Aus einer fernen Welt des Schreckens
Doku „Colonia Dignidad“rollt die Geschichte einer deutschen Sektensiedlung in Chile auf
Hinter der Fassade eines deutschen Musterdorfes herrschten Terror, Angst und massenhafter Kindesmissbrauch: Die deutsche Sektengruppe „Colonia Dignidad“konnte sich an einem abgelegenen Ort im südamerikanischen Chile über vier Jahrzehnte halten. 300 Siedler waren ihrem Anführer Paul Schäfer in den 60ern ans Ende der Welt gefolgt, viele waren Kinder.
Was diese Menschen alles zu ertragen hatten und wie der Laienprediger Schäfer sie unter seine Kontrolle bekam, zeigt die eindrucksvolle TV-Dokumentation „Colonia Dignidad – Aus dem Innern einer deutschen Sekte“. Frühere Mitglieder erzählen erstmals vor der Kamera von ihren traumatisierenden Erlebnissen. Der Film zeigt dazu in einer nie dagewesenen Fülle Filmmaterial aus der Siedlung.
Der dynamische Jugendpfleger Schäfer hatte schon in Deutschland verunsicherte junge Menschen der Nachkriegszeit um sich geschart. Auch Kurt Schnellenkamp war von seinen Predigten fasziniert und folgte ihm: „Es war, als ob ein Wind käme – alles weggefegt und da wäre keine Dunkelheit mehr.“
Die Siedler, die Schäfer nach ersten Missbrauchsermittlungen der deutschen Justiz nach Chile geholt hatte, mussten aus dem Nichts im Wald ein Dorf errichten und lebten völlig abgeschottet von der Außenwelt. Viele wussten nicht einmal, wie alt sie waren. Regisseurin Annette Baumeister hatte bei den Dreharbeiten das Problem, dass den Siedlern, denen man unter Schäfer die Uhren und Kalender abgenommen hatte, oft jedes Gefühl für Zeit fehlte.
Die fast vierstündige Doku ist eine visuelle Darstellung des Sektenalltags. Die Aufnahmen waren als Propagandamaterial gefilmt worden. Den Siedlern selbst waren private Fotos und Videos untersagt. Die Macher der Dokumentation wollen ihr Material zum Grundstock eines Archivs der früheren Sektensiedlung machen.
Die „Colonia Dignidad“war 1961 rund 350 Kilometer südlich von Santiago de Chile von deutschen Auswanderern aus Siegburg bei Bonn gegründet worden. Später benannte sich die Siedlung in „Villa Baviera“um und sagte sich von Schäfer los, der 2006 wegen Kindesmissbrauchs in Chile zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war.
Auch die Entstehungsgeschichte der Doku ist ungewöhnlich. „Ich habe vor etwa fünf Jahren einen Anruf aus Santiago de Chile bekommen“, sagt Produzent Gunnar Dedio. Ein chilenischer Filmemacher sei an einen „ganzen Lieferwagen mit Archivmaterial“geraten. „Das Material war zu dem Zeitpunkt frisch aus der Erde gehoben. Es war vergraben. Es war verschimmelt, vergammelt, verrottet.“Das Restaurieren sei ein Kraftakt gewesen. „Und dann war das halt so viel Material – über 400 Stunden, über 9000 Fotos.“Drei Jahre habe allein das Katalogisieren gedauert. (dpa)