Keimfrei und trotzdem krank
Hygiene gilt in Zeiten grassierender Viren als oberstes Gebot – Warum Putzen und zu viel Sauberkeit aber auch schaden können
Viele Reinigungsmittel enthalten aggressive Inhaltsstoffe. Sie belasten Haut und Lunge. Experten warnen insbesondere vor routinemäßigem Einsatz von Desinfektionsmitteln. Sie sollten nur gezielt bei Erkrankungen eingesetzt werden. Das gilt auch für den Umgang mit dem Coronavirus.
Was ist das Hauptproblem beim Putzen?
Die Badewanne blitzt und glänzt – dafür haben jetzt die Abwasserrohre und die Kläranlage mit den aggressiven Reinigern zu kämpfen, die für die Putzaktion verwendet wurden. „Der Dreck beim Putzen geht ja nicht weg, ich verlagere ihn nur irgendwohin, wo ich ihn nicht mehr sehe“, sagt Tristan Jorde, Umweltberater bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Ein Mehr an Sauberkeit zu Hause gehe immer zu Lasten von Umwelt, Gewässern und Böden. Denn die Kläranlagen können nicht alles wieder herausfiltern, was die Putzmittel hineinspülen. Problematisch sind vor allem sogenannte Biozide: Sie zerstören in den Kläranlagen die Bakterien, die dort eigentlich für die Reinigung gebraucht werden. „Sobald man sich das klargemacht hat, sollte man deshalb dringend bei den Putzmitteln abrüsten“, sagt Umweltexperte Tristan Jorde.
Von welchen Putzmitteln lässt man besser die Finger?
Putzmittel mit Werbeversprechen wie „tiefenrein“, „mikrobiologisch sauber“, „desfinfizierend“oder „zerstört 99 Prozent aller Bakterien“enthalten in der Regel sogenannte Biozide. Sie zerstören auf chemischem oder biologischem Weg Schadorganismen. „Dadurch werden aber auch eigentlich harmlose Mikroorganismen zerstört, die normalerweise die Schädlinge in Schach halten“, sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Folge: Wurden nicht alle Schädlinge erwischt, können diese sich in einer ansonsten keimfreien Umgebung viel besser vermehren als vorher. Hinzu kommt, dass antibakterielle Mittel in einem normalen Haushalt einfach überflüssig sind, da fast alle Haushaltsbakterien harmlos sind. „Ihr Einwirken auf den menschlichen Organismus stärkt sogar unsere Abwehrkräfte“, sagt Tristan Jorde.
Und wenn es kranke Personen im Haushalt gibt, die sich mit dem Coronavirus oder mit Noroviren angesteckt haben?
„Normale Allzweckreiniger oder Kloreiniger inaktivieren den CoronaVirus sehr gut“, sagt Mikrobiologe Markus Egert von der Hochschule Furtwangen. Selbst wenn man eine erkrankte Person in der Familie hat, reicht das normale Putzen also aus. Beim hochansteckenden Norovirus sollte man allerdings Waschbecken und Toiletten, die der Erkrankte benutzt hat, desinfizieren. „Auch beim Coronavirus ist es sinnvoll, sich die Hände oder auch die Türklinken zu desinfizieren, nachdem ich mit einer erkrankten Person Kontakt hatte“, sagt Markus Egert. Allerdings ist im familiären Umfeld die Ansteckung oft schon passiert, bevor eine Krankheit überhaupt ausbricht. Vorbeugend braucht zu Hause aber keiner Desinfektionsmittel zu verwenden. „Normale Seife zum Händewaschen und normale Reiniger bieten ausreichend Schutz“, sagt Markus Egert.
Wie wirken sich Desinfektionsmittel auf die Gesundheit aus?
Das Umweltbundesamt hat über mehrere Jahre die Allergieentwicklung bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Das Ergebnis: In den Haushalten, in denen häufig mit Desinfektionsmitteln geputzt wurde, traten bei den Kindern und Jugendlichen mehr Allergien auf, als in den Haushalten, in welchen diese Mittel nicht verwendet wurden. Hinzu kommt, dass die Reiniger teils sehr aggressive Chemikalien enthalten – nicht umsonst sind entsprechende Warnzeichen aufgedruckt. Verschiedene Studien – unter anderem der Uni Bergen sowie der Uni Brüssel haben gezeigt, dass Menschen, die häufig mit aggressiven Reinigungsmitteln und ohne Schutz putzen, rissige Hände, mehr Allergien, häufiger Asthma und eine deutlich schwächere Lunge haben als solche, die seltener, mit Schutz und mit milderen Reinigern putzen.
Kann Putzen krank machen?
Das Umweltbundesamt hat über mehrere Jahre die Allergieentwicklung bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Das Ergebnis: In den Haushalten, in denen häufig mit Desinfektionsmitteln geputzt wurde, traten bei Kindern und Jugendlichen mehr Allergien auf, als in den Haushalten, in welchen diese Mittel nicht verwendet wurden. Hinzu kommt, dass die Reiniger teils sehr aggressive Chemikalien enthalten – nicht umsonst sind entsprechende Warnzeichen aufgedruckt. Verschiedene Studien – unter anderem der Uni Bergen sowie der Uni Brüssel – haben gezeigt, dass Menschen, die häufig mit aggressiven Reinigungsmitteln und ohne Schutz putzen, rissige Hände, mehr Allergien, häufiger Asthma und eine deutlich schwächere Lunge haben als solche, die seltener mit Schutz und mit milderen Reinigern putzen.
Wie schützt man sich beim Putzen am besten?
Fenster auf und Handschuhe an, lautet die einfache Regel. Insbesondere die scharfen Reinigungsmittel können nicht zwischen Bakterienzellen auf dem Klo oder Waschbecken und den menschlichen Hautzellen unterscheiden. Sie greifen also auch bei direktem Hautkontakt an und schädigen so die Säureschutzschicht an den Händen.
Viele Putzmittel gibt es in praktischen Sprühflaschen. Was ist davon zu halten?
„Finger weg“, sagt Umweltexperte Tristan Jorde. Der Grund: Statt im Backofen oder auf der Fensterscheibe landen 90 Prozent dieser Reiniger in der Luft. Von da setzen sie sich auf der Haut ab oder werden eingeatmet. „Das ist wirklich das Dümmste, was man beim Putzen machen kann, vor allem dann, wenn man dabei weder Mundschutz noch Handschuhe trägt“, sagt Tristan Jorde.
Wie wirkt ein Putzmittel überhaupt?
Putzmittel benutzt man, damit das Wasser den Schmutz besser mitnehmen kann. Dazu enthalten die Reiniger Tenside, welche die Oberflächenspannung des Wassers verringern. Dadurch können Tenside festhaftenden Schmutz unterwandern, von der zu reinigenden Oberfläche lösen und mit dem Putzwasser aufnehmen. „Dieses Prinzip ist immer gleich, egal ob ein Produkt nun als Badreiniger, Küchenreiniger oder Laminatbodenreiniger verkauft wird“, sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Welche Putzmittel sind wirklich sinnvoll?
Statt 15 verschiedener Putzmittel, die der Durchschnittsdeutsche in seinem Schrank stehen hat, reichen Experten zufolge vier: ein Allzweckreiniger für Böden oder Badezimmerfließen. Waschsoda gegen hartnäckigen und fettigen Schmutz in der Küche (Backofen) sowie bei verstopftem Abfluss. Essigessenz oder Zitronensäure gegen hartnäckige Kalkablagerungen und Urinstein. Und Spülmittel zum Säubern von Spiegeln und Fenstern.
Putzen mildere Reinigungsmittel wirklich genauso sauber wie aggressive Reiniger?
Ja, wenn man sie richtig anwendet. „Die milderen Mittel muss man länger einwirken lassen, als die aggressiven Reiniger“, sagt Marcus Gast, Fachbereichsleiter für Wasch- und Reinigungsmittel beim Umweltbundesamt. Erklären lässt sich das mit dem sogenannten Sinnerschen Kreis, der vom Chemiker Herbert Sinner stammt. Demnach hängt der Erfolg beim Putzen von vier Faktoren ab: 1. Von der Chemie, also vom richtigen Reinigungsmittel. 2. Von der Mechanik, also vom richtigen Reinigungstuch und dem damit verbundenen Schrubben und Reiben. 3. Von der verwendeten Zeit. 4. Von der Temperatur. Erhöht man einen dieser Faktoren, braucht man von einem anderen weniger. Lässt man also beispielsweise wenig Putzmittel oder einen milden Reiniger eine Weile einwirken und schrubbt dann mit einem rauen Lappen (Microfasertuch) längere Zeit kräftig darüber, wird die Fläche genauso sauber, wie wenn man viel Putzmittel oder einen aggressiven Reiniger verwendet, es aber nicht einwirken lässt und nicht richtig schrubbt.
Und wie oft sollte man putzen?
Auch wenn es die Werbung gern so suggeriert: Ein keimfreies Zuhause hat keiner, da kann man noch so oft putzen. Und das ist auch gar nicht nötig, denn der menschliche Körper kommt mit den allermeisten Mikroorganismen gut zurecht. „Wir putzen fast überall nur, damit wir uns wohler fühlen und nicht, weil es hygienisch notwendig wäre“, sagt Umweltexperte Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg.