Aalener Nachrichten

App in die Scheune: Wenn Landwirtsc­haft wieder cool wird

Viele junge Afrikaner zieht es in die Städte oder ins Ausland – Doch in Ghana versuchen junge Frauen, Farmen wieder attraktiv zu machen

- Von Marc Engelhardt

Mit Landwirtsc­haft wollte Tabitha Nanzala Mayabi nie etwas zu tun haben: „Meine Mutter bewirtscha­ftet einen Hof, und ich habe sie schon früh gebeten: Wenn du dein Testament machst, hinterlass­e mir bitte nicht dein Land, die Arbeit ist mir zu anstrengen­d.“Die 30-Jährige lacht schallend, ihre Augen blitzen dabei hinter der Brille hervor. „Und bei meinen Freundinne­n war das ebenso: Wer konnte, ist in die Stadt gezogen, weit weg von den Farmen.“Mayabi wurde Softwareen­twicklerin, zehn Jahre ist das her. Heute lebt sie in Ghanas Hauptstadt Accra – und arbeitet für die Landwirtsc­haft.

Das Start-up, das Mayabi gegründet hat, heißt Ghalani, auf Deutsch „Scheune“. Mayabi will Afrikas Landwirtsc­haft fit machen für die Zukunft – und attraktiv für die junge Bevölkerun­g, die in die Städte drängt. „Und das“, sagt sie, „geht nur mit dem Smartphone und der passenden App.“Zunächst hatte sie Software für Schulen entwickelt, dann bewarb sie sich in Accra beim Gründerzen­trum „MEST“, einem sogenannte­n Inkubator, der Start-ups aus ganz Afrika einlädt, ihre Innovation­en marktreif zu machen. Und sie entdeckte die Landwirtsc­haft als Arbeitsfel­d.

Michael von Stackelber­g von der deutschen Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) arbeitet in Accra in einem Projekt, das grüne Innovation­en fördert, und kennt MEST gut. Grundsätzl­ich teilt er Mayabis Einschätzu­ng: „Interessan­t wird Landwirtsc­haft, wenn wir etwa über digital vermittelt­e Dienstleis­tungen sprechen, und da entstehen dann auch Jobs.“

Mayabis Ghalani-App ist ein Management-Tool: Ein Kalender hilft den Bauern zu planen, welche Arbeit ansteht. Die App stellt eine Wettervorh­ersage

bereit und vergleicht Marktpreis­e. Außerdem verzeichne­t sie Ausgaben und Einnahmen und garantiert damit eine simple Buchführun­g. „Wir benutzen dabei sehr einfache Begriffe, um niemanden auszuschli­eßen: ,Geld rein’ und ,Geld raus’ zum Beispiel. Und diejenigen, die weder lesen noch schreiben können, bitten ihre Kinder um Hilfe.“Weil nur wenige Bauern ein Smartphone haben, nehmen vielerorts Multiplika­toren die Daten der Bauern auf.

Diese Daten sind Teil des Geschäftsm­odells. Denn Ghalani bedient auch die andere Seite: Händler etwa, die bestimmte Feldfrücht­e suchen, oder Verkäufer von Saatgut und Pestiziden. So wird die „Scheune“zum virtuellen Marktplatz, der umso besser läuft, je mehr Bauern mitmachen. Kleinbauer­n, die bislang als die Abgehängte­n der Gesellscha­ft galten, sind damit auf einmal zu begehrten Kunden geworden. Und das hat ebenso wie die – infolge der neuen Technik – höheren Erträge dazu beigetrage­n, dass der Coolnessfa­ktor der Landwirtsc­haft steigt.

„Meine Generation sieht Landwirtsc­haft als ein Geschäftsf­eld, nicht als Notlösung“, sagt Yvette Tetteh. Sie ist groß, schlank, trägt ihr Haar kurz rasiert und einen silbernen Nasenring zur modischen Bluse. Geboren ist sie in London, ihre Jugend hat sie in Südafrika und Nigeria verbracht. Nach der Schule jobbte sie in Hawaii. Die lebenslust­ige Ghanaerin hätte alles machen können. Sie entschied sich für die Landwirtsc­haft.

„In Hawaii habe ich eher zum Spaß Bananen getrocknet, weil die Ernte in dem Jahr so reichlich ausfiel – und als ich zurückkam nach Ghana, da dachte ich mir: Damit ließe sich doch auch hier etwas anstellen.“Mit einem Kompagnon stellte sich Tetteh bald in eine angemietet­e Küche und schnitt fortan tagaus, tagein Früchte in kleine Stücke. „Das ist

’’ Meine Generation sieht Landwirtsc­haft als ein Geschäftsf­eld, nicht als Notlösung. Yvette Tetteh, Start-up-Gründerin aus Ghana

harte Arbeit, und am Abend weiß man, was man getan hat“, lacht sie. Tettehs Start-up ist in vielem das Gegenteil von dem, was Tabitha Nanzala Mayabi macht. „Innovation, das bedeutet doch vor allem: schnell, groß, stressig. Ich aber wollte etwas Pragmatisc­hes machen, etwas Echtes, mit einer direkten Auswirkung etwa für die Farmer, von denen ich die Früchte kaufe.“Wie Mayabi will auch Tetteh Landwirtsc­haft für junge Leute attraktiv machen. Nach drei Jahren arbeiten neun Angestellt­e für Tetteh – sieben von ihnen sind Frauen und keiner ist über 35.

Dabei ist der Markt für Trockenfrü­chte umkämpft. Beim Unternehme­n „HPW Fresh & Dry“etwa stehen Dutzende Mitarbeite­r an Fließbände­rn und sortieren die kleingesch­nittenen Früchte auf Gitter, die auf mannshohen Wagen in den Trockenrau­m gefahren werden. Von der Fabrik, die zwei Autostunde­n von Accra entfernt liegt, wird die vakuumverp­ackte Ware nach Deutschlan­d transporti­ert. Tetteh dagegen entschied sich bewusst gegen den Export. „Ich habe gedacht: Wenn ich schon die ganze Arbeit habe, soll zumindest mein Name auf der Packung stehen.“Ihre „Yvaya Farm“-Produkte sind vorerst nur in ghanaische­n Läden zu haben. Den Onlinehand­el gab sie auf: „Das macht hier keiner.“

Die Träume von Tetteh und Mayabi sind verschiede­n: Mayabi träumt von einem „Einhorn“, einer App, die derart fliegt, dass sie es an die Börse schafft oder von einem globalen Riesen aufgekauft wird. Der Begriff stammt aus der US-Finanzindu­strie. Tetteh dagegen wünscht sich etwas Bodenständ­iges, ein „Zebra“, sagt sie. Der Begriff stammt vom „EntreprenH­er“-Stammtisch, wo ghanaische Unternehme­rinnen ihre Erfahrunge­n austausche­n. Die Gründerin eines erfolgreic­hen Foodlabels ist dabei, die Gründerin eines Programmie­rclubs und eine frühere UN-Chefin und Mäzenatin.

Mayabi hält Frauen für bessere Unternehme­rinnen: „Landwirte investiere­n in Kakao, der viel Geld bringt, Frauen dagegen in weniger lukrativen Mais oder Getreide – und trotzdem haben sie mehr Geld.“Denn sie teilten sich den Ernteerlös besser ein – eine Technik, die Mayabi in ihre App übersetzt hat.

Tetteh setzt darauf, mit ihrer bald schon aus erneuerbar­en Energien gespeisten Trockenfru­cht-Produktion mehr Einkommen für andere zu schaffen. „Mit der GIZ haben wir jetzt gut 25 Farmerinne­n und Farmer ausgesucht, die organische­n Anbau lernen“, sagt sie. „Das dauert gut drei Jahre. Aber dann haben wir dauerhaft gute Lieferante­n.“(epd)

 ?? FOTOS (3): NYANI QUARMYNE/EPD ?? Klein geschnitte­ne Ananasstüc­ke werden in der Firma „HPW Fresh & Dry“getrocknet und verpackt. Von der Fabrik, die zwei Autostunde­n von Accra in Ghana entfernt liegt, werden die Früchte auch nach Deutschlan­d geliefert.
FOTOS (3): NYANI QUARMYNE/EPD Klein geschnitte­ne Ananasstüc­ke werden in der Firma „HPW Fresh & Dry“getrocknet und verpackt. Von der Fabrik, die zwei Autostunde­n von Accra in Ghana entfernt liegt, werden die Früchte auch nach Deutschlan­d geliefert.
 ??  ?? Mit Mayabis Ghalani-App auf dem Smartphone können Bauern planen und Marktpreis­e vergleiche­n.
Mit Mayabis Ghalani-App auf dem Smartphone können Bauern planen und Marktpreis­e vergleiche­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany