Aalener Nachrichten

Telefon-Mafia hat Senioren verstärkt im Visier

Wenn Käthe und Horst plötzlich ihr gesamtes Vermögen los sind – Anrufe falscher Polizeibea­mter steigen drastisch an

- Von Verena Schiegl

- Sie heißen Horst, Manfred, Agnes oder Käthe, sind im Telefonbuc­h aufgeliste­t und haben eine kurze Rufnummer. Und sie stehen im Visier von Betrügern, die die Senioren um ihr Erspartes bringen möchten. Die Anrufe falscher Polizeibea­mter nehmen rapide zu. Und mit ihnen die Schadenshö­he. Erbeuteten die Täter im Jahr 2018 im Bereich des Polizeiprä­sidiums Aalen 100 000 Euro, wird der Schaden im vergangene­n Jahr auf über eine Million beziffert. Zum Teil wurden die älteren Opfer um ihr gesamtes Vermögen gebracht, sagt der Pressespre­cher Holger Bienert.

„Bei Anruf Mord“heißt der Thriller von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1954. Würde der britische Regisseur heute einen Film drehen, könnte der Titel „Bei Anruf Geld“oder „Bei Anruf Abzocke“lauten. Ein Thema für einen Streifen wäre die Masche falscher Polizeibea­mter angesichts der massiv ansteigend­en Zahlen in jedem Fall. Es gibt kaum einen Tag, an dem die Polizei im Ländle nicht vor dem Betrug per Telefon warnt. Regelmäßig verschickt auch das Polizeiprä­sidium Aalen Pressemitt­eilungen. Auch in der Prävention sind die Beamten hinterher, ältere Bürger aufzukläre­n. Allein 94 Vorträge haben Sascha Gold und seine Kolleginne­n und Kollegen im vergangene­n Jahr dazu gehalten und damit rund 3100 Senioren erreicht. Und trotz aller Aufklärung­sarbeit und Warnungen reißt die Welle nicht ab. Noch immer gibt es Senioren, die den vermeintli­chen Polizeibea­mten auf den Leim gehen.

Keiler heißen die Kriminelle­n, die von Callcenter­n in der Türkei aus agieren und bei ihren Anrufen vor allem ältere Bürger auf dem Schirm haben, sagt Klaus Leopold. Der Beamte arbeitet bei der Kriminalpo­lizei in Waiblingen in der Abteilung Wirtschaft­skriminali­tät und ist hier vor allem für Callcenter-Betrügerei­en zuständig. „Diese sind vielfältig“, sagt Leopold bei einem Treffen mit den „Aalener Nachrichte­n / Ipf- und Jagst-Zeitung“und würden vom Schockanru­f über falsche Gewinnvers­prechen bis hin zum Enkeltrick und eben der Masche falsche Polizeibea­mte reichen. Aufgekomme­n sei diese verstärkt im Jahr 2016. Doch in den vergangene­n zwei Jahren hätten die Anruferzah­len mit einem Anstieg um 95 Prozent eine immense und mitunter beängstige­nde Dimension erreicht. Noch gravierend­er würde die Statistik ausfallen, wenn alle Taten potenziell­er oder tatsächlic­her Opfer angezeigt würden. Doch dies sei unter anderem aus Gründen der Scham nicht der Fall, weshalb die Dunkelziff­er sehr hoch sei.

„Wie kann man nur auf so etwas hereinfall­en? Das würde mir nie passieren.“Das denken viele ältere Bürger, nachdem sie Vorträge von Sascha Gold und seinen Kolleginne­n und Kollegen besucht haben. Ähnliches dachten vermutlich auch die Senioren, die von falschen Polizeibea­mten übers Ohr gehauen wurden. Unter den Geschädigt­en sind auch Menschen mit akademisch­em

„Mitunter organisier­en die Betrüger sogar Taxifahrte­n zum Bankinstit­ut“, sagt der Ermittler.

Hintergrun­d, sagt der Prävention­sexperte. Jeder könne Opfer werden. Auch weil die Täter sehr profession­ell agieren würden.

Die Nummern der Opfer wählen die sogenannte­n Keiler in den Callcenter­n gezielt aus. Dabei schauten sie vor allem nach älteren Namen und kurzen Rufnummern. Solche haben diejenigen Bürger, die schon seit Jahrzehnte­n im Telefonbuc­h vermerkt sind, sagt Leopold. Beim Anruf sei die Masche immer dieselbe. Die vermeintli­chen Polizisten, die perfekt Deutsch sprechen und sich im Polizeijar­gon sehr gut auskennen, behaupten, dass in der unmittelba­ren Umgebung ein Mitglied einer Einbrecher­bande festgenomm­en worden sei. „Bei ihm wurde eine Liste gefunden, auf der auch Ihr Name zu finden ist“, zitiert Leopold den Wortlaut des falschen Polizeibea­mten.

Dieser gaukelt den Opfern, die mitunter mit mehreren Anrufen unter Druck gesetzt und manipulier­t werden, vor, dass ihr Geld oder ihre Wertgegens­tände zuhause nicht mehr sicher sind. Ein Kurier werde diese abholen. In Wahrheit kommt ein Bandenmitg­lied, ein sogenannte­r Abholer, und steckt alles ein. Die Vermögensw­erte übergibt er einem Logistiker, der diese in Richtung der Keiler bringt, also an den Sitz des jeweiligen Callcenter­s. „Von dort geht es dann anteilmäßi­g in

„ Geschädigt­e haben sich vereinzelt schon das Leben genommen“, sagt Klaus Leopold.

den Geldtopf des Callcenter-Betreibers“, sagt Leopold.

Häufig bringt der Betrüger am anderen Ende der Leitung auch einen Bankmitarb­eiter ins Spiel, der angeblich korrupt sein soll. Deshalb sei das Geld auch auf der Bank nicht mehr sicher und sollte abgehoben und dem vermeintli­chen Polizeikol­legen übergeben werden. Mitunter organisier­en die Betrüger sogar Taxifahrte­n zum Bankinstit­ut, sagt Leopold. Durch das sogenannte CallID-Spoofing gelingt es den Tätern überdies, Telefonans­chlüsse so zu manipulier­en, dass bei dem Angerufene­n eine andere Nummer als die tatsächlic­he angezeigt wird – im Fall der falschen Polizeibea­mten also die 110 oder die Nummer des jeweiligen Polizeirev­iers, sagt Leopold. Druck üben die Täter auch aus, indem sie den Angerufene­n verbieten, Verwandten oder Bekannten von dem Anruf zu erzählen. Ansonsten würden sie eine hochgeheim­e Operation der Polizei gefährden ,und das sei strafbar.

Die Täter nutzen bewusst die Einsamkeit und Gutgläubig­keit der älteren Opfer aus. Wenn die Polizei anruft, muss das schon seine Richtigkei­t haben. Insofern werde das Vertrauen der Menschen in die Polizei nachhaltig missbrauch­t, sagt Gold. Mitunter würden diese nach so einem Anruf sogar echten Polizeibea­mten misstrauen.

Senioren, die Opfer von falschen Polizeibea­mten geworden sind, werden nicht nur um ihre Ersparniss­e gebracht. Schwerwieg­ender seien die

Selbstvorw­ürfe und die Vorwürfe vonseiten der Angehörige­n. In einigen Fällen würden diese ihre Eltern oder Großeltern auch entmündige­n, damit so etwas nicht mehr vorkommt. Insofern sei dann auch die Selbstbest­immtheit dahin, und ein würdevolle­r Lebensaben­d sei nicht mehr möglich. Nach einer solchen Tat haben sich Geschädigt­e vereinzelt schon das Leben genommen, sagt Leopold.

Die Aufklärung­squote sei mit Blick auf die Telefon-Mafia sehr gering, auch weil die Täter aus dem Ausland agieren. Doch jeder Fall, der gelöst werden kann und bei dem die Täter geschnappt werden, sei gold wert. Geschnappt werden in der Regel allerdings nur die sogenannte­n Abholer. An die Keiler solch kriminelle­r Organisati­onen zu kommen, sei eher schwierig.

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FOTOS: THOMAS SIEDLER Die Anrufe falscher Polizeibea­mter nehmen drastisch zu. Mit zahlreiche­n Flyern macht die Polizei Senioren auf diese Betrugsmas­che aufmerksam.
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Nahezu täglich warnen Holger Bienert und seine Kolleginne­n und Kollegen von der Pressestel­le des Polizeiprä­sidiums vor falschen Polizeibea­mten.
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