„Romantisierte Welten reichen nicht“
Claas-Chef Thomas Böck über Verbraucheransprüche, Bauernfrust und die Landmaschinen der Zukunft
- Mit der Frage nach dem Knoter kann man Thomas Böck nicht verunsichern. Das ist ein „Apparat, der in ein Garn, das man zum Binden von Strohballen braucht, automatisch mechanisch einen Knoten macht“, sagt der Chef des Landmaschinenbauers – und erklärt grinsend, warum der Erfolg des westfälischen Unternehmens mit seinem bedeutenden Werk im oberschwäbischen Bad Saulgau nicht zuletzt auf dieser Erfindung beruht. Im Interview mit Benjamin Wagener, Andreas Knoch und Rudolf Multer redet der 49-Jährige aber über viel mehr: Der Manager spricht über die Zukunft des Mähdreschers, kritisiert das Einkaufsverhalten der Verbraucher und erläutert, was Landwirte zurzeit so maßlos frustiert.
Herr Böck, der Knoter war das erste Patent, das August Claas sich hat schützen lassen. Was bedeutet diese Erfindung für den Landmaschinenbauer Claas heute?
Das Patent war die Grundlage schlechthin, weil die Erfindung den Wandel markierte, den Claas durchmachte von einem landwirtschaftlichen Reparaturbetrieb zu einem Unternehmen, das entwickelt und produziert. Das war eine Wende. Und das Prinzip funktioniert bis heute, wir haben den Knoter – technisch inzwischen runderneuert – auch weiter im Einsatz.
Wenn der Knoter am Anfang stand, wo geht die Entwicklung der Landmaschinen hin?
Wir entwickeln heute hochintelligente Maschinen und verbinden Maschinenbau, Verfahrenstechnik, Elektronik und Software. Unsere Mähdrescher der neuesten Generation können ihre Dreschsysteme selbstständig einstellen, autonom navigieren, sich mit der Welt vernetzen, Daten sammeln und sie an den Landwirt zur Weiterverarbeitung schicken.
Autonome Fahrzeuge? Werden also künftig Mähdrescher vollautomatisch ohne Fahrer den Weizen auf den Feldern im Südwesten ernten?
Nein, der Rechtsrahmen gibt das noch nicht her. Im Moment erarbeiten wir mit dem Verband der Maschinenbauer eine ethische Leitlinie für solche Fragen. Aktuell sind vollautonome Fahrzeuge nicht erlaubt – zumindest nicht auf dem Feld. Denn ein landwirtschaftlicher Hof ist kein Industriebetrieb, der genauso abriegelbar ist wie ein Werksgelände.
Wie wird es weitergehen?
Der nächste große Sprung ist die Vernetzung der landwirtschaftlichen Prozesse. Dabei werden landwirtschaftliche Informationen, Softwareanwendungen, Maschinendaten und Agrardienstleistungen verschiedener Anbieter in einer intuitiven mobilen Plattform verknüpft. Bereits vor sieben Jahren haben wir ein Tochterunternehmen gegründet, die sich genau darum kümmert und dem Landwirt zeigt, wie er entlang der gesamten betrieblichen Prozesskette effizienter arbeiten kann.
Aber grundsätzlich werden wir auch in 20 Jahren noch Eggen, Mähdrescher und Grubber auf den Feldern sehen?
Ja, denn die Verfahren sind größtenteils bekannt und nahezu ausgefeilt. Jetzt geht es darum, in einem Industriebetrieb das Zusammenspiel der Prozesse – also Düngen, Säen, Spritzen, Ernten – so zu optimieren, dass alles möglichst effizient abläuft.
Wer sind denn Ihre Kunden? Und wer kann sich die immer technologisch aufwendigeren Maschinen leisten?
Im Endeffekt müssen wir für jedes Kundensegment das passende Fahrzeuge bereitstellen. Wir haben die bäuerlichen Familienbetriebe als Kunden, die sich vielleicht seltener für die größten Maschinen entscheiden. Aber dann gibt es die Großbetriebe überall in Europa, die die größten Mähdrescher brauchen und sich ganze Flotten leisten.
Welche Rolle spielen bei Ihnen die Maschinenringe, also die Benutzergemeinschaften, die große Maschinen anschaffen und mehreren Kunden zur Verfügung stellen?
Eine große Rolle. Es ist die klassische Shared Economy, eigentlich hat die
Landwirtschaft diese Wirtschaftsform erfunden. Die Maschinenringe kommen oft auch mit ganz speziellen Wünschen und Anforderungen auf uns zu.
In Europa geht es vor allem um eine nachhaltigere, ökologischere Landwirtschaft, in anderen Regionen der Welt vor allem um eine Steigerung des Ertrags. Wie reagieren Sie als Landmaschinenbauer auf diese Trends?
Das macht für uns keinen großen Unterschied. Wir kombinieren Maschinen mit Software, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Und Effizienz führt dazu, dass ich mit möglichst geringem Ressourceneinsatz das Optimum aus dem Acker heraushole. So haben wir es geschafft, dass wir die Kraftstoffmenge pro Tonne Weizen in den vergangenen 50 Jahren halbiert haben.
Das bedeutet, dass effizientere Maschinen einerseits nachhaltiger laufen und andererseits einen höheren Ertrag bringen?
Ja. Das Wissen, das wir uns in hochentwickelten Regionen aufbauen, bringt uns in anderen Märkten Wettbewerbsvorteile.
Die Diskussion um die Landwirtschaft wird schärfer. Landwirte fühlen sich als Giftspritzer verunglimpft, sie reagieren mit grünen Kreuzen. Wie kommen Ihre Kunden aus dem Teufelskreis raus?
Wir müssen in einen Dialog treten und die Konsequenzen von bestimmten Entscheidungen aufzeigen. Die verschiedenen Parteien müssen miteinander reden und erklären, was geht und was nicht. Diesen Prozess wollen wir als Unternehmen mit dem Ziel einer nachhaltigeren Landwirtschaft unterstützten. Noch viel zu oft wird einfach schwarz-weiß diskutiert.
Geben Sie ein Beispiel.
Glyphosat. Wenn man Glyphosat durch andere Mittel ersetzt, müssen wir einen Kohlendioxid-Preis zahlen. Mit Glyphosat muss ich den Boden weniger pflügen und umbrechen, lasse ich das Mittel weg, muss ich wieder stärker in die Bodenbearbeitung einsteigen, um Unkräuter zurückzudrängen. Im Boden ist jedoch viel Kohlendioxid gespeichert, das dann freigesetzt wird. Das ist ein einfacher physikalisch-chemischer Prozess.
Wie können Landwirte den Verbrauchern in Berlin-Mitte diese Zusammenhänge verdeutlichen?
Es reicht nicht, nur romantisierte landwirtschaftliche Welten zu präsentieren. Man muss zeigen, wie sich die Landwirtschaft entwickelt und wie sie sich entwickeln kann. Aber dabei müssen die Landwirte natürlich auch auf die Sorgen und Erwartungen der Stadtbevölkerung eingehen. Im Moment zieht sich jeder auf seine Position zurück und verschanzt sich in seiner eigenen Burg.
Müssen wir uns dann von der Effizienz in der industriellen Landwirtschaft verabschieden?
Nein, ganz und gar nicht. Effizienz ist Ressourcenschonung. Effizienz heißt für uns, mit möglichst wenig Ressourcen die besten Erträge zu erzielen.
Aber um nun doch mit Romantik zu kommen: Glyphosat tötet Pflanzen und Lebewesen, die zur Natur dazu gehören, damit ich ein Produkt günstig produzieren kann.
Das ist aber keine Landmaschinendiskussion. Da müssen wir uns über Lebensmittelpreise und über die Frage unterhalten, was es dem Verbraucher am Ende Wert ist, ein Produkt zu essen, das nachhaltig und ökologisch einwandfrei produziert wurde. Das ist keine Frage der Technik, das ist eine gesellschaftliche Frage.
Sie können da nichts machen?
Wir können vermitteln. In anderen Ländern wie Frankreich genießen aufwendig produzierte Lebensmittel einen wesentlich höheren Stellenwert. Das muss sich bei uns ändern. Wir können den Prozess unterstützen, indem wir die Verfahren nachhaltiger und transparenter machen.
Kann eine ökologische Landwirtschaft überhaupt so viele Menschen ernähren?
Ich glaube schon, dass auch solche Mengen nachhaltig erzeugt werden können, allerdings nicht bei uns. Es müssen dann wohl auch mehr Lebensmittel importiert werden. Aber die Crux ist, dass eine rein ökologische Landwirtschaft mit höheren Verlusten rechnen muss, die Erträge niedriger sind, die Landwirte aber nicht den Mehrpreis für diesen Aufwand bekommen. Die Landwirte wehren sich nicht per se gegen diese Wirtschaftsweise.
Sie sind nah an den Bauern dran. Wie ist die Stimmung??
Ich spüre eine massive Verunsicherung. Der gesellschaftliche Druck – Stichwort Bauern-Bashing – ist hoch. Das Durchschnittsalter der Landwirte liegt bei Ende 50, es stehen überall Generationswechsel an. Hinzu kommen vor allem in Norddeutschland zwei relativ trockene Jahre mit deutlichen Einkommenseinbußen. Wir spüren die Verunsicherung durch eine Zurückhaltung beim Kauf von Maschinen.
Dann hat Mengens Bürgermeister Stefan Bubeck dem Bauernstand einen Bärendienst erwiesen, als er als Zuschauer einer Bauerndemo die Landwirte mit dem Satz „Scheinbar kriegen die Landwirte noch viel zu viel für ihre Lebensmittel, wenn sie sich solche Millionen-Karren leisten können“verspottete.
Die Maschinengröße sagt tatsächlich gar nichts über den vermeintlichen Reichtum des Landwirts aus.
Wie stehen die landwirtschaftlichen Betriebe wirtschaftlich da?
Die gesetzlichen Auflagen nehmen zu, was zur Folge hat, dass viele Landwirte in Technik investieren und ihre Prozesse umstellen müssen.
Die Erträge spielen diese höheren Kosten aber nicht ein.
Das Höfesterben geht also weiter?
Die Zahl der Betriebe wird sich weiter reduzieren. Das ist ein Prozess, der schon seit 40, 50 Jahren läuft. Im Moment sehe ich keine Anzeichen, dass sich das ändert.
Wie ist das Jahr 2019 gelaufen?
Wir konnten den Umsatz leicht steigern, das Ergebnis vor Steuern ging auf 136 Millionen Euro zurück. Trotz des sich abzeichnenden Ergebnisrückgangs haben wir Kurs gehalten und konsequent in die weitere Digitalisierung und den Ausbau unserer Marktposition investiert.
Zufrieden mit dem Umsatz?
Die 3,89 Milliarden Euro sind der höchste Umsatz, den wir jemals hatten. Aber die Erwartungen waren eigentlich noch ein wenig höher. Wir haben uns zwar gut geschlagen – vor allem im Vergleich mit den Wettbewerbern, spürten aber auch den wachsenden Gegenwind.
Was sind Ihre Ziele für 2020?
Wir wollen den Umsatz leicht steigern und das Ergebnis stabil halten. Aber das ist noch ein Stück Arbeit.
Sie haben nicht immer die hellgrünen Traktoren von Claas gebaut, Ihre Karriere begannen Sie bei der Konkurrenz von Fendt. Was war als Kind Ihre Lieblingsmarke?
Da war ich nicht so festgelegt. Ich bin ja ein gebürtiger Marktoberdorfer, da war Fendt natürlich vor der Haustür.
Wann begann Ihre Leidenschaft für schwere Maschinen?
Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich mit eineinhalb Jahren sämtliche Auto- und Lastwagenmarken kannte. Ich hatte immer Spaß an Technik. Und mit acht Jahren durfte ich auf dem Hof meines Großvaters das erste Mal Traktor fahren, da war’s um mich geschehen.
Was finden Sie so faszinierend?
Als Ingenieur können Sie in der Landtechnik fast alles machen – von der Automatisierung über die Prozesstechnik hin zu unterschiedlichen Maschinen. Wo kann man das? Und dann noch mit der Natur und Menschen zusammenarbeiten, die bodenständig, geerdet leben und arbeiten. Ich möchte in keiner anderen Branche arbeiten.