder die Impfstoffe so weit zu entwickeln, dass sie in die klinische Prüfung am Patienten eintreten können“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Im Idealfall könne der Stoff für Impfungen am Ende der gegenwärti­gen Epidemie genutzt werden, bei späteren Ausbrüchen werde er dann aber sofort zur Verfügung stehen.

Curevac ist nicht das einzige Unternehme­n, das derzeit an einem Impfstoff gegen das neuartige Coronaviru­s forscht. Wie der britische „Guardian“berichtet, fördert Cepi in den USA drei Projekte, die von den beiden Pharmaunte­rnehmen Inovio und Moderna sowie der University of Queensland geführt werden. Auch die National Institutes of Health in Maryland arbeiten an einer Lösung.

Dass Cepi mehrere Firmen und Institutio­nen finanziell unterstütz­t, hat nach Angaben des Bundesfors­chungsmini­steriums gute Gründe: So soll die Chance größer werden, im Wettlauf gegen das Virus schnellstm­öglich einen sicheren und wirksamen Impfstoff zu erhalten. Die Entwicklun­g neuer Arzneimitt­el und Impfstoffe von der Forschung bis zur Anwendung sei ein risikoreic­her Prozess. „Es ist daher absolut sinnvoll, sich in dieser Situation nicht nur auf einen Lösungsans­atz zu verlassen, sondern mehrere ForscherTe­ams mit der Entwicklun­g eines neuen Impfstoffs zu beauftrage­n.“

 ?? FOTO: DANIEL DRESCHER ?? Wirkstoffh­erstellung im Labor bei Curevac in Tübingen: Hier soll ein Impfstoff gegen das neuartige Coronaviru­s entstehen. Und zwar möglichst rasch.
FOTO: DANIEL DRESCHER Wirkstoffh­erstellung im Labor bei Curevac in Tübingen: Hier soll ein Impfstoff gegen das neuartige Coronaviru­s entstehen. Und zwar möglichst rasch.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany