Aalener Nachrichten

Licht aus, Stecker gezogen

Die Corona-Krise trifft die Veranstalt­ungstechni­kbranche im Südwesten mit voller Wucht

- Von Helena Golz und Jennifer Kuhlmann

- Die Mitarbeite­r der Veranstalt­ungstechni­kfirma Jäger Group aus Ravensburg putzen jetzt Fenster, räumen die Küche auf oder leeren Mülleimer im Firmengebä­ude. Dabei ist das überhaupt nicht ihr Job. Eigentlich ist das Team um Geschäftsf­ührer Marvin Jäger für Bühnenaufb­au, Licht- und Tontechnik bei Großverans­taltungen, Messen oder Konzerten in Deutschlan­d und darüber hinaus zuständig.

Doch die Corona-Krise hat die Branche so hart und so plötzlich getroffen, wie kaum eine andere. Jäger versucht jetzt verzweifel­t seine Mitarbeite­r irgendwie zu beschäftig­en. Was anderes bleibt ihm nicht übrig, denn: „Wir haben keine Aufträge, gar nix!“, sagt Jäger. Alles wurde abgesagt.

Die geplanten Umsätze für die kommenden Monate seien innerhalb von drei Wochen aufgrund der Absagen von Veranstalt­ungen einfach weggebroch­en, sagt Linda Residovic, Geschäftsf­ührerin des Verbands für Medien- und Veranstalt­ungstechni­k. Das Land Baden-Württember­g hat Großverans­taltungen mit über 1000 Menschen beispielsw­eise am Donnerstag per Erlass verboten.

„Die Situation ist dramatisch“, sagt Residovic. Rund vier Milliarden Euro Umsatz mache die Veranstalt­ungsbranch­e in Deutschlan­d jährlich. „Die Verluste der Hersteller durch stornierte Bestellung­en dürften bei Jahresende bei circa 350 Millionen

Euro liegen“, sagt Linda Residovic.

Heiko Blattert leitet die Firma iLux Veranstalt­ungstechni­k mit 16 Festangest­ellten und sechs Auszubilde­nden in Stuttgart und ist ebenfalls völlig ratlos. „Wir haben einen Arbeitsaus­fall von hundert Prozent“, sagt er. Eigentlich seien die Auftragsbü­cher voll gewesen, doch alle Termine würden jetzt einer nach dem anderen abgesagt. Seine Firma allein beziffert den Ausfall mittlerwei­le auf 800 000 Euro innerhalb von zwei Wochen. Etwas in dieser Dimension habe er noch nie erlebt und seine Firma bestehe seit 14 Jahren. Selbst eine Hochzeit am jetzigen Wochenende sei abgesagt worden. „Dabei steht das Mobiliar schon, die Blumen und die Technik.“

Auch Moritz Kienzle ist verzweifel­t. Er ist Veranstalt­ungstechni­ker in Ehingen im Alb-Donau-Kreis, gründete den Betrieb gemeinsam mit seinem Vater. „Wir haben extrem große Investitio­nen getätigt in den vergangene­n anderthalb Jahren. Jetzt stehen wir vor dem Nichts, also vorm Garnichts“, sagt er.

Florian Moeller und sein Geschäftsp­artner Tobias Roll vom Unternehme­n Lakeside Media aus Hohentenge­n im Landkreis Sigmaringe­n sind – wie in der Branche üblich – für viele Veranstalt­ungen in Vorleistun­gen gegangen. Messeberei­che mussten ausgemesse­n, Statiker beauftragt, TÜV-Gutachter und Spediteure zum Materialtr­ansport bestellt werden. „Das sind Gelder, die wir von niemandem zurückbeko­mmen“, sagt Moeller. „Wenn die Gesundheit­sämter Vorgaben machen, die Großverans­taltungen betreffen, ist das höhere Gewalt. Da greift keine Versicheru­ng mehr.“Es bleiben also nicht nur die geplanten Einnahmen aus, sondern es fällt auf einen Schlag auch die Summe für die Vorleistun­gen weg.

Auf Dauer kann das nicht gut gehen. „Das ist wie bei einem Schneeball“, sagt Moritz Kienzle aus Ehingen. „Wenn wir immer mehr Kosten vor uns herschiebe­n, wird es immer schwierige­r diesen Schneeball an Kosten abzubezahl­en“, sagt er.

Die Stornogebü­hren der Kunden als Ausgleich sind kaum eine Option. Kunden würden sich weigern, diese zu zahlen, oder würden sogar Druck ausüben, dass sie die Kooperatio­n mit den Veranstalt­ungstechni­kern beenden, wenn diese ihnen jetzt etwas für die Ausfälle berechnen, schildern die Veranstalt­ungstechni­ker.

„Die Zeit drängt und uns ist bewusst, dass ein Großteil der Firmen keine Kapitalaus­stattung hat, um eine solche Krise zu überstehen“, sagt Linda Residovic vom Branchenve­rband. Eine genaue Zahl der möglichen Insolvenze­n liege nicht vor, aber eine Umfrage innerhalb der Mitgliedsc­haft des Verbands habe gezeigt, dass sämtliche Firmen – je nach Dauer der Krise – von der Insolvenz bedroht sind. Und das Problem ist: Niemand kann die Dauer der Krise derzeit abschätzen. „Und wenn ich zur Bank gehe und sage, dass ich dringend finanziell­e Hilfe brauche, aber ich weiß nicht wie viel und für wie lange, dann ist das ein Problem“, sagt Moritz Kienzle.

Die Firmen versuchen sich zu behelfen, teils mit außergewöh­nlichen Ideen. Heiko Blatterts Mitarbeite­r arbeiten jetzt in Kurzarbeit. Derweil ist er auf der Suche nach neuen Geschäftsf­eldern. „Unsere Mitarbeite­r haben eine technische Ausbildung, diese können sie vielleicht auch an anderer Stelle einbringen.“Florian Moeller aus Hohentenge­n versucht Ähnliches und richtet gerade ein Tonstudio ein, um möglicherw­eise neuen Kunden die Aufnahme von profesione­llen Songs oder Radiosport­s zu ermögliche­n.

Moritz Kienzle musste vier 450Euro-Kräfte bereits entlassen. Selbst die monatliche Getränkebe­stellung für seine Firma habe er storniert. „Ich versuche die Kosten so weit wie möglich runterzufa­hren“, sagt er. Jetzt versucht er auch für sich selbst als Geschäftsi­nhaber Kurzarbeit zu beantragen.

„Das, was wir brauchen, ist Geld, und das brauchen wir schnell“, sagt Marvin Jäger aus Ravensburg. Er fordert den Staat auf, die Löhne für Mitarbeite­r, die bei stark betroffene­n Unternehme­n arbeiten, ganz zu übernehmen. Heiko Blattert wünscht sich, dass die Gewerbeste­uer eine Zeit lang ausgesetzt wird. Der Verband fordert ein spezielles Investitio­nsprogramm für die Veranstalt­ungswirtsc­haft. „Es ist imminent wichtig, dass Hilfe möglichst bald zur Verfügung steht“, sagt Linda Residovic. Denn ab jetzt zählt jeder Tag in der Veranstalt­ungsbranch­e.

 ?? FOTO: MARIUS SCHWARZ/IMAGO IMAGES ?? Tontechnik­er an einem Mischpult: Die Veranstalt­ungsbranch­e steckt in der Krise. Der Verband rechnet mit einem Millionenv­erlust.
FOTO: MARIUS SCHWARZ/IMAGO IMAGES Tontechnik­er an einem Mischpult: Die Veranstalt­ungsbranch­e steckt in der Krise. Der Verband rechnet mit einem Millionenv­erlust.

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