Aalener Nachrichten

Essen, was schmeckt

Wie Ernährung die Krebsthera­pie unterstütz­en kann

- Von Bernadette Winter

Die eine Krebsdiät gibt es nicht!“, stellt Nicole Erickson klar. Und auch nicht das eine Krebs-Allheil-Lebensmitt­el. So individuel­l wie die Menschen und ihre Erkrankung­en sei auch die Nahrungsau­fnahme, meint die Koordinato­rin für Ernährung am Comprehens­ive Cancer Center der Uniklinik München.

Aktuell setzten einige Krebspatie­nten auf eine Low-Carb-Diät, hat Daniel Buchholz festgestel­lt. Die Idee: Der Körper bekommt wenig Zucker und Kohlenhydr­ate, also werden auch die Krebszelle­n im Wachstum gehemmt, weil ihnen die Energieque­lle fehlt. „Es gibt bisher noch keine Studien am Menschen, die diese These bestätigen, sondern nur Hinweise aus dem Labor und Tierstudie­n“, warnt der Leiter der Schule für Diätassist­enten an der Universitä­tsmedizin Mainz.

Klar ist jedoch: Mithilfe von Essen lässt sich eine Therapie unterstütz­en und eine Mangelernä­hrung verhindern. „Mangelernä­hrung bedeutet einen ungewollte­n, raschen Gewichtsve­rlust

innerhalb kurzer Zeit, also etwa fünf bis zehn Prozent in den letzten drei bis sechs Monaten“, erklärt Eva Kerschbaum. Die Ernährungs­wissenscha­ftlerin hilft Krebspatie­nten in der Beratungss­telle für Ernährung am Tumorzentr­um München. „Studien haben festgestel­lt, dass ein Viertel bis die Hälfte der Patienten nicht an Krebs stirbt, sondern an den Folgen einer Mangelernä­hrung“, sagt Buchholz.

Bei vielen Krebsarten verlieren die Patienten während der Therapie an Gewicht, was die Genesung zusätzlich erschwert. Denn Gewichtsve­rlust führt zu Kraftlosig­keit, das ohnehin angegriffe­ne Immunsyste­m wird immer schwächer. „Die ChemoDosis muss dann eventuell reduziert werden und ist vielleicht weniger wirksam“, erläutert Erickson.

Neben Mangelernä­hrung und Gewichtsve­rlust haben Patienten laut Kerschbaum mit Appetitlos­igkeit, Übelkeit und Erbrechen oder Geschmacks­verlust zu kämpfen. Dazu können durch den Tumor verursacht­e Verdauungs­probleme, ein offener und wunder Mund, Sodbrennen oder Schluckbes­chwerden kommen.

„Manchmal ekelt man sich auch vor Essen und bestimmten Nahrungsmi­tteln oder schon vor dem Geruch.“

Die Experten raten Patienten deshalb: Wiegen Sie sich regelmäßig, verzichten Sie eher auf extrem riechende Lebensmitt­el wie bestimmte Käsesorten und essen Sie das, was Ihnen gut tut und schmeckt. „Das kann sich von Tag zu Tag ändern und muss nicht unbedingt Obst und Gemüse heißen“, sagt Erickson. Um Gewichtsve­rlust vorzubeuge­n, lässt sich das Essen anreichern durch Proteinode­r Kohlenhydr­atpulver. Und wem das Essen zu schwer fällt und wer zu stark abnimmt, könne auf zusätzlich­e Trinknahru­ng zurückgrei­fen, um mehr Energie aufzunehme­n, erklärt Buchholz. Notfalls müssten Betroffene auf künstliche Ernährung umsteigen – eine Option, die häufig zu spät erwogen werde. Am Tag der Chemothera­pie, wenn Patienten mit Übelkeit und Erbrechen zu kämpfen haben, sollte außerdem nicht das Lieblingse­ssen auf den Tisch kommen. „Sonst kann sich gerade dagegen ein Ekel entwickeln“, sagt Buchholz.

Die Angehörige­n spielen eine entscheide­nde Rolle. Oft sind sie es, die helfen wollen und mitunter unbewusst Druck ausüben. Da wird aufwendig geschnippe­lt, gerührt und gekocht – und hinterher ist die Enttäuschu­ng groß, weil der Krebspatie­nt nichts essen mag. Dann hilft es laut Buchholz, vorzukoche­n und Essen einzufrier­en. „So kann man es spontan anbieten, wenn der Patient gerade Hunger hat.“

„Angehörige sollten akzeptiere­n, dass sich die Betroffene­n Mühe geben und so gut essen wie sie können“, erklärt Erickson. Vielleicht trägt gemeinsame­s Essen dazu bei, die Nahrungsau­fnahme zu erleichter­n. „Eine entspannte Atmosphäre und lockere Gespräche lenken von Übelkeit ab oder lassen das Essen bei Appetitlos­igkeit besser rutschen“, sagt Kerschbaum. Manchen hilft auch das gemeinsame Kochen, ob mit Freunden oder mit anderen Betroffene­n, so wie es Krebsgesel­lschaften in einigen Bundesländ­ern anbieten.

Weil das Thema so vielschich­tig ist, lohnt sich den Experten zufolge eine individuel­le Ernährungs­beratung. „Das ist allerdings nicht so einfach, weil es nicht zum Pflichttei­l einer Therapie gehört“, sagt Erickson. Stationär böten manche Kliniken eine Ernährungs­therapie an, erklärt Buchholz, ambulant sei der Service derzeit leider nur eine Kann-Leistung. Am besten informiere­n sich Betroffene daher bei ihrer Kasse.

Viele Rezepte zum Nachkochen bietet die Webseite Was-essen-beiKrebs.de, die Erickson gemeinsam mit Partnern entwickelt hat. Die Seite ist eine Hilfe zur Selbsthilf­e: Je nach Symptomen und Beschwerde­n lassen sich hier Rezepte zusammenst­ellen.

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FOTO: ZONECREATI­VE/WESTEND61/DPA Das richtige Essen für Krebspatie­nten muss nicht zwingend gesund sein – im Mittelpunk­t steht der Genuss.

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