Neuer Drang zur Atomkraft
Klimakrise und steigende Energiepreise lassen Befürworter der Nukleartechnik lauter werden
- Die Diskussion um den Klimawandel führt dazu, dass inzwischen auch über eine mögliche Zukunft der Atomenergie gesprochen wird. Das Argument dabei lautet, dass Nuklearmeiler beim Stromerzeugen kein Treibhausgas produzieren – anders als etwa Kohle- oder Gaskraftwerke. Gleichzeitig bezweifeln die Befürworter der Atomenergie, dass regenerative Energiequellen jederzeit verlässlich Strom liefern können. Die Zeitschrift „Spiegel“hatte aus einem Papier des CDU-Bundesfachausschusses Wirtschaft, Arbeitsplatz und Steuern zitiert, dass „Projekte zur Kernfusion und zu kleinen modularen Reaktoren“ergebnisoffen geprüft werden sollen. Eine der beiden AusschussVorsitzenden ist Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Aber auch Wirtschaftsvertreter wie VW-Chef Herbert Diess und LindeAufsichtsratschef Wolfgang Reitzle stoßen ins selbe Horn. Vereinzelte Forscher liefern wissenschaftliche Begründungen, etwa der Dresdener Kernenergie-Professor Wolfgang Lippmann. Neue Reaktortypen werden als Lösung sämtlicher Energieprobleme angepriesen. Was ist aber an dieser angedachten Renaissance der Atomkraft dran?
Wer sind die Verfechter der Atomenergie?
Zu ihnen gehört etwa der Münchner Wirtschaftswissenschaftler HansWerner Sinn, von 1999 bis 2016 Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Im vergangenen September hat er während einer Vorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität verkündet, Deutschland befände sich mit dem Atomausstieg auf einem „dummen Sonderweg“. Konservative Wirtschaftspolitiker sind teilweise für nukleare Ideen offen. Dazu gehört der energiepolitische Sprecher der CDUBundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer. Auch aus der AfD ist zu hören, dass Atomkraft eine Option für die Zukunft sein könnte. In diesem Zusammenhang verweisen die Nuklearverfechter auf internationale Entwicklungen. Frankreich erzeugt 70 Prozent seines Stroms aus Atomkraft und betont, dass das Land ansonsten seine CO2-Ziele nicht erreinotwendig chen könne. Schweden vertritt denselben Standpunkt. China baut gegenwärtig elf neue Nuklearanlagen, Indien sieben und Russland sechs.
Wie lauten die Argumente für Nuklearmeiler?
Nach dem Unglück von Fukushima 2011 setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie durch. Schon damals hieß es aber vonseiten der Nuklearbefürworter, es sei ein Fehler, vermeintlich sichere deutsche Atomkraftwerke zu schließen und dann womöglich Atomstrom aus dem Ausland importieren zu müssen. Später argumentierten Befürworter, dass sich durch einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke der Strompreis niedrig halten lasse. Kernenergie-Professor Lippmann geht davon aus, dass eine Stromversorgung allein über erneuerbare Energien zu teuer wäre – zumal bisher noch nicht die Kosten für dann werdende Energiespeicher mit einberechnet worden seien. Seit der Klimawandel in öffentlichen Diskussionen eine zentrale Rolle spielt, taucht regelmäßig das Argument auf, Atomkraft würde bei der Stromerzeugung keine CO2-Belastung mit sich bringen.
Was sagen Gegner der Atomenergie zu der aktuellen Debatte? Diese lehnen Atomkraft als klimafreundliche Alternative ab. So sagte Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und einer der Vertreter des Bündnisses „Scientists4Future“, Atomenergie sei keine Option. „Der sehr geringe Klimanutzen der Kernenergie wird durch hohe Risiken erkauft“, sagte Quaschning dem „Tagesspiegel“. In Deutschland könne man in den nächsten 20 Jahren eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien realisieren, sagte er der Zeitung weiter.
Könnte Atomenergie die Strompreise im Rahmen halten und gleichzeitig das Klima schützen? Ja, sagen die Befürworter. Die deutsche Energiekonzerne halten sich aber bei der Diskussion zurück. Bestehende Anlagen sind abgeschrieben, neue Anlagen gelten als exorbitant teuer und gesellschaftlich als kaum durchsetzbar. Unternehmen wie die EnBW haben sich unter dem politischen Druck des Atomausstiegs anders ausgerichtet: konventionelle Technik als Übergang in Verbindung mit regenerativen Energien. Schon ein Blick über die französische Grenze ins normanische Flamanville dürfte die gegenwärtige Atomskepsis der Konzerne verstärken. Das Fertigstellen eines dortigen Reaktors hat sich um elf Jahre verzögert. Indes stiegen die Kosten ums Vierfache auf mehr als zwölf Milliarden Euro. Einer der
Gründe dafür sind die steigenden Sicherheitsansprüche. Solche gestiegenen Kosten würden natürlich auf den Verbraucher umgelegt, hat Manfred Fischedick, Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, kürzlich geschrieben. In diesem Zusammenhang ist aber noch nicht einberechnet worden, was die nach wie vor ungeklärte Endlagerfrage kosten könnte. Atomskeptische Wissenschaftler halten die Atomkraft deshalb schon allein wegen der möglichen hohen Kosten als untaugliches Instrument im Kampf gegen den Klimawandel – zumal nach einer britischen Rechnung weltweit 18 000 Atomkraftwerke gebaut werden müssten, um die künftige globale Energieversorgung sicherzustellen. Gegenwärtig gibt es 448 solcher Kraftwerke, 53 weitere sind im Bau.
Wie sieht es mit einer Weiterentwicklung der Atomtechnik aus? Letztlich beruht darauf ein bedeutender Teil der Hoffnungen, die sich Kernenergie-Befürworter machen. Eventuell ließen sich zwei zentrale Probleme lösen, die die Bevölkerung verunsichern: die Gefahr einer Atomkatastrophe sowie die Endlagerfrage. Der Flüssigsalzreaktor ist ein Projekt im sogenannten Rahmen von „Atomkraftwerken der vierten Generation“. Die Grundlage dabei ist, dass es keine Brennstäbe mehr gibt und sich das Uran in flüssigem Salz befindet. Eine Kernschmelze soll so ausgeschlossen sein. Gleichzeitig kann der Flüssigsalzreaktor auch mit Atommüll betrieben werden. Bis auf ganz wenige Reststoffe würde damit ein Endlager entfallen. Microsoft-Gründer Bill Gates ist ein Verfechter dieser Technik und finanziert eine Weiterentwicklung. Eine Variante des Flüssigsalzreaktors hat das private Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik entwickelt: den Dual-Fluid-Reaktor. Bisher sind die diversen Techniken aber nur in einer Probephase oder stehen auf dem Papier. Skeptiker sagen deshalb, es sei unklar, ob sich Flüssigsalzreaktoren überhaupt wie erwartet betreiben lassen. Des Weiteren würde es bis zu einer Marktreife vier Jahrzehnte dauern – mit Blick auf den Klimawandel zu lange. Zudem verweisen die Bedenkenträger darauf, dass bei dieser Art von Reaktor waffenfähiges Plutonium anfalle und so neue Sicherheitsgefahren drohen würden.