Die Hüfte muss warten
Planbare Operationen sollen aufgeschoben werden, um Kapazitäten in der Intensivmedizin frei zu machen
- Eine künstliche Hüfte eingesetzt zu bekommen, das geht ab Montag erst einmal nicht mehr. So haben es die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen. Planbare Operationen, ob nun das Implantieren eines neuen Kniegelenks oder das Entfernen von Gallenblase oder Gaumenmandeln, sollen aufgeschoben werden. Grund: die Corona-Krise – und damit die Befürchtung, dass mit dem Ansteigen der Infiziertenzahlen und somit auch der Zahl der schwer Erkrankten die 1200 deutschen Intensivstationen mit 28 000 Intensivbetten nicht mehr ausreichen, um alle Patienten bestmöglich zu behandeln.
„Wir müssen das italienische Szenario in den Kliniken vermeiden“, sagt Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, der obersten Behörde für Infektionskrankheiten. In Italien sind in vielen Kliniken die Stationen der Intensivmedizin, wo etwa Beatmung stattfinden kann, wegen der Lungenkrankheit Covid-19 völlig überlastet. Die Ärzte müssen entscheiden, welchen Fall sie in die Intensivstation aufnehmen und damit angemessen behandeln, und wer in noch größere Gefahr gerät, weil er nicht ausreichend versorgt werden kann. Laut Wieler muss man damit rechnen, dass fünf Prozent der Corona-Fälle künstlich beatmet werden müssen. Er appelliert an die deutschen Kliniken, sich schnell umzustellen – „das ist kein Hexenwerk, dafür gibt es Pläne“.
Die Krankenkassen unterstützen dieses Umsteuern. „Zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie brauchen wir unbedingt freie Intensivkapazitäten, und es ist richtig, dafür planbare Operationen abzusagen“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, der Dachorganisation aller 109 gesetzlichen Kassen. Dabei ist den Kassen bewusst, die jeden dritten Euro ihrer Ausgaben an die Krankenhäuser überweisen, dass sie zusätzliche Mittel aufbringen müssen. Die Politik hat festgelegt, dass keine Klinik durch die Maßnahmen ins Defizit rutschen darf. Zudem soll es einen Bonus für jedes Intensivbett geben, das zusätzlich provisorisch geschaffen und vorgehalten wird. Über die
Finanzierungsfragen sei man aktuell mit dem Bundesgesundheitsministerium und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Gespräch, so Stoff-Ahnis.
Dass das Geld „unbürokratisch und schnell“fließen soll, fordern denn auch die Krankenhäuser. Zumindest der AOK-Bundesverband hat genau das schon zugesagt: „Wenn es durch die Streichung von planbaren Eingriffen oder durch Sonderaufwendungen für Coronavirus-Patienten zu finanziellen Engpässen in Krankenhäusern kommt, wird die AOK unbürokratisch helfen“, sagt Vorstandschef Martin Litsch. „In Krisenzeiten kann es nicht sein, dass durch formales Verwaltungshandeln Menschenleben gefährdet werden.“
Die Kliniken selbst betonen, man komme selbstverständlich der Aufforderung
der Bundeskanzlerin und des Bundesgesundheitsministers nach, „ab der kommenden Woche, soweit wie es medizinisch vertretbar ist, Patientenbehandlungen in den Kliniken zurückzufahren“. Damit mache man nötige Kapazitäten für die Versorgung der von Corona schwer betroffenen Patienten und aller weiteren akut behandlungsbedürftigen Patienten verfügbar, so DKG-Präsident Gerald Gaß.
Doch auch planbare Eingriffe wie etwa bei Hüft- oder Knieproblemen können durch ihre medizinische Notwendigkeit nicht unendlich vertagt werden. Je nach Art des Eingriffs, sagt Professor Thomas Schmitz-Rixen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, kann eine planbare Operation um wenige Tage bis zu mehreren Monaten verschoben werden. Das hänge von der zugrundeliegenden Diagnose und der auszuführenden Operation ab. „Allerdings darf das Sterblichkeitsrisiko der Verschiebung eines Eingriffes nicht höher sein, als das Sterblichkeitsrisiko einer schweren krankenhauspflichtigen Corona-Erkrankung.“Unklar ist, wie lange die Corona-Krise das Gesundheitswesen beschäftigen wird. Lothar Wieler sprach am Freitag davon, dass es sich um ein bis zwei Jahre handeln könnte. Und wie sehr die jetzt eingeleiteten Maßnahmen wie die Absage von Großveranstaltungen und die Schließung von Schulen wirken, ist ebenso unklar.