Licht aus, Stecker gezogen
Die Corona-Krise trifft die Veranstaltungstechnikbranche im Südwesten mit voller Wucht
- Die Mitarbeiter der Veranstaltungstechnikfirma Jäger Group aus Ravensburg putzen jetzt Fenster, räumen die Küche auf oder leeren Mülleimer im Firmengebäude. Dabei ist das überhaupt nicht ihr Job. Eigentlich ist das Team um Geschäftsführer Marvin Jäger für Bühnenaufbau, Licht- und Tontechnik bei Großveranstaltungen, Messen oder Konzerten in Deutschland und darüber hinaus zuständig.
Doch die Corona-Krise hat die Branche so hart und so plötzlich getroffen, wie kaum eine andere. Jäger versucht jetzt verzweifelt seine Mitarbeiter irgendwie zu beschäftigen. Was anderes bleibt ihm nicht übrig, denn: „Wir haben keine Aufträge, gar nix!“, sagt Jäger. Alles wurde abgesagt.
Die geplanten Umsätze für die kommenden Monate seien innerhalb von drei Wochen aufgrund der Absagen von Veranstaltungen einfach weggebrochen, sagt Linda Residovic, Geschäftsführerin des Verbands für Medien- und Veranstaltungstechnik. Das Land Baden-Württemberg hat Großveranstaltungen mit über 1000 Menschen beispielsweise am Donnerstag per Erlass verboten.
„Die Situation ist dramatisch“, sagt Residovic. Rund vier Milliarden Euro Umsatz mache die Veranstaltungsbranche in Deutschland jährlich. „Die Verluste der Hersteller durch stornierte Bestellungen dürften bei Jahresende bei circa 350 Millionen
Euro liegen“, sagt Linda Residovic.
Heiko Blattert leitet die Firma iLux Veranstaltungstechnik mit 16 Festangestellten und sechs Auszubildenden in Stuttgart und ist ebenfalls völlig ratlos. „Wir haben einen Arbeitsausfall von hundert Prozent“, sagt er. Eigentlich seien die Auftragsbücher voll gewesen, doch alle Termine würden jetzt einer nach dem anderen abgesagt. Seine Firma allein beziffert den Ausfall mittlerweile auf 800 000 Euro innerhalb von zwei Wochen. Etwas in dieser Dimension habe er noch nie erlebt und seine Firma bestehe seit 14 Jahren. Selbst eine Hochzeit am jetzigen Wochenende sei abgesagt worden. „Dabei steht das Mobiliar schon, die Blumen und die Technik.“
Auch Moritz Kienzle ist verzweifelt. Er ist Veranstaltungstechniker in Ehingen im Alb-Donau-Kreis, gründete den Betrieb gemeinsam mit seinem Vater. „Wir haben extrem große Investitionen getätigt in den vergangenen anderthalb Jahren. Jetzt stehen wir vor dem Nichts, also vorm Garnichts“, sagt er.
Florian Moeller und sein Geschäftspartner Tobias Roll vom Unternehmen Lakeside Media aus Hohentengen im Landkreis Sigmaringen sind – wie in der Branche üblich – für viele Veranstaltungen in Vorleistungen gegangen. Messebereiche mussten ausgemessen, Statiker beauftragt, TÜV-Gutachter und Spediteure zum Materialtransport bestellt werden. „Das sind Gelder, die wir von niemandem zurückbekommen“, sagt Moeller. „Wenn die Gesundheitsämter Vorgaben machen, die Großveranstaltungen betreffen, ist das höhere Gewalt. Da greift keine Versicherung mehr.“Es bleiben also nicht nur die geplanten Einnahmen aus, sondern es fällt auf einen Schlag auch die Summe für die Vorleistungen weg.
Auf Dauer kann das nicht gut gehen. „Das ist wie bei einem Schneeball“, sagt Moritz Kienzle aus Ehingen. „Wenn wir immer mehr Kosten vor uns herschieben, wird es immer schwieriger diesen Schneeball an Kosten abzubezahlen“, sagt er.
Die Stornogebühren der Kunden als Ausgleich sind kaum eine Option. Kunden würden sich weigern, diese zu zahlen, oder würden sogar Druck ausüben, dass sie die Kooperation mit den Veranstaltungstechnikern beenden, wenn diese ihnen jetzt etwas für die Ausfälle berechnen, schildern die Veranstaltungstechniker.
„Die Zeit drängt und uns ist bewusst, dass ein Großteil der Firmen keine Kapitalausstattung hat, um eine solche Krise zu überstehen“, sagt Linda Residovic vom Branchenverband. Eine genaue Zahl der möglichen Insolvenzen liege nicht vor, aber eine Umfrage innerhalb der Mitgliedschaft des Verbands habe gezeigt, dass sämtliche Firmen – je nach Dauer der Krise – von der Insolvenz bedroht sind. Und das Problem ist: Niemand kann die Dauer der Krise derzeit abschätzen. „Und wenn ich zur Bank gehe und sage, dass ich dringend finanzielle Hilfe brauche, aber ich weiß nicht wie viel und für wie lange, dann ist das ein Problem“, sagt Moritz Kienzle.
Die Firmen versuchen sich zu behelfen, teils mit außergewöhnlichen Ideen. Heiko Blatterts Mitarbeiter arbeiten jetzt in Kurzarbeit. Derweil ist er auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. „Unsere Mitarbeiter haben eine technische Ausbildung, diese können sie vielleicht auch an anderer Stelle einbringen.“Florian Moeller aus Hohentengen versucht Ähnliches und richtet gerade ein Tonstudio ein, um möglicherweise neuen Kunden die Aufnahme von profesionellen Songs oder Radiosports zu ermöglichen.
Moritz Kienzle musste vier 450Euro-Kräfte bereits entlassen. Selbst die monatliche Getränkebestellung für seine Firma habe er storniert. „Ich versuche die Kosten so weit wie möglich runterzufahren“, sagt er. Jetzt versucht er auch für sich selbst als Geschäftsinhaber Kurzarbeit zu beantragen.
„Das, was wir brauchen, ist Geld, und das brauchen wir schnell“, sagt Marvin Jäger aus Ravensburg. Er fordert den Staat auf, die Löhne für Mitarbeiter, die bei stark betroffenen Unternehmen arbeiten, ganz zu übernehmen. Heiko Blattert wünscht sich, dass die Gewerbesteuer eine Zeit lang ausgesetzt wird. Der Verband fordert ein spezielles Investitionsprogramm für die Veranstaltungswirtschaft. „Es ist imminent wichtig, dass Hilfe möglichst bald zur Verfügung steht“, sagt Linda Residovic. Denn ab jetzt zählt jeder Tag in der Veranstaltungsbranche.