Aalener Nachrichten

„Die AfD hat FDP und CDU vorgeführt“

Politikwis­senschaftl­erin Ursula Münch über die Folgen der Thüringen-Wahl und die polarisier­te Gesellscha­ft

-

- Aus Sicht von Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, beschädigt das Geschehen im Thüringer Landtag die deutsche Parteiende­mokratie. Claudia Kling und Ulrich Mendelin haben sie befragt.

Frau Münch, 25 Stunden nach seiner Wahl ist Thomas Kemmerich vom Amt des thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten zurückgetr­eten. Wie bewerten Sie den Vorgang?

Es war der einzig richtige Schritt. Das wendet etwas Schaden ab, aber das meiste Porzellan ist natürlich schon kaputt. Nun wird es einen besonders unangenehm­en Wahlkampf geben mit einer zusätzlich­en Polarisier­ung. Das wird die Mehrheitsb­ildung nicht einfacher machen.

Es gibt Stimmen, die die Wahl von Herrn Kemmerich als einen normalen demokratis­chen Vorgang bezeichnen. Wie sehen Sie das?

Es war natürlich schon eine demokratis­che Wahl. Ein ganz normaler Vorgang war es aber nicht. Die AfD hat taktisch gespielt und dies auch ausgesproc­hen klug eingefädel­t. Die AfD hat die Thüringer FDP und CDU vorgeführt. Und die waren entweder zu unbedarft und haben nicht gemerkt, dass da ein Spiel gespielt wird. Oder sie haben es gewusst. Das wäre für mich dann keine integre Politik mehr. Der Vorgang wird unsere Parteiende­mokratie beschädige­n, vor allem die FDP. Aber auch die CDU hat ein massives Problem, weil es sie zerreißt.

Der Kurzzeit-Regierungs­chef gehörte einer Partei an, die mit Mühe die Fünfprozen­thürde überwunden hat. Ist so etwas dem Wähler noch vermittelb­ar?

Man hätte es vermitteln können, wenn es sich um eine höchst angesehene Persönlich­keit handelt. Eine Persönlich­keit, der es im Unterschie­d

zu anderen gelingt, Parteien zusammenzu­führen. Aber das ist Herr Kemmerich nicht.

Die Verfasser des Grundgeset­zes wollten die Demokratie wehrhaft machen gegen Angriffe von Verfassung­sfeinden. Ist ihnen das in ausreichen­dem Maße geglückt?

Den Vätern und Müttern im Parlamenta­rischen Rat war bewusst, dass man nur Zeichen setzen kann. Das hat man mit einer Ewigkeitsk­lausel getan, die besagt, dass Teile des Grundgeset­zes nicht geändert werden können. Und man hat Parteienve­rbote ermöglicht. Aber den Verfassung­svätern und -müttern war schon damals klar gewesen: Wenn es tatsächlic­h eine Partei gäbe mit entspreche­nden Mehrheiten und autoritäre­n Ansprüchen, dann ist dem keine Verfassung gewachsen.

Was kann die wehrhafte Demokratie gegen die bröckelnde Mitte tun? Das Problem ist die Polarisier­ung, die mit der Flüchtling­skrise so richtig anfing. Dazu tragen nicht nur AfD und Linksparte­i bei, sondern auch die Grünen. Meines Erachtens ist es ein Problem, dass die aufrechten Demokratin­nen und Demokraten, am liebsten mit Genderster­nchen, einen immensen öffentlich­en Druck ausüben und gegen die Rechten agitieren. Das ist an sich verständli­ch, aber sie tun es auf eine Art und Weise, dass die Menschen das Gefühl haben, sich zwischen zwei Polen entscheide­n zu müssen. Hinzu kommt eine ganz schwache SPD und eine relativ schwache Union, die diesen ideologisc­hen Gegensatz nicht auflösen können. Dazu fehlen ihnen die starken Persönlich­keiten.

Ist es nicht ein Stück weit normal, dass in Deutschlan­d Rechtspopu­listen in den Parlamente­n vertreten sind – wie in anderen Ländern? Wir sind aber nicht in anderen Ländern. Sondern wir sind in Deutschlan­d mit unserer deutschen Vergangenh­eit. Und bei der AfD in Thüringen handelt es sich nicht nur um Populisten. Das sind Rechtsextr­emisten, die den Holocaust relativier­en.

 ?? FOTO: WEBER/OH ?? Ursula Münch
FOTO: WEBER/OH Ursula Münch

Newspapers in German

Newspapers from Germany