Mehr als nur ein Arbeitsplatz
In Zeiten von Großraumbüros brauchen moderne Schreibtischnomaden vor allem Rückzugsorte
Bällebad, Tischkicker, Gratisgetränke im Großraumbüro und problemloses Arbeiten von zu Hause – die schöne neue Arbeitswelt wirkt bunt, flexibel und immer gut gelaunt. Doch arbeiten Menschen im schwindenden Raum zwischen Berufs- und Privatleben wirklich produktiver? Und welche Arbeitsumgebung fördert Wohlbefinden, Motivation und Kreativität?
Für Frank Berzbach, Arbeitspsychologe der Technischen Hochschule Köln, sind die durch New Work entstandene größere Freiheit und Mobilität von Arbeit grundsätzlich ein Gewinn. Für bedenklich hält er stressfördernde Arbeitsumgebungen wie das klassische Großraumbüro oder das Shared-Desk-Konzept, bei dem Mitarbeiter ihren Schreibtisch frei wählen können.
„Momentan scheinen Unternehmen zu glauben, sie seien fortschrittlich, wenn sie cleane Areale einführen, in denen die Leute nicht einmal Platz für ihre persönlichen Sachen haben“, sagt Berzbach. Einige Unternehmen stellen nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung und machen so das Homeoffice verpflichtend.
Das Shared-Desk-Konzept verhindere, dass Arbeitnehmer sich ein Territorium abstecken können, eine wichtige Bedingung für konzentriertes und kreatives Arbeiten. Zum einen führe das zu einem Kampf um die besten Plätze, zum anderen vermittele das Unternehmen indirekt die Botschaft: „Wir haben gar nicht genug Plätze für euch, für uns ist es viel günstiger, wenn ihr zu Hause arbeitet.“ Eine weitere Entwicklung, die Berzbach für problematisch hält: In vielen Großraumbüros tragen Angestellte Baukopfhörer, um sich zu konzentrieren. Er kennt sogar Fälle, in denen Angestellte tagsüber die Schreibtischlampe einschalten, als eine Art Signallicht dafür, dass sie nicht gestört werden möchten.
Für den Einzelnen gibt es in einem Großraumbüro wenig Chancen, die Raumsituation zu ändern. „Man kann natürlich nicht die architektonischen Rahmenbedingungen verändern oder ein Einzelbüro fordern. Was man jedoch tun sollte, ist, die Belastung wahrzunehmen und zu äußern“, empfiehlt Berzbach. Wer die Arbeitsstelle wechselt, könne sich vorab genau über das Bürokonzept informieren und sich fragen, ob er oder sie unter den Bedingungen eines Großraumbüros oder mit geteilten Schreibtischen arbeiten will.
„Beim Antritt eines neuen Jobs können ein eigener Schreibtisch oder das Mitspracherecht beim Homeoffice auch Verhandlungssache sein“, so Berzbach. Denn viele Unternehmen hätten Schwierigkeiten, gute Arbeitskräfte zu bekommen. Wichtig sei dabei, seinen eigenen Marktwert zu kennen und die Wünsche selbstbewusst vorzutragen.
Natürlich sei Kommunikation für kreative Arbeit ebenso relevant wie
Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten. Dafür brauche es besondere Räume. Denkbar ist für Berzbach eine offene Architektur, in der jede Person einen festen Bereich bekommt, in der es Rückzugsorte für absolute Ungestörtheit gibt und Räume für Besprechungen. „Dass all das nur ein einziger Raum erfüllen soll, ist meistens keine gute Idee.“
Ähnlich sieht das Dennis Stolze, Leiter Cognitive Environments des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Im Forschungsprojekt „Office 21“arbeitet das IAO gemeinsam mit Partnern aus der Industrie unter anderem an der Frage, wie Büroumgebungen gestaltet und ausgestattet sein müssen, um Leistung, Motivation und Innovation nachhaltig zu fördern.
Wer sich fragt, wie eine optimale Arbeitsumgebung aussieht, müsse sich nur einmal seine eigene Wohnung vor Augen führen. Darin gebe es verschiedene Räume mit unterschiedlichen Funktionen und Rückzugsmöglichkeiten zur Entspannung.
Das Raumkonzept „Multispace“ist aus Stolzes Sicht eine Büroumgebung, die den Mitarbeitern ein gutes Arbeiten ermöglicht. Stolzes Vision sind Arbeitsplätze, die per Sensorik erkennen, wenn ein Mensch bei der Arbeit in einen FlowZustand gerät und dann potenzielle Störfaktoren wie eingehende EMails
oder auch WhatsApp-Nachrichten blockieren.
Auch Diemut Bartl von der Berliner Agentur Darkhorse Innovation beschäftigt sich beruflich mit Arbeitsumgebungen und berät Unternehmen zum Thema. Dabei seien vor allem Selbstreflexion und die Einbindung der Mitarbeitenden entscheidend.
„Manchmal wird bei der Um- und Neugestaltung von Arbeitsräumen alles nur clean und modern gemacht, und am Ende fehlen wesentliche Bereiche und wichtige Details, wie zum Beispiel persönlicher Stauraum“, sagt Bartl, die das Buch „New Workspace Playbook“herausgegeben hat. „Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht im großen Ganzen auflösen, sondern Individuen bleiben.“
Die Arbeitsumgebung ist mehr als nur ein Ort. Sie spiegelt die Unternehmenskultur wider. Arbeitspsychologe Berzbach beobachtet, dass Branchen wie Werbung oder Design umdenken und Rückzugsorte schaffen. In anderen Branchen sei man noch nicht so weit.
„Die Verantwortlichen übersehen die unsichtbaren Kosten, die durch erhöhten Stress und seine Folgen entstehen.“Was sich Berzbach für die Zukunft des Büros wünscht: „Dass Unternehmen die Frage stellen ,Wie sähe dein idealer Arbeitsplatz aus?’, sich dann interessiert die Antworten anhören und handeln.“(dpa)
„Die Verantwortlichen übersehen die unsichtbaren Kosten, die durch erhöhten Stress und seine Folgen entstehen.“
Frank Berzbach, Arbeitspsychologe